Wann ist laut BGH das Kind zum Umgangsrecht anzuhören, wann nicht?
Die Mutter eines vierjährigen Kindes wendete sich gegen den vom OLG angeordneten und begleiteten Umgang zwischen dem Vater und dem im Juni 2014 geborenen gemeinsamen Kind. Bis zur Entscheidung über die gegen den OLG-Beschluss eingelegte Rechtsbeschwerde hatte die Mutter die Aussetzung der Vollziehung aus dem Umgangsbeschluss im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt.
Vorläufiger Rechtsschutz gegen begleitetes Umgangsrecht erfordert Abwägung der Rechtslage
Der BGH betonte in seiner Rechtsbeschwerdeentscheidung, dass nach ständiger Rechtsprechung im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Rechtsbeschwerdeführer gegeneinander abzuwägen seien (BGH, Beschluss v. 30.10.2013, XII ZB 482/13).
- Die Aussetzung der Vollziehung einer Umgangsregelung, die bereits durch das Beschwerdegericht bestätigt wurde, komme nur dann in Betracht,
- wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg habe oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft sei (BGH, Beschluss v. 21.1.2010, V ZB 14/10).
Keine Aussetzung des Umgangsrechts bei mangelnder Erfolgsaussicht
Im Rahmen der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung kam der BGH hier zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbeschwerde der Mutter keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
OLG sah von Anhörung des Kindes wegen Verweigerungshaltung der Mutter ab
Das OLG hatte in seiner vorausgegangenen Beschwerdeentscheidung von einer Anhörung des vierjährigen Kindes abgesehen, weil nach Auffassung des Gerichts bereits die bloße Anberaumung eines weiteren Anhörungstermins dazu geführt hätte, dass die Mutter ihr Kind in einer der Psyche des Kindes abträglichen Weise in ihrem Sinne beeinflusst hätte.
- Die Mutter habe zu zwei bereits angesetzten Anhörungsterminen das Kind einfach nicht mitgebracht, obwohl ihr bereits Zwangsmaßnahmen angedroht worden seien.
- Die Mutter habe mehrfach ihre Bereitschaft gezeigt, ihr Kind zur Verhinderung einer erfolgreichen Anhörung so zu manipulieren, dass eine dem Kindeswohl dienliche gerichtliche Entscheidung verhindert würde.
- Sie habe mehrfach deutlich gemacht, eine objektive Anhörung mit allen Mitteln verhindern zu wollen.
- Nachvollziehbare Gründe für ihre Verweigerungshaltung habe sie nicht darlegen können.
Nach Auffassung des OLG lag damit ein schwerwiegender Grund vor, von der Anhörung des Kindes gemäß § 159 Abs. 3 FamFG abzusehen.
Persönliche Anhörung ist Teil des rechtlichen Gehörs
Die Entscheidungsgründe des OLG hat der BGH im Ergebnis gebilligt. Allerdings wies der BGH ergänzend auf die grundsätzliche Bedeutung einer persönlichen Anhörung auch sehr junger Kinder hin.
- Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG sei ein Kind auch vor Vollendung des 14. Lebensjahres dann persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind.
- Diese Faktoren seien gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls.
- Die persönliche Anhörung diene deshalb der Gewährung rechtlichen Gehörs, aber auch der Sachaufklärung.
Es sei Aufgabe des Gerichts, das Verfahren so zu gestalten, dass unter Berücksichtigung des Alters, des Entwicklungsstandes und der sonstigen Fähigkeiten des Kindes das Kind die persönlichen Beziehungen zu seinen Eltern für das Gericht erkennbar machen könne.
Umgangsrecht steht unter verfassungsrechtlichen Schutz
Im Rahmen dieser Erwägungen ist nach Auffassung des BGH auch zu berücksichtigen, dass das Umgangsrecht eines Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG steht. Das Umgangsrecht diene dazu,
- die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kind und dem Umgangsberechtigten aufrecht zu erhalten,
- einer Entfremdung vorzubeugen und
- dem Liebesbedürfnis sowohl des Kindes als auch des Umgangsberechtigten Rechnung zu tragen.
Nur schwerwiegende Gründe rechtfertigen Ausnahme
Gemäß § 159 Abs. 3 S. 1 FamFG kann aus schwerwiegenden Gründen von der persönlichen Anhörung des Kindes abgesehen werden. Eine mögliche psychische Belastung des Kindes durch die Anhörung vor Gericht ist nach dem Diktum des BGH gegen Vorteile, die diese Art der Sachaufklärung bietet, abzuwägen.
- Erst wenn die Belastungsmomente überwiegen, könne zum Schutz und zum Wohl des Kindes von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden.
- Hierbei seien die individuelle Verfahrenssituation wie die Schwere der zu erwartenden psychischen Belastungen des Kindes durch eine Anhörung sowie
- die anderweitigen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung durch Auskünfte anderer Verfahrensbeteiligter oder Mitarbeiter des Jugendamtes sorgfältig in die Abwägung einzustellen.
OLG hat alles richtig gemacht
Gemessen an diesen Anforderungen hat das OLG nach Auffassung des BGH richtig entschieden und zu Recht im Interesse der psychischen Gesundheit des Kindes von einer persönlichen Anhörung abgesehen. Die Schlussfolgerung, die das OLG aus dem Verhandlungsverlauf gezogen hat, nämlich dass die Mutter das Kind im Rahmen einer Anhörung durch ihr Verhalten in einen das Kind psychisch schwer belastenden Loyalitätskonflikt zwingen würde, sei nicht zu beanstanden.
- Die pauschale Negativhaltung der Mutter gegenüber dem Vater sei durch ein Sachverständigengutachten belegt.
- Es bestehe der begründete Verdacht, dass die Mutter projektiv eigene Enttäuschungen und Kränkungen im Umgang mit dem Vater auf das Kind übertragen und das Kind in ihre zu dem Kindesvater bestehende Problematik hineinzuziehen versuche.
Im Ergebnis habe das OLG sich zu Recht auf die Einschätzung der gerichtlich bestellten Ergänzungspflegerin gestützt, die nachvollziehbar dargelegt habe, dass die bisher durchgeführten Umgangskontakte dem Kind gut getan und sich positiv auf dessen Psyche ausgewirkt hätten.
Rechtsbeschwerde der Mutter zurückgewiesen
Nach alldem kam das der BGH zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbeschwerde der Mutter in der Hauptsache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Auf weitere Abwägungsgesichtspunkte komme es daher nicht an. Der BGH wies den Antrag auf Aussetzung des Umgangsrechts im Wege der einstweiligen Anordnung zurück.
(BGH, Beschluss v. 31.10.2018, XII ZB 411/18).
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Hintergrund:
Ausschluss und Einschränkung des Umgangsrechts
In Ausnahmefällen kann der Richter den Umgang eines Elternteils mit dem Kind vollständig unterbinden, z.B. in Fällen extremer Entfremdung oder Misshandlung. Ein völliger oder fast völliger Ausschluss des Umgangsrechts darf nur angeordnet werden, wenn anderenfalls eine konkrete und gegenwärtig bestehende Gefährdung der körperlichen oder geistig seelischen Entwicklung des Kindes droht.
Daneben ist Voraussetzung, dass keine milderen Mittel zum Schutz des Kindes in Betracht kommen, um der konkreten Gefährdung zu begegnen, z. B. eine vorübergehende Einschränkung des Umgangsrechts oder Anwesenheit einer neutralen Aufsichtsperson.
Als mildere Einschränkung besteht die Möglichkeit der Anordnung des betreuten Umgangs, d.h. das Umgangsrecht wird im Beisein einer dritten, neutralen Person (z.B. des Jugendamtes) ausgeübt. Der betreute Umgang bietet auch die Möglichkeit einer Kindesübergabe, bei der die Eltern sich nicht sehen. Dies kann in Extremfällen Stresssituationen auch für das Kind vermeiden helfen.
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