Autofahren im Alter trotz schwerer neurologischer Erkrankungen?
Bei Senioren, die häufig unter diversen altersbedingten Beschwerden leiden, ist es eine häufig auftretende Frage:
- Was wiegt schwerer? Das verständliche Bedürfnis älterer Menschen nach Mobilität
- oder der Schutz der Mitmenschen vor eventuell ungeeigneten Autofahrern.
Die Betroffenen entscheiden sich – nicht ganz überraschend – häufig für ihr Mobilitätsbedürfnis, die Gefahren für andere werden häufig negiert. So auch in einem vor dem Verwaltungsgericht Mainz verhandelten Fall.
Bei Autofahrerin Chorea Huntington diagnostiziert
In der Führerscheinstelle des beklagten Landkreises wurde die über 70 Jahre alten Kläger, der unter anderem seit 2012 an der Krankheit Chorea Huntington litt, im August 2015 bei einem Gespräch dazu aufgefordert, freiwillig auf die Fahrerlaubnis zu verzichten.
Anfang des Jahres hatte die Führerscheinstelle Kenntnis erhalten, dass die Frau im Mai 2014 auf der Autobahn A 5 mit ihrem Pkw auf einen Wohnwagen aufgefahren war und sich schwere Verletzungen zugezogen hatte.
In der Führerscheinstelle wurde auffälliges Verhalten beobachtet
Bei Vorsprache in der Führerscheinstelle zeigte die Frau unkoordinierte Bewegungen und ein teilweise sprunghaftes, zusammenhangloses Mitteilungsbedürfnis. Nach dem Verlassen der Führerscheinstelle hatte die Klägerin sichtlich Mühe, ihr Fahrzeug zu starten.
Ein ärztliches Gutachten vom September 2015 kam zu folgenden Einschätzungen:
• Krankheiten: Chorea Huntington, Restless-Legs-Syndrom, Gangataxie mit Sturzneigung, chronische Subduralhämatome (Blutungen zwischen harter Hirnhaut und Gehirn)
• Aus medizinischer Sicht erfülle die Klägerin nicht mehr die Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen
• Psychophysische Leistungstests (Testsystem Corporal) habe die Klägerin sämtlich deutlich unterhalb des notwendigen Mindestprozentrangs von 16 absolviert
• Wegen der massiven Leistungsbeeinträchtigungen sei die Durchführung einer Fahrverhaltensbeobachtung nicht gerechtfertigt
Verzichtserklärung nicht abgegeben
Zwar übersandte die ältere Dame im Oktober ihre Fahrerlaubnis an die Behörde. Eine Verzichtserklärung hatte sie allerdings nicht abgegeben. Daraufhin wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, mit Hinweis auf die Ergebnisse des ärztlichen Gutachtens.
Dank Medikamenten doch fahrtauglich?
Im November legte die Klägerin Widerspruch ein. Begründung: Die im Bescheid genannten Fakten ließen es nicht zu, von einer fehlenden Fahreignung auszugehen. Gegen das Restless-Legs-Syndrom nehme sie konsequent Medikamente, ebenso gegen die Hypertonie.
- Dass sie bei dem ersten Erscheinen vor der Führerscheinstelle nervös gewesen sei, dürfe nicht als außergewöhnlich angesehen werden.
- Angesichts ihrer zahlreichen familiären Probleme sei es ihre Art, sprunghaft zu erzählen.
- Das von den Behördenmitarbeitern beobachtete langwierige Starten des Fahrzeugs im August 2015 habe daran gelegen, dass sie kurz vor dem Termin ein neues Fahrzeug erworben habe, das erstmals mit Automatikgetriebe ausgestattet war.
Nachdem der Widerspruch im Mai 2016 zurückgewiesen worden war, erhob die Frau Klage.
Klage gegen Führerscheinentzug
So begründete die Frau, warum ihr der Führerschein nicht entzogen werden dürfe: Eine Gefährdung des Straßenverkehrs durch die fortschreitende Chorea-Huntington-Erkrankung könne durch eine regelmäßige, wiederkehrende Vorstellungspflicht bei der Führerscheinstelle verhindert werden
Da sie für die Aufrechterhaltung ihrer Unabhängigkeit auf den Führerschein angewiesen sei, gebiete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einer intensiven Kontrolle der Fahreignung den Vorzug vor dem Entzug der Fahrerlaubnis einzuräumen.
Behörde hat bei fehlender Fahreignung kein Ermessen
Vor Gericht drang die Frau mit dieser Argumentation nicht durch. Die Klage sei unbegründet, befand das VG Mainz. Der Bescheid zum Entzug der Fahrerlaubnis beruht auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung).
- Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde zwingend, das heißt, ohne dass ihr Ermessen zustünde,
- die Fahrerlaubnis zu entziehen,
- wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist,
- also die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht erfüllt.
Nach dem ärztlichen Guthaben vom September 2015, das die Kammer für nachvollziehbar und überzeugend war, ist die Ungeeignetheit der Klägerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs gegeben.
Private Belange müssen hinter Schutz der Allgemeinheit zurücktreten
Zum Schutz des allgemeinen Straßenverkehrs vor Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer müssten auch die von der Frau geltend gemachten privaten Belange – wie die mit der Nutzung eines Autos verbundene Unabhängigkeit – zurücktreten.
(VG Mainz, Urteil v. 14.06.2017, 3 K 638/16.MZ).
Hintergrund:
Entziehung nach dem StVG und der FeV
Gemäß § 3 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, soweit sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
Aus der Formulierung „hat zu entziehen“ geht hervor, dass der Behörde kein Ermessensspielraum zusteht.
Relevante Krankheitsbilder sind unter anderem Störungen des Gleichgewichtssinns oder auch die parkinsonsche Krankheit, sofern kein leichter Fall gegeben ist.
Auch bei Vorliegen eines zweiten Herzinfarktes soll die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr gegeben sein. Grund für diese Einschätzung ist, dass Herzinfarktpatienten insbesondere nach Durchleiden eines zweiten Herzinfarktes, als akut gefährdet eingestuft werden. Allein diese akute Gefahr von Ausfallerscheinungen lässt die Entziehung der Fahrerlaubnis als gerechtfertigt erscheinen (OVG NRW, Beschluss v. 06.05.2005, 16 B 183/05).
Auch altersbedingte Ausfallerscheinungen können die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen, soweit der Mangel der Befähigung zum Führen eines Fahrzeugs erwiesen ist. Zur Vorbereitung der Entscheidung kann die zuständige Behörde die Beibringung eines Gutachtens verlangen. Fällt dieses negativ aus, hat die zuständige Behörde allerdings in eigener Verantwortung über die Aussagekraft des Gutachtens für die Beurteilung des Betroffenen zu befinden.
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