Fristverlängerung eines Anwalts wegen Urlaub und  Überlastung

Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, sofern er erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit nennt. Das Gericht darf den Antrag nicht aussitzen und irgendwann später als abgelehnt behandeln - so der BGH.

In dem fraglichen Fall war ein Mandant erstinstanzlich zu einer Zahlung von rund 1.000 Euro verurteilt worden. Dagegen hatte sein Anwalt Berufung eingelegt.

Wegen Urlaub Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt

Einen Tag vor Ablauf der Berufungsfrist beantragte der Anwalt per Schriftsatz, unter Hinweis auf seine urlaubsbedingte Abwesenheit und damit einhergehende Arbeitsüberlastung die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern.

Innerhalb dieser "neuen" Frist hatte der Anwalt die Berufung dann begründet und Klageabweisung beantragt. Erst ein dreiviertel Jahr später hatte das Landgericht den Parteien durch Hinweisbeschluss mitgeteilt, dass es die Berufung des Beklagten als begründet erachte, und den Abschluss eines Vergleichs vorgeschlagen. Wiederum ein dreiviertel Jahr später hat der Vorsitzende der Berufungskammer den Beklagten dahin unterrichtet, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt worden sei, weil sich die Akte noch bei dem Amtsgericht befunden habe. Folglich sei die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden.

Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen

  • Kurz darauf hat der Beklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt und begründet.
  • Zwischenzeitlich hat das Landgericht die Berufung des Beklagten durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

Verfassungsverstoß des Landgerichts kritisiert

Den Bundesgerichtshof verwundert dieser Verfahrensablauf und die Bundesrichter nehmen in ihrer Entscheidung kein Blatt vor den Mund.

Der angefochtene Beschluss verletze den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip.

Diese Prinzipien  verbieten es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz aufgrund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste. 

Antrag einfach liegen lassen

Das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass die Berufung des Beklagten nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen werden durfte, wenn sein Antrag auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt worden wäre.

Vorliegend hat der Vorsitzende zwar keine Fristverlängerung gewährt, diese aber auch nicht abgelehnt. In dem viel später folgenden Hinweis, dass dem Antrag nicht entsprochen worden sei, liegt laut Bundesgerichtshof keine wirksame Ablehnung der begehrten Fristverlängerung.

Die Karlsruher Richter erklärten zudem, dass eine Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung einer Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich auch nach deren Ablauf ergehen könne, sofern der Antrag rechtzeitig gestellt worden sei.

Anwalt darf sich auf gefestigte BGH-Rechtsprechung verlassen

Die höchsten deutschen Zivilrichter stellten zudem klar:

Der Anwalt bzw. sein Mandant habe sich für die Entscheidung über den Berufungsbegründungsfristverlängerungsantrag auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlassen dürfen, wonach seinem ersten Fristverlängerungsantrag auf der Grundlage der geltend gemachten Gründe hätte stattgegeben werden müssen.

Zwar müsse der Rechtsmittelführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versage.

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Ein Rechtsanwalt kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Allgemeinen erwarten, dass einem ersten Verlängerungsantrag dann entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgetragen werde.

  • Der erstmalige Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei auf die als erheblich anerkannten Gründe der Arbeitsüberlastung sowie der Urlaubsabwesenheit gestützt worden.
  • Mithin habe der Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass seinem Gesuch entsprochen werde. 

Keine Nachfragepflicht des Anwalts

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs war der Anwalt nicht verpflichtet, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern.

  • Eine Nachfragepflicht komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht.
  • Ein solcher konkreter Anlass sei nicht schon dann gegeben, wenn der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält.

Der Rechtsanwalt müsse sich nicht darüber vergewissern, ob seinem Antrag stattgegeben wurde. Für eine solche Rückfrage bestehe kein erkennbarer Anlass, wenn der Anwalt - wie im Streitfall - mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte. Über einen rechtzeitig bei Gericht eingegangen Fristverlängerungsantrag könne auch noch nach Ablauf der Frist entschieden werden.

Ein Jahr zwischen Fristende und Wiedereinsetzungsantrag

Schließlich scheitert die Gewährung der Wiedereinsetzung laut Bundesgerichtshof auch nicht daran, dass vom Ende der versäumten Frist bis zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ein Zeitraum von einem Jahr verstrichen war.

  • Dem Anwalt und seinem Mandanten sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits von Amts wegen zu gewähren, ohne dass es auf die Beachtung der Jahresfrist ankomme.
  • Eines fristgebundenen Wiedereinsetzungsantrags bedurfte es nicht, weil der Anwalt die versäumte Prozesshandlung fristgemäß nachgeholt habe und die Gründe für die unverschuldete Fristversäumung aktenkundig gewesen seien. 

(BGH, Beschluss v. 26.1.2017, IX ZB 34/16)



Hintergrund: Fristverlängerung

Die Verlängerungsverfügung auf den Antrag auf Fristverlängerung ist dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers bekannt zu geben. Die Einhaltung einer bestimmten Form ist nicht vorgeschrieben. Die Fristverlängerung kann deshalb auch telefonisch mitgeteilt werden. Auch ohne Mitteilung kann der Prozessbevollmächtigte darauf vertrauen, dass seinem erstmals gestellten, unter Darlegung eines der Gründe des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO begründeten Verlängerungsantrag stattgegeben wird.

Reicht er die Berufungsbegründung vor dem Zeitpunkt ein, bis zu dem er Fristverlängerung beantragt hat, kann ihm auf seinen Antrag - aus prozessökonomischen Gründen ohne vorherige Entscheidung über den Verlängerungsantrag - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (BGH, Beschluss v. 10.3.2009, VIII ZB 55/06).