Man muss nicht Reinhold Messner sein, um zu wissen, dass über den Erfolg von Erstbegehungen das WER entscheidet. Die realistische Einschätzung Ihrer Ausgangssituation und eine inspirierende Vision sind wichtig; sich selbst mit seinen Stärken und Schwächen zu kennen jedoch unverzichtbar.
Die SWOT-Analyse kann bei der Kanzleigründung helfen
Die SWOT-Analyse setzt sich aus einem Vierfelder–Quadrat aus Stärken (S=Strenght), Schwächen (W=Weakness), Potenzial (O=Opportunities) und Grenzen (T=Threats) zusammen und soll dazu dienen, einerseits den Istzustand zu evaluieren (Stärken und Schwächen), aber andererseits auch den Blick für Entwicklungspotenziale und Möglichkeiten zu öffnen.
Hier können professionelle Persönlichkeits-Assessments helfen wie
- das Hogan Assessment (das wohl international bekannteste Assessment für Führungskräfte),
- das 360 Grad Feedback,
- das Reiss Profil oder
- die Profile Dynamics (ein Persönlichkeitstest, der an die im 1. Kapitel erwähnten Spiral Dynamics anknüpft)
Aber auch kleinere Tests wie der StrenghtsFinder durchaus brauchbare Ergebnisse liefern.
Empfehlenswert ist zudem die Zusammenarbeit mit einem professionellen Coach, der mit verschiedenen Methoden wie
- dem Shadowing,
- dem Spiegeln,
- der Provokation oder
- dem Feedback
individuelle Marker und Paradigmen herausarbeiten kann.
Kriterien für eine erfolgreiche Kanzleigründung
Der Erfolg der Kanzleigründung wird nur zu einem geringen Teil von Ausbildung und Erfahrung bestimmt. Fast wichtiger ist das Kontaktnetzwerk; entscheidend sind jedoch die Persönlichkeit und die unternehmerischen Fähigkeiten des Gründers.
Persönlichkeit ist als ein limitierender Aspekt. Besonders wichtig für Gründer ist dabei die persönliche Belastbarkeit (Resilienz → Resilienz - was ist das eigentlich?), Flexibiliät und die Bereitschaft, sich jenseits der eigenen Komfortzone zu befinden, sind weitere Aspekte. Und selbstverständlich sollte dieser Klärungsprozess nicht auf nur einen von mehreren Kanzleiinhabern beschränkt sein, sondern auf die gesamte Partnerschaft sowie den Mitarbeiterstab ausgeweitet werden.
Weil es auf die beteiligten Menschen ankommt, sollten auch die vorhandenen und potenziellen Mandanten einbezogen werden sowie etwaige Kooperationspartner, wie beispielsweise Netzwerke und Versicherungen, Prozessfinanzierer, ADAC u.ä. die mit sog. Vertragsanwaltsstatus durchaus zum “Brot-und-Butter-Geschäft” beitragen können.
Neben dem Potenzial, welches in den eigenen und den Fähigkeiten der Kollegen und Mitarbeiter begründet ist – also im weitesten Sinne “human resources” (HR) - liegen oft ungenutzte und nicht beachtete Ressourcen in den Finanzen und im Marketing.
Finanzielle Ressourcen, Marketing und Vertrieb
Statt Einsparungen, Kostensenkung und Bemühungen um Investitionen, kann Mandatsoptimierung mit Hilfe von Legal Tech und Legal Project Management oft deutlich bessere und schnellere Ergebnisse erzeugen.
Finanzielle Ressourcen können sich einerseits aus Einsparungen ergeben: durch strikte Kosten- und Investmentkontrolle (Controlling), Effektivierung von Kanzleiprozessen und Optimierung des Mandatsservice z.B. durch Legal Project Management, aber auch durch Legal Tech, also den Ersatz teurer, ineffizienter menschlicher Arbeit durch preiswertere Software.
Andererseits geht es aber auch um Investments, Finanzierungen und die Ausschöpfung von Fördermitteln. Nach meiner Erfahrung haben sich die allerwenigsten Kollegen mit der Vielfalt an Möglichkeiten auseinandergesetzt, was auch daran liegen mag, dass Kanzleigründung heute nicht mehr mit einem Kanzleikauf mit einer größeren Summe verbunden ist. Das mag aber auch daran liegen, dass bei vielen Kollegen heute immer noch der Glaubenssatz vorherrscht, die Kanzlei lieber “klein und fein, aber mein” zu gestalten, als sich mit einem großen Schuldenberg dem Erfolg zu verpflichten.
Systematisches Online-Marketing - noch immer ein blinder Fleck vieler Gründer
Letztlich sind auch die Möglichkeiten, die sich aus systematischem (online-) Marketing und Vertrieb ergeben, noch wenig bekannt und einkalkuliert. Zwar gehört Marketing (neben der Akquise) für die meisten heute selbstverständlich dazu (Artikel, Flyer, Anzeigenschaltung, Logo etc.) und ebenso die Webseite. Systematisches Online-Marketing ist hingegen für viele Kollegen noch ein unbekanntes Land.
Man fürchtet die technische Seite und aus früheren Jahren blieb das entlastende Empfinden einer Unklarheit, wieweit es das Berufsrecht zulässt. Selbst der anwaltliche Berufsverband DAV lässt hier seine Mitglieder weitgehend im Stich und auf sich allein gestellt. Einige wenige Mutige probieren es aus, beherrschen den Markt, finden ihren Weg und wichtiger: Mandanten und ins Geschäft.
Der Gründer muss sich für seine Kanzlei überprüfbare Ziele setzen
Egal auf welchem Weg er sie zu erreichen gedenkt, spätestens jetzt ist es an der Zeit, aus der Kanzleivision ein realistisches Ziel herauszuarbeiten, an dem man sich und die Kanzlei messen kann.
Die SMART Formel hilft, das aus der Kanzleivision entwickelte Ziel
- spezifisch (S),
- messbar (M),
- attraktiv (A),
- realistisch (r) und
- terminiert (T)
zu formulieren. Mit smarten Zielen können kurzfristig ebenso wie langfristig strategische Zielsetzungen und innerhalb des Business Planes und der Budget Planung überprüft und auch erreicht werden.
Am Ende ein Wort zum Kanzleigründer selbst: Oben wurde schon kurz die Bedeutung des Resilienzfaktors angesprochen, also jenem Messwert, der für die persönliche Belastbarkeit steht. Dieser wird ebenso wie das Stärken/Schwächen-Profil nicht unwesentlich vom persönlichen Netzwerk aus Freunden und Familie getragen.
Ein Abenteuer startet man am besten bei guter Gesundheit mit verlässlichen, vertrauenswürdigen Partnern – vor allem im privaten Bereich. Die fallen nicht vom Himmel. Auch das beruht auf persönlichem Investment und Vorleistung.
→ Dr. Geertje Tutschka ist Juristin, Beraterin und Coach sowie Präsidentin der deutschen Sektion der International Coach Federation (ICF). In ihrem Fachbuch „Kanzleigründung und Kanzleimanagement“ beschäftigt sie sich mit dem Gründungsthema.