Modernisierung des anwaltlichen Berufsrechts kommt nicht voran

Legal Tech wirkt sich auf den Rechtsmarkt aus: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat im Bundestag einen Antrag eingereicht, das anwaltliche Berufsrecht endlich zukunftsfest zu machen. Regelmäßige Gebührenerhöhungen, mehr Freiraum für Erfolgshonorare, neue Rechtsformen und Prozessfinanzierungen durch Anwälte bei kleineren Streitwerten stehen dabei auf der Agenda.

Nachdem es zunächst die FDP im April 2019 mit einem Vorschlag zur Modernisierung des anwaltlichen Berufsrecht versuchte, bemüht sich nun mit den Grünen die nächste Oppositionspartei, die Regierungsparteien endlich zu bewegen, der Anwaltschaft mehr Sicherheit im Umgang mit Legal Tech zu eröffnen.

Anwaltschaft soll in Zeiten der Digitalisierung im Rennen bleiben können

Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Anwaltschaft gegenüber Legal-Tech-Angeboten wie „flightright“ zur Durchsetzung von Fluggastrechten, „geblitzt.de“ zur Abwehr von Bußgeldern, „wenigermiete.de“ und ähnlichen rechtlich umstrittenen (→ Vertragsgenerator von Smartlaw verstößt gegen das RDG), aber um sich greifenden Angeboten steht im Fokus der Initiative der Grünen.

Aufforderung an die Bundesregierung, in Berufsrecht der Anwälte endlich zu handeln

Mit ihrem Antrag fordern die Grünen die Bundesregierung zum Handeln auf, nachdem sich auf das vom BMJV bereits im August 2019 zur Reform des Anwaltsrechts vorgelegte Eckpunktepapier bisher wenig getan hat. Die grüne Bundestagsfraktion fordert von der Bundesregierung diverse Maßnahmen:

Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Zulassung von Erfolgshonoraren

Die Grünen kritisieren, dass nichtanwaltliche Dienstanbieter wie „flightright“ oder „wenigermiete.de“ gegenüber der Anwaltschaft einen Wettbewerbsvorteil dadurch haben, dass sie ihre Dienstleistung gegen Erfolgshonorar anbieten können. Verbraucherinnen und Verbraucher würden dadurch bei niedrigen Streitwerten dazu verleitet, an der anwaltlichen Beratung vorbei andere Dienstleister in Anspruch zu nehmen.

Deshalb müsse durch eine Änderung des § 49 b BRAO Anwälten die Möglichkeit eingeräumt werden, im niederschwelligen Bereich ebenfalls Erfolgshonorare zu vereinbaren, wobei der Antrag der Grünen hinsichtlich der Streitwerthöhe einen Rahmen von bis zu 2.000 Euro, gegebenenfalls auch höher, für sinnvoll hält.

Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung

Mit ihrer Initiative fordern die Grünen die Bundesregierung zur Prüfung der Frage auf, inwiefern in Einzelfällen eine Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung (Übernahme der Gerichtskosten) sinnvoll sein kann. Auch diese Forderung dient der Herstellung der Chancengleichheit zwischen Anwaltschaft und nicht anwaltlichen Dienstleistern, die sich von Verbrauchern Forderungen abtreten lassen und diese dann für die Verbraucher kostenfrei vor Gericht geltend machen. Die Grünen legen allerdings Wert darauf, dass im Rahmen einer Liberalisierung dieser Frage die anwaltlichen Grundprinzipien wie die anwaltliche Unabhängigkeit und das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen strikt zu beachten ist. Da hierzu aus den Reihen der Anwaltschaft bereits einige sinnvolle Vorschläge vorliegen, wird die Bundesregierung aufgefordert, hierzu in einen Dialog mit den berufsständischen Kammern und Verbänden der Anwaltschaft zu treten.

Ausweitung der interprofessionellen Zusammenarbeit

In ihrer Initiative kritisieren die Grünen, dass nach dem Wortlaut des § 59 a BRAO noch immer lediglich rechts- und wirtschaftsberatende Berufe wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Prüfer und Patentanwälte für Rechtsanwälte kooperations- und sozietätsfähig sind. Nachdem das BVerfG die Vorschrift des § 59 c Abs. 2 Satz 1 BRAO - wonach die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte Rechtsanwälten zustehen muss – und die Untersagung der Kooperationen von Rechtsanwälten zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit Ärzten und Apothekern in Partnerschaftsgesellschaften durch § 59 a Abs. 1 BRAO für verfassungswidrig erklärt hat (BVerfG, Beschluss vom 12.1.2016, 1 BvL 6/13), wird die Bundesregierung aufgefordert, sich mit den Vorschlägen der Anwaltschaft zum Ausbau der interprofessionellen Zusammenarbeit auseinanderzusetzen. Allerdings weist der Initiativvorschlag der Grünen in diesem Punkt ausdrücklich auf die Bedeutung der Berücksichtigung der Anforderungen des anwaltlichen Berufsgeheimnisses und der anwaltlichen Unabhängigkeit bei der Erlaubnis der Kooperation mit anderen Berufsgruppen hin (→ Keine Bürogemeinschaft zwischen Rechtsanwalt und Mediator).

Ausweitung der zulässigen Rechtsformen

Nach Auffassung der Grünen-Fraktion führt eine mögliche Ausweitung der interprofessionellen Zusammenarbeit zu dem Erfordernis einer Ausweitung der hierfür zulässigen Rechtsformen. Sie fordert daher von der Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Ausweitung der Rechtsformen. Dabei legt die Grünen-Fraktion allerdings Wert auf Zurückhaltung hinsichtlich eines Abrückens vom bislang geltenden Fremdbesitzverbot, um Verschiebungen zulasten der freiberuflichen Rechtsanwälte durch Eintritt großer Kapitalgesellschaften in den Rechtsdienstleistungsmarkt möglichst einzudämmen.

Regelmäßige Gebührenerhöhungen

Auch hier fordert die Initiative der Grünen-Fraktion von der Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs. Die Grünen-Fraktion schlägt die Festschreibung einer linearen Anpassung, hilfsweise eine verbindliche Regelung zu einer regelmäßigen Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung in Anlehnung an die Tariflohnentwicklung in Anpassungsintervallen von maximal vier Jahren vor.

In ihrem Initiativschreiben verweisen die Grünen auch hier auf den zunehmenden Wettbewerb der Anwälte mit nicht anwaltlichen Dienstleistern, auf steigende Kosten für Gehälter, Fortbildungen, Mieten und insbesondere auch die Kosten durch Neuerungen im Zuge der Digitalisierung. Diese stetige Erhöhung der Kostenbelastung der Anwälte erfordere eine kontinuierliche Anpassung der anwaltlichen Vergütung.

Schutz für kleinere Anwaltskanzleien

Insbesondere für die nicht geringe Zahl der Allgemeinanwälte, die „Hausärzte des Rechtsstaats“, sind nach Auffassung der Grünen solche automatischen Anpassungen existenziell. Es sei nicht hinnehmbar, dass die letzte Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung aus dem Jahre 2013 datiert und somit die aktuelle Kostenbelastung der Anwälte schon lange nicht mehr auffangen könne. Um solche langen Zwischenzeiträume zu vermeiden, sei ein Automatisierungsmechanismus unabdingbar, der zu einer stetigen Anpassung der Vergütung führt. Nur so könnten insbesondere kleinere Allgemeinkanzleien auf Dauer konkurrenzfähig bleiben, nur so sei der Zugang zum Recht für jedermann auf Dauer zu bewahren.

Aufwachen: Wiederbelebung einer eingeschlafenen Diskussion

Die Initiative der Grünen-Fraktion zielt darauf ab, die Diskussion über die bereits seit Mitte 2019 vorliegende Eckpunkte des BMJV wiederzubeleben. In einigen Punkten geht der Vorschlag der Grünen insbesondere hinsichtlich der Konkurrenz zum Legal-Tech-Segment über das Eckpunktepapier des BMJV hinaus. Im Vergleich zu einem Vorschlag der FDP vom April 2019 ist Initiative der Grünen mit Blick auf die Wahrung der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts jedoch eher vorsichtiger formuliert. Der Handlungsbedarf für die Bundesregierung ist in jedem Fall unabweisbar.



Hintergrund: K(l)eine Berufsrechtsreform im Mai 2017

Großer Anlauf, kurzer Sprung: Unspektakulär trat am 18.5.2017 die Neuregelung des anwaltlichen Berufsrechts in Kraft. Was als grundlegende Neujustierung des Berufsrechts der Rechtsanwälte /  Patentanwälte angekündigt wurde, war im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zum Reförmchen geschrumpft. Das anwaltliche Berufsrecht wurde in einigen Punkten geändert und die überfällige Regelung grenzüberschreitende Tätigkeit in der EU aufgenommen. Große neue Themen wurden nicht in die Hand genommen.


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