In einem noch nicht veröffentlichen Urteil hat das OLG Frankfurt ehrverletzende Äußerungen einer Schwiegermutter in Bezug auf ihren Schwiegersohn in einem weitgehenden Umfang zugelassen und den engeren Familienkreis zu einer Zone erklärt, in der eine offene Kommunikation dem allgemeinen Schutz der Ehre vorgeht.
Vater schubst Sohn aus dem Zimmer
Der Kläger ist mit der Tochter der beklagten Schwiegermutter verheiratet. Er und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder. Anfang des Jahres 2016 kam es zu einem erbitterten Ehestreit. Der Kläger wollte verhindern, dass sein minderjähriger Sohn den Streit mit anhört und schicke diesen aus dem Zimmer. Als dieser den Raum nicht von alleine verließ, fasste der Kläger seinen Sohn am Nacken und schubste ihn von hinten in Richtung Zimmertür, „damit er ein wenig schneller laufe“, wie der Kläger sich ausdrückte.
Ehefrau filmt Szene zum Ehestreit
Die Ehefrau des Klägers nahm die häusliche Szene auf Video auf und gab dieses ihrer Mutter zur Aufbewahrung. Auf dem Video war unter anderem der weinende, sich am Hals fassende Sohn zu sehen.
Schwiegermutter wirft Schwiegersohn Kindesmisshandlung vor
Dies nahm die Mutter der Ehefrau zum Anlass, ein „Protokoll über Misshandlungen“ zu erstellen, in welchem sie eine ganze Reihe weiterer Verhaltensweisen des Ehemannes ihrer Tochter auflistete.
- Das Video samt Protokoll versandte die Schwiegermutter per WhatsApp an ihre Schwester und bat diese um Weiterleitung der WhatsApp an die gemeinsame Mutter.
- Damit nicht genug, stellte die Schwiegermutter gegen ihren Schwiegersohn Strafanzeige wegen Kindesmisshandlung
- und legte sowohl der Polizeibehörde als auch dem Jugendamt das Video samt "Misshandlungsprotokoll" als Nachweis vor.
Schwiegersohn zieht Schwiegermutter vor Gericht
Der Ehemann verklagte daraufhin die Schwiegermutter auf Unterlassung der wesentlichen, in dem Protokoll enthaltenen Aussagen hinsichtlich der behaupteten Kindesmisshandlung und beantragte darüber hinaus, der Schwiegermutter die weitere Verbreitung ihrer nach seiner Auffassung verleumderischen und beleidigenden Behauptungen zu untersagen.
Beleidigungsfreie Sphäre Familie
Sowohl das LG also das OLG wiesen die Klage des Schwiegersohns ab. Die Äußerungen der Schwiegermutter seien zwar ehrverletzend aber als sogenannte privilegierte Äußerungen im engeren Familienkreis zu qualifizieren.
- Die Äußerungen seien in dem ehrschutzfreien Raum Familie gefallen und deshalb nicht rechtswidrig.
- Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung existiere ein Bereich besonderer vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen (BVerfG, Beschluss v. 29.6.2009, 2 BvR 2279/07; Beschluss v. 26.4.1994, 1 BvR 1689/88),
- wozu insbesondere der engste Familienkreis gehöre.
- In diesem Kreis gehe eine ungestörte vertrauliche Kommunikation dem Schutz der Ehre vor.
- Innerhalb dieses Rahmens existiere in der Familie deshalb eine „beleidigungsfreie Sphäre“, ein Freiraum, in welchem sich engste Verwandte untereinander frei aussprechen könnten, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen.
Wegen der im Kreis der engsten Familie bestehenden besonderen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen genössen solche Äußerungen, die außerhalb dieses geschützten Raumes eigentlich strafbar wären, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre vorgehe.
Kommunikation über WhatsApp fällt in den Schutzbereich
Das OLG vertrat die Auffassung, dass auch die Schwester und die Mutter der beklagten Schwiegermutter zum engsten Familienkreis gehören und hier ein rechtlich geschütztes Bedürfnis bestehe, sich über den Schwiegersohn frei auszutauschen. Dies gelte auch dann, wenn ein solcher Austausch mittels eines elektronischen Dokuments als Anlage zu einer WhatsApp erfolge.
Information von Jugendamt und Polizei rechtmäßig
Daneben stellte das OLG klar, dass die Äußerungen, soweit sie an Kriminalpolizei und Jugendamt weitergeleitet worden seien, ohnehin rechtmäßig waren.
- Ein Unterlassungsanspruch komme insoweit von vornherein nicht in Betracht, denn
- ein Anspruch auf Unterlassung wäre mit dem Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz sowie auf rechtliches Gehör unvereinbar.
Wenn rechtliche Äußerungen in einem Prozess oder die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten und Rechte in einem Strafverfahren aus Gründen des Ehrenschutzes zu straf- und zivilrechtlichen Nachteilen führen könnten, weil sich eine Behauptung später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder unaufklärbar erweist, so würde dies jeden effektiven Rechtsschutz zunichte machen.
Der Kläger scheiterte mit seiner Klage gegen die Schwiegermutter auf ganzer Linie. In der Familie darf demnach in vertraulicher Atmosphäre nach Lust und Laune gestritten und gefilmt werden, auch wenn damit jedes Restvertrauen der Familienmitglieder zerstört wird.
(OLG Frankfurt, Urteil v. 17.1.2019, 16 W 54/18).