Was bei den Ärzten der Privatpatient, das sind bei den Anwälten nicht etwa die rechtsschutzversicherten Mandanten, sondern die gewerblichen Mandate und wohlhabende Privatpersonen. Denn der Anwalt wird bekanntlich nach dem Gegenstandswert honoriert. Ist der aber niedrig, wie in den meisten Fällen, fällt auch der Verdienst sehr mager aus.
Vom Prinzip her wäre dagegen ja nichts einzuwenden, wenn genügend Fälle mit hohen Streitwerten da wären, um die defizitären Fälle so auszugleichen. Doch dieses Prinzip der Quersubventionierung, das ursprünglich einmal zum common sense der deutschen Rechtskultur gehörte, weil man eben auch den ärmeren Bevölkerungsschichten gleichen Zugang zum Recht verschaffen wollte, ist erheblich in Schieflage geraten.
Zugang zum Recht steht auf dem Spiel
Das belegt eine Studie des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement. Danach gaben knapp 2/3 der Anwälte aus Einzelkanzleien und kleinen Bürogemeinschaften an, dass die Quersubventionierung in ihrer Kanzlei versage, während in Sozietäten mit mehr als 10 Anwälten lediglich 20 Prozent diese Meinung teilen.
Das Prinzip der Quersubventionierung ist alt, sehr alt. Es wurde ursprünglich konzipiert, als es in Deutschland nur Ein-Mann-Kanzleien gab. Im modernen Anwalts- und Rechtsmarkt gibt es dagegen die unterschiedlichsten Kanzleitypen und –größen, wodurch sich lukrative und weniger lukrative Mandate ungleich verteilen.
Spezialisierung und Rationalisierung als Ausweg?
Anwälte, die also vornehmlich Privatpersonen betreuen, sind damit permanent der Gefahr ausgesetzt, tief rote Zahlen zu schreiben. Und weil die Großkanzleien sich immer mehr auf die Fälle mit hohen Streitwerten konzentrieren und kleineren Kanzleien damit die lukrativen Wirtschaftsmandate "wegschnappen", bleibt den kleinen Kanzleieinheiten im Grunde genommen nur, sich zu spezialisieren, um sich so wenigstens in Nischenmärkten für zahlungskräftige Klientel lukrativ zu machen.
Oder aber sie optimieren ihre Kanzleiabläufe so, dass sie die Fallzahlen erhöhen können und sich damit die Kosten pro Fall reduzieren. Das bloße Hoffen auf zwei, drei dicke Fische innerhalb eines Jahres führt dagegen schnurstracks in die Liquiditätsfalle.
Qualifizierter Rechtsrat wird teurer
Andererseits können die Rechtsuchenden angesichts dieser geänderten Marktverhältnisse künftig nicht mehr erwarten, dass der Anwalt ihres Vertrauens für die Betreuung des Mandats noch Geld drauflegt. Sie müssen respektieren, dass eine Anwaltskanzlei ein Unternehmen ist, das nicht nur kostendeckend, sondern gewinnorientiert arbeiten muss. Wo dieses Bewusstsein fehlte, half in der Vergangenheit die gesetzliche Gebührenstruktur nach, weil das Mischverhältnis aus einfachen und komplizierten Fällen und niedrigen und hohen Streitwerten im Wege einer Quersubventionierung zu ausgeglichenen Ergebnissen führte.
Nach der 2-Klassen-Medizin bald 2-Klassen-Rechtsberatung?
Über kurz oder lang wird es somit für die Bevölkerung zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirchen schwieriger, flächendeckend für jeden Fall auf Anhieb einen Rechtsanwalt zu finden – zumindest nicht ohne entsprechende Honorarvereinbarung. Und ähnlich wie im Gesundheitswesen wird es wohl zu einer 2-Klassen-Rechtsberatung kommen.
Die Politiker werden das zwar stoisch dementieren; doch in der Sache wird die qualifizierte Rechtsberatung perspektivisch für den Otto-Normalverbraucher wesentlich teurer.
Das wiederum könnte die Hemmschwelle, überhaupt einen Anwalt aufzusuchen, nochmals erhöhen. Neben dem Konkurrenzdruck durch nach wie vor zu hohe Zulassungszahlen erwächst hieraus auf Sicht der nächsten Jahre ein weiterer Negativfaktor, der die Konsolidierungswelle im Anwaltsmarkt weiter forcieren wird.
Rechtspolitisches Gesamtkonzept fehlt
Politisch gesehen fehlt es ohnehin an einem tragfähigen Zukunftskonzept im Rechtswesen. Die meisten Politiker lassen zwar keine Gelegenheit aus, der Beratungsqualität und damit dem Verbraucherschutz die Stange zu halten. Parallel senken sie aber die Ausgaben, wo es nur geht. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist die seit Anfang des Jahres in Kraft getretene Erschwerung der Prozesskostenhilfe bei gleichzeitiger Anhebung der Gerichtsgebühren. Rechtspolitiker und ihre Wähler müssen sich darüber klar sein, dass die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit professionellem Rechtsrat in Deutschland damit der Geschichte angehört - ganz so wie der Gedanke der Kompensation für defizitäre Mandate durch die Quersubventionierung.Aus Managementsicht kann man insbesondere jungen Anwälten nur davon abraten, Mandate anzunehmen, bei denen sie definitiv nichts verdienen können.