Schmerzensgeld und Verkehrssicherungspflicht beim Reitunterricht

Eine Reitschule haftet nur dann für einen Unfall, wenn sie ihn durch Verletzung ihre Verkehrssicherungspflicht oder zurechenbares Fehlverhalten der Reitlehrerin verursacht hat. Das OLG Hamm verneinte den Schmerzensgeldanspruch einer Geschädigten, da eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht festgestellt werden konnte.

Im September 2010 nahm die damals 5-jährige Klägerin zusammen mit fünf weiteren Kindern am Reitunterricht in der Reitschule der Beklagten teil. Das Pony, auf dem die Kinder abwechselnd saßen, wurde dabei von einer 20-jährigen Aushilfe an einer 1-2 Meter langen Longe geführt.  

Kleinkind stürzt vom Pony

Im Rahmen einer Gleichgewichtsübung am Ende der Reitstunde sollten die Kinder im Schritttempo des Ponys auf Kommando die Hände vom Haltegriff nehmen und freisitzend Klatschen. Das Mädchen rutschte dabei vom Pony und brach sich einen Oberarmknochen. Nach einem einwöchigen Krankenhausaufenthalt musste die Klägerin weitere fünf Wochen einen Gips tragen und noch im Februar 2011 Krankengymnastik in Anspruch nehmen, um Streck- und Beugedefizite des Ellenbogengelenks zu behandeln.

Schmerzensgeldforderung und eine Reihe von Vorwürfen

Die Klägerin warf der Inhaberin der Reitschule eine schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Sorgfaltspflichten vor und verlangte daher Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 EUR. Zur Begründung führte sie unter anderem an, dass Pferd und Reiterin am Ende der Reitstunde gegen 17.00 Uhr für die Art dieser Übung auf einem ungesattelten Pferd zu erschöpft und müde gewesen seien.

Informationen über den Gesundheits- und Entwicklungsstand der Kinder wurden vorher nicht eingeholt. Die Aushilfe der Beklagten sei nach Alter und Ausbildung nicht hinreichend qualifiziert, Reitunterricht mit kleineren Kindern durchzuführen. Die Unterrichtsgruppe sei zu groß und das Reitgelände zu hart gewesen. Das angerufene Landgericht wies die Klage zurück. Auch mit der hiergegen eingelegten Berufung blieb die Klägerin erfolglos. Das OLG Hamm bestätigte das erstinstanzliche Urteil und verneinte sowohl eine schadensursächliche Pflichtverletzung der Inhaberin als auch ein zurechenbares Fehlverhalten der Reitlehrerin.

Keine Tierhalterhaftung

Da die Klägerin nicht wegen eines unberechenbaren oder selbständigen Verhaltens des Ponys herunterfiel, hat sich auch keine spezifische Tiergefahr verwirklicht. Eine Tierhalterhaftung gem. § 833 Satz 1 BGB schlossen die Richter daher aus. Einen Anspruch aus Garantie- oder Gewährvertrag schlossen die Richter ebenfalls aus. Im Anmeldeformular der Reitschule war ein allgemeiner Hinweis auf einen bestehenden Versicherungsschutz zu finden. Damit übernahm aber die Beklagte keine generelle, verschuldensunabhängige Haftung für jegliche Unfälle mit einem Pony oder Pferd.

Keine Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht

Eine Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 241 Abs. 2 BGB ist der Beklagten nicht vorzuwerfen. Mit der Durchführung von Reitunterricht hat die Beklagte zwar eine Gefahrenlage geschaffen, allerdings hat sie nach Auffassung der Richter alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf und die ihm den Umständen nach zumutbar sind.

Kein Organisationsverschulden

Die Beklagte hatte für die zu organisierende Beaufsichtigung des Reitunterrichts eine pferdeerfahrene, noch jugendliche Aufsichtsperson ausgewählt. Dies sei vorliegend nicht zu beanstanden gewesen. Die 20jährige war selbst langjährige Reiterin gewesen und hatte ein Praktikum in einer Kindestagesstätte absolviert. Zur Durchführung von Reitstunden für kleinere Kinder war sie daher ohne weiteres in der Lage. Auch ließ sich ein nach § 278 Satz 1 BGB zuzurechnendes Fehlverhalten der Aushilfe nicht feststellen. Sie hatte die Kinder gut auf die Gleichgewichtsübung vorbereitet und war weder unaufmerksam noch abgelenkt. Aufgrund der zusammengerollten Longe hat sie in geringer Entfernung zur Klägerin gestanden. Sie konnte den Stürz nicht verhindern, da das Mädchen unvermittelt zu der gegenüberliegenden Seite rutschte. Ein pflichtwidriges Fehlverhalten sei darin nicht zu erkennen.

Vorwürfe nicht hinreichend dargelegt

Ohne konkrete Anhaltspunkte, die vorliegend nicht ersichtlich waren, habe die Beklagte auch nicht im Vorfeld den Gesundheits- und Entwicklungsstand der Kinder abfragen müssen. Die Gruppengröße selbst führte ebenfalls nicht zu einer Gefahrerhöhung, denn die Kinder saßen immer alleine auf dem Pony. Die Durchführung des Reitunterrichts in der Zeit bis 17.00 Uhr und auf einem geeigneten Reitgelände im Freien ist üblich und führt nicht zu einer vermeidbaren Gefahrenerhöhung. Auch die Gleichgewichtsübung im Schritttempo ist gängig und für kleinere Kinder geeignet. Die dem Pony aufgelegte Pferdedecke mit Haltegriff war nach Auffassung der Richter nicht zu beanstanden.

Deliktische Haftung scheidet aus

Da die Richter bereits eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch fehlerhafte Organisation ausschlossen, war auch eine deliktische Haftung der Beklagten nach den § 823 Abs. 1 und 2 BGB, § 229 StGB zu verneinen. Ein Anspruch aus Haftung der Beklagten für Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB war abzulehnen, da sich die Aushilfe selbst rechtmäßig verhalten hat und auch die Auswahl der Aufsichtsperson und deren Überwachung durch die Beklagte nicht zu beanstanden waren. 

(OLG Hamm, Urteil v. 11.1.2013, 12 U 130/12).


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