Austausch des Pflichtverteidigers kann nicht erzwungen werden

Präsentiert ein mittelloser Angeschuldigter trotz beigeordnetem Pflichtverteidiger wenige Wochen nach der U-Haft einen Wahlverteidiger, kann das Gericht die Entpflichtung des Pflichtverteidigers ablehnen: Eine Umbeiordnung kann nicht ohne wichtigen und substantiiert vorgetragenen  Grund vom Beschuldigten durch Präsentation eines neuen Wahlverteidigers erzwungen werden.

Der Fall betraf einen Mann, der sich wegen des Verdachts bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion seit dem 03.06.2017 in Untersuchungshaft befand.

Nachdem ihm der Ermittlungsrichter Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers seines Vertrauens gegeben hatte, hat er die Bestellung des Pflichtverteidigers in das Ermessen des Gerichts gestellt. Eine Bedenkzeit hatte er nicht erbeten. Ihm wurde daraufhin Rechtsanwalt W als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 06.06.2017 beantragte Rechtsanwalt W die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Nachdem er Akteneinsicht genommen hatte, besuchte er am 12.06.2017 den Angeschuldigten in der Haft.

Zur Haftprüfung erschienen der Pflichtverteidiger und ein Wahlverteidiger

Zum Termin der mündlichen Haftprüfung am 27.06.2017 erschien neben Rechtsanwalt W auch Rechtsanwalt L, der sich als Verteidiger zum Verfahren meldete und eine Vollmacht des Angeschuldigten zur Akte reichte. Dieser erklärte, er sei mit dem Pflichtverteidiger W „nicht zufrieden“.

  • Dieser mache „seine Sache nicht so, wie er sollte“.
  • Er habe „tagelang“ versucht, ihn anzurufen.
  • Sie hätten „keinen Kontakt“ gehabt.

Rechtsanwalt W erklärte daraufhin, dass sein Büro stets besetzt sei und wies auf den Besuch vom 12.06.2017 hin. Der Angeschuldigte und Rechtsanwalt L beantragten dennoch die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W und die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger.

Mittellosigkeit des Mandanten steht Auswechslung des Pflichtverteidigers entgegen

Diese Auswechslung lehnte der Vorsitzende der Strafkammer jedoch ab. Zwar hatte sich Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger zum Verfahren gemeldet - die Bestellung von Rechtsanwalt W nahm das Kammergericht Berlin aber gleichwohl nicht nach § 143 StPO zurück.

  • Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen,
  • wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt.
  • Es ist aber in der Rechtsprechung gegen den Wortlaut dieser Vorschrift anerkannt,
  • dass ausnahmsweise eine Zurücknahme der Bestellung nicht zu erfolgen hat,
  • wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen.

Dies ist laut Kammergericht Berlin beispielsweise der Fall, wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten wieder niederlegt, so dass nur durch ein Fortbestehen der Pflichtverteidigung eine ordnungsgemäße Verteidigung sichergestellt werden kann.

Ausdrücklich lehnen es die Berliner Richter ab, dass ein Mandant quasi die Auswechslung des Pflichtverteidigers erzwingen könnte, indem er dem Gericht einen Wahlverteidiger präsentiert. Dies sei ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen.

Kein durchgreifender Vertrauensverlust

Auch der vom Mandanten geltend gemachte Vertrauensverlust führt nicht zur Aufhebung der Beiordnung, befand das Kammergericht. Zwar sei anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist.

Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet.

Das ist aber nach Ansicht des Kammergerichts nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen.

  • Der Beschuldigte habe keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt.
  • Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden
  • und ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen. 

Vorliegend behauptete der Mandant zwar, dass das Vertrauensverhältnis zu seinem Pflichtverteidiger zerrüttet sei, weil Rechtsanwalt W „seine Sache nicht so (mache), wie er sollte“.

Keine konkreten Angaben zu Versäumnissen des Pflichtverteidigers

Das Gericht vermisste aber konkrete Angaben zu entsprechenden Versäumnissen des Pflichtverteidigers. Dieser habe sich vielmehr korrekt verhalten, weil er unmittelbar nach der Beiordnung die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung beantragt, Akteneinsicht genommen und den Mandanten in der Haft besucht hatte. Auch soweit der Mandant behauptet,  er habe „tagelang“ versucht, den Pflichtverteidiger anzurufen, fehlt es an Substanz, wann, an welchen Tagen, um welche Uhrzeiten der Mandant den Pflichtverteidiger angerufen haben will.

Bei der Gelegenheit wies das Gericht darauf hin, dass es nicht zu den Pflichten eines Pflichtverteidigers gehört, (ständig) für den Beschuldigten telefonisch erreichbar zu sein.

Die Konstellation sei nicht mit Fällen vergleichbar, in denen der Pflichtverteidiger den Beschuldigten Monate nach der Inhaftierung weder besucht noch schriftlich kontaktiert hatte.

(Kammergericht Berlin, Beschluss v. 9.8.2017, 4 Ws 101/17 - 161 AR 164/17).




Hintergrund:

Wechsel des Pflichtverteidigers

Kommt es im Verlauf des Verfahrens zu einer nicht mehr heilbaren Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger, kann die Rücknahme der Bestellung angezeigt sein (ausführlich hierzu Hellwig/Zebisch NStZ 2010, 602). Die Anforderungen hierfür sind jedoch hoch.

Der bloße Wunsch des Angeklagten, künftig von einem anderen Rechtsanwalt vertreten zu werden, genügt nicht (KK-Laufhütte, § 143 StPO Rn. 5).

Kein Mittel zur Verfahrensverzögerung

Nach der Rechtsprechung muss dem Angeklagten auch die Möglichkeit verwehrt bleiben, einen grundlosen und nicht gebotenen Verteidigerwechsel zu erzwingen, da er es andernfalls in der Hand hätte, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis einen Verteidigerwechsel herbeizuführen, um damit möglicherweise auch das Verfahren zu verzögern (BGH NJW 1993, 3276; OLG Hamm NJW 2006, 2562).

Der Maßstab für die zur Begründung der im Entpflichtungsantrag vorgetragenen Gründe ist enger als bei der Auswahl des Pflichtverteidigers, wenn der Beschuldigte zur Auswahl seines Pflichtverteidigers gem. § 142 Abs. 1 StPO angehört worden ist. Dann kann nämlich davon ausgegangen werden, dass ihm der Anwalt seines Vertrauens beigeordnet worden ist (OLG Hamm, Beschluss v. 26.01.2006, 2 Ws 30/06).

  • Es genügt deshalb der unsubstantiierte, nicht mit einer nachvollziehbaren Begründung versehene Hinweis des Angeklagten, er habe kein Vertrauen (mehr) zu dem vom Gericht bestellten Verteidiger, nicht
  • und auch die nicht mit bestimmten Tatsachen belegte Behauptung des Verteidigers, das Vertrauensverhältnis sei zerstört, ist unzureichend (BGH NStZ 1988, 420).
  • Es müssen vielmehr Umstände substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht werden, die bei objektiver Betrachtung eine Erschütterung des Vertrauens des Angeklagten zu dem bestellten Pflichtverteidiger besorgen lassen (BGH NStZ 2004, 632; BGH NStZ-RR 2005, 240).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


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