Abweichende Würdigung erfordert erneutes Beweisverfahren
In dem Fall war ein Internist und Sportmediziner von dem beklagten Chefarzt an der Wirbelsäule operiert worden. Drei Tage nach dem Eingriff waren der Leukozytenwert des später klagenden Patienten grenzwertig und der CRP-Wert deutlich erhöht. In den folgenden drei Tagen zeigte der Patient vom unteren Rückenbereich bis in das rechte Bein strahlende Schmerzen an; das daraufhin erstellte CT ergab keinen Befund. Der Arzt verordnete die Gabe von Schmerzmittel und Kortison. Tags darauf nässte die Wunde und zeigte eine Schwellung. Am darauffolgenden Vormittag gegen 11 Uhr endete der Krankenhausaufenthalt unter zwischen den Parteien streitigen Umständen.
Grobe Behandlungsfehler vorgetragen
Wenige Stunden nach seiner Entlassung meldete sich der Kläger mit einem spontan eröffneten Hämatom im Bereich der Operationswunde in einem anderen Krankenhaus. In der Folge musste er mehrfach langfristig stationär behandelt werden. Der Kläger machte grobe Behandlungsfehler im Rahmen seiner Entlassung geltend. Bei den bestehenden Anzeichen für eine Wundinfektion hätte der Beklagte ihn nicht entlassen dürfen, ohne zuvor erneut den CRP-Wert zu bestimmen. Während das Landgericht Koblenz nach Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen und der informatorischen Anhörung der Parteien die Klage abwies, hat das OLG Koblenz das Urteil des LG aufgehoben und die Klageansprüche zugesprochen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des beklagten Chefarztes hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör
Das Ergebnis begründet der Bundesgerichtshof mit einer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG, weil das Oberlandesgericht Koblenz die Angaben des erstinstanzlich informatorisch angehörten Klägers und des Beklagten anders als das Landgericht gewürdigt hat, ohne diese selbst erneut anzuhören. Zum Hintergrund: Nach § § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist aber eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Die Karlsruher Richter betonen, dass das Berufungsgericht insbesondere einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gem. § 398 Absatz 1 ZPO vernehmen muss, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz. Davon könne allenfalls dann abgesehen werden, falls sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit der Aussage betreffen.
Auch informatorische Anhörung der Parteien muss wiederholt werden
Diese Grundsätze gelten nach § 451 ZPO für die Parteivernehmung entsprechend, stellte der Bundesgerichtshof klar. Auch von der Würdigung der Aussage der Partei dürfe das Rechtsmittelgericht nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben. Trage das Berufungsgericht dem wie im vorliegenden Fall nicht Rechnung, liege darin ein Verstoß gegen Art. 103 Absatz I GG. Nichts anderes gelte, wenn das Erstgericht die Partei nicht förmlich vernommen, sondern lediglich nach § 141 ZPO informatorisch angehört hat. Haben die Angaben der Parteien in die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach § 286 Absatz 1 ZPO wie im Ausgangsfall Eingang gefunden und wurden diese dort in ihrer Glaubhaftigkeit bewertet, kann das Berufungsgericht nicht ohne eigene Anhörung von dieser Würdigung abweichen, fordern die Karlsruher Richter.
(BGH, Beschluss v. 25.7.2017, VI ZR 103/17).
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