BVerfG pocht auf gleichen Rechtsschutz für alle und ein ordentliches PKH-Verfahren
In einem vom höchsten deutschen Gericht entschiedenen Fall hatte das VG Trier einem ausländischen Staatsangehörigen die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) verweigert, obwohl der Sachverhalt rechtlich schwierige Probleme aufwarf.
Zwei erfolglose Asylverfahren
Der Beschwerdeführer besitzt die Staatsangehörigkeit von Sierra Leone und beantragte im Jahr 2004 in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens stellte der Beschwerdeführer im März 2011 einen Asylfolgeantrag mit der Begründung, als ehemaliger Kindersoldat drohe ihm bei der Rückkehr nach Sierra Leone weiterhin Gefahr. Auch dieser Antrag und die anschließende Klage des Beschwerdeführers blieben erfolglos.
Beschwerdeführer widersetzt sich der Ausreise mit allen Mitteln
Die Ausländerbehörde versuchte darauf, den Beschwerdeführer zur Ausreise zu bewegen und forderte ihn zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren auf. Im Juli 2013 verpflichtete sie den Beschwerdeführer, zur Anhörung durch Mitarbeiter der Botschaft von Sierra Leone am Münchener Flughafen zu enrscheinen.
- Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Klage
- und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO.
- Beide Anträge verband er mit einem Antrag auf Gewährung von PKH.
VG schmetterte Eingaben des Betroffenen in allen Punkten ab
Im August 2013 lehnte das VG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Neben verschiedenen weiteren Rechtsbehelfen erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss. Die Gegenvorstellung wies das VG zurück mit der Begründung
- die Entscheidungsreife über den Antrag auf PKH sowie über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes seien zeitlich zusammengefallen,
- so dass es nicht zweckmäßig gewesen wäre, in einem ersten Schritt die Erfolgsaussichten für das PKH-Verfahren als offen zu beurteilen,
- um dann in einem zweiten Schritt den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Betroffener wehrt sich mit Verfassungsbeschwerde
Hiergegen wehrte der Beschwerdeführer sich mit der Verfassungsbeschwerde und machte eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit geltend. Die von ihm gestellten Anträge hätten seitens des VG die Beurteilung schwieriger Rechtsfragen erfordert. Zum für die Entscheidung über den PKH-Antrag maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung seien die Erfolgsaussichten daher zumindest als offen zu beurteilen gewesen.
BVerfG rügt fundamentale Fehlbeurteilung des VG
Die Verfassungsrichter beanstandeten, dass das VG wesentliche verfassungsrechtliche Aspekte des Instituts der PKH übersehen bzw. nicht berücksichtigt habe.
- So habe das VG den Grundsatz unbeachtet gelassen,
- dass das aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Recht auf effektiven Rechtsschutz
- eine weitgehende Angleichung der Situation von finanziell bemittelten und finanziell unbemittelten Personen
- bei der Verwirklichung dieses Rechtsschutzes erfordere.
Dabei dürfe der Gesetzgeber zwar grundsätzlich die Gewährung von PKH davon abhängig machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Ein Gericht überschreite jedoch seinen Entscheidungsspielraum,
- wenn es die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannt
- und dadurch den Sinn der Prozesskostenhilfe verfehlt,
- finanziell unbemittelten Personen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen wie finanziell gut ausgestatteten Personengruppen.
Hauptverfahren darf nicht ins PKH-Verfahren verlagert werden
Diese Grundsätze verbieten es nach der Entscheidung des BVerfG auch, die Prüfung der Erfolgsaussichten als Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dazu zu benutzen, wesentliche Rechtsfragen des Verfahrens in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und das PKH-Verfahren quasi an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Vielmehr habe auch eine finanziell nicht bemittelte Person das Recht, ungeklärte Rechts- und Tatfragen einer prozessualen Klärung in dem dafür vorgesehenen Hauptsacheverfahren zuzuführen (BVerfG, Beschluss v. 17.2.2014, 2 BvR 57/13).
VG lässt notwendige Differenzierung zwischen PKH- und Sachantrag vermissen
Diesen Maßstäben wurden die Entscheidungen des VG zur Gewährung von PKH nach der Beurteilung der Verfassungsrichter nicht gerecht.
- Der Beschluss des VG zur Ablehnung der PKH enthalte über sechs Seiten Ausführungen zu den Erfolgsaussichten des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz.
- Darin setze sich das VG mit der gegenteiligen, wohl überwiegenden Auffassung anderer Verwaltungsgerichte auseinander, bei deren Zugrundelegung der Antrag des Beschwerdeführers auf einstweiligen Rechtsschutz erfolgreich gewesen wäre,
- um diese Auffassung anderer Gerichte dann mit komplexen Erwägungen als unrichtig abzulehnen.
Als Ergebnis habe das VG dann die Gewährung von PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt.
Es fehlt an einer nachvollziehbaren Ex-ante-Beurteilung
Diese Vorgehensweise hat das BVerfG als grob rechtsfehlerhaft gewertet.
- Bei der Entscheidung über einen PKH-Antrag komme es nicht auf die Auffassung des Richters nach Abschluss seiner möglicherweise komplizierten rechtlichen Überlegungen an,
- sondern auf die Beurteilung des verständigen, unbemittelten Rechtssuchenden im Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. der Antragstellung.
Dies schließe grundsätzlich ein, dass bei einer - grundsätzlich zulässigen - zeitgleichen Entscheidung über den Sachantrag und den dazugehörenden Antrag auf Gewährung von PKH das VG die Möglichkeit in Erwägung ziehen müsse, dass es den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zwar abgelehnt, gleichwohl aber PKH bewilligt werden muss.
Für PKH-Bewilligung gelten andere Maßstäbe als für die Hauptsacheentscheidung
Das unterschiedliche Entscheidungen in Betracht kamen, folge unschwer daraus, dass die Entscheidung über die Bewilligung von PKH und diejenige über das Begehren in der Sache nach unterschiedlichen Maßstäben zu erfolgen habe.
Vor diesem Hintergrund hätte das VG begründen müssen, inwieweit aus der für die PKH-Entscheidung erforderlichen „Ex-Ante-Sicht“ zum Zeitpunkt der Antragstellung bei vernünftiger Betrachtung keinerlei Erfolgsaussicht für den Antrag bestanden hätte. Das BVerfG hob daher die Entscheidungen über den PKH-Antrag und über die Gegenvorstellung auf und verwies die Sache an das VG zurück (BVerfG, Beschluss v. 8.7. 2016, 2 BvR 2231/13).
Hintergrund:
Versagung der Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darf nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mutwillig erscheinen. Die Mutwilligkeit wird in § 114 Abs. 2 ZPO definiert.
- Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
- Das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet, ist folglich der Maßstab, der bei der Beurteilung der Mutwilligkeit anzulegen ist.
Verfassungsrechtlich ist lediglich geboten, den Unbemittelten hinsichtlich seiner Zugangsmöglichkeiten zum Gericht einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt.
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