Sachverständiger muss auf Parteiantrag zur Verhandlung geladen werden
Das Sachverständigengutachten ist in vielen Prozessen ausschlaggebend für den Ausgang des Verfahrens. Es ist daher nicht nur wichtig, das auch die Parteien Unklarheiten dazu klären und Fragen dazu stellen können. Es besteht auch ein grundgesetzlich geschützter Rechtsanspruch.
Parteien haben Fragerecht zum Sachverständigengutachten
Das Gerichtsverfahren betraf einen Mann, der auf dem Gehweg vor seinem Hausgrundstück in gebückter Haltung Unkraut entfernt hatte, als sich ihm von hinten ein fremder Hund näherte.
- Der Mann erschrak und verdrehte sich bei seiner Schreckreaktion derart das Bein,
- dass er sich in der Folge einer Knieoperation in Form einer Kreuzbandplastik unterziehen musste.
- Die Kreuzbänder waren davor zwar bereits angerissen.
- Allerdings hatte der Mann keinerlei Beschwerden.
Tierhalterhaftung für OP nach Schreckreaktion auf Hund?
Weil er die Erforderlichkeit der Operation auf den Vorfall mit dem Hund zurückführte, verklagte er den Hundehalter aus Tierhalterhaftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Nachdem die Klage erstinstanzlich abgewiesen war, gewährte ihm das Oberlandesgericht Braunschweig ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 Euro. Doch das überzeugte ihn nicht. Dem Gutachter, auf dessen Ausführungen hin die Entscheidung fiel, hatte er allerdings keine Fragen stellen können.
- Das Gericht habe es versäumt, dem Kläger in der mündlichen Verhandlung ein Fragerecht zum Gutachten des Sachverständigen einzuräumen.
- Der Sachverständige war nicht geladen worden, obwohl der Klägeranwalt das beantragt hatte.
Sachverständigen trotz Antrag nicht geladen
Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf und verwies an die Vorinstanz zurück, da das Gericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe:
- Der Tatrichter muss von einer Partei rechtzeitig gestellten Antrag,
- den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden,
- selbst dann stattgeben,
- wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist.
Ausnahmen von der Sachverständigen-Ladungspflicht
Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist.
Von Letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will.
Kläger hat nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt
Im vorliegenden Fall war der vom Kläger gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen laut BGH weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich.
- Der Kläger hat in einem Schriftsatz weitergehende Fragen an den Sachverständigen angekündigt,
- die Klarheit dazu schaffen sollten, ob die Kreuzbandoperation auch ohne das schädigende Ereignis erforderlich gewesen wäre.
- Er hat dazu ausgeführt, dass er trotz einer vorbestehenden vorderen Kreuzbandruptur bis zu dem schädigenden Ereignis keine wesentlichen gesundheitlichen Probleme gehabt habe
- und trotz seines Alters sehr aktiv, fit und leistungsfähig gewesen sei.
Soweit auf schriftlichem Wege eine abschließende Klärung dieser Frage nicht möglich sei, hat sich der Kläger einen Antrag auf persönliche Anhörung des Sachverständigen vorbehalten. Nachdem das Berufungsgericht in einer Verfügung ausgeführt hat, dass es nicht beabsichtige, dem Sachverständigen die gestellten Fragen zur Stellungnahme zu übersenden oder den Sachverständigen zum Termin zur Anhörung zu laden, hat der Kläger in einem weiteren Schriftsatz unter anderem ein Übergehen des Antrags auf Anhörung des Sachverständigen als Verstoß gegen rechtliches Gehör bezeichnet.
Keine reine Rechtsfrage
Das Berufungsgericht machte es sich einfach: Es hielt die Anhörung des Sachverständigen deshalb für entbehrlich, weil es sich bei den Fragen des Klägers um Rechtsfragen handele. Dem widersprach der BGH: Die Frage, ob der Geschädigte trotz der bereits bestehenden Ruptur des vorderen Kreuzbandes bis zu dem Vorfall mit dem Hund des Beklagten im Wesentlichen beschwerdefrei war und erst die erlittene Distorsion die erfolgte Kreuzbandplastik erforderlich machte, sei eine tatsächliche Frage, welche in Ermangelung eigener Sachkunde des Gerichts nur mit Hilfe des medizinischen Sachverständigen beantwortet werden könne.
(BGH, Beschluss vom 21.2.2017, VI ZR 314/15).
Hintergrund:
Nach Art 103 Abs. 1 GG ist der Grundsatz rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich garantiert und für jedes gerichtliche Verfahren konstitutiv und unabdingbar. Eine Missachtung des rechtlichen Gehörs verletzt den Betroffenen in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 GG. Wird das rechtliche Gehör entscheidend verletzt, so hat der Betroffene die Möglichkeit, den Fortgang des Verfahrens mit Hilfe einer Gehörsrüge zu erreichen.
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