Irreführung des Richters mit einer vorbereiteten Gehörsrüge

Vor Gericht ist ein gewiefter Anwalt Gold wert. Doch er sollte nicht übertreiben. Wenn der Prozessvertreter versucht, das Gericht mit einer Gehörsrügefalle hinters Licht zu führen, indem er einen Antrag in einem bizarren Schriftsatz "versteckt", kann das auch für den Mandanten nach hinten losgehen. Hier kam das OLG Düsseldorf einem häufig tricksenden Anwalt auf die Schliche.

Hier hatte ein Anwalt, wohl nicht zum ersten Mal, mit dubiosen Anträgen Gerichtsfehler provoziert. letztlich war das aber nicht im Mandanteninteresse.

Geschwindigkeit überschritten

Eine Kommune hatte gegen einen Fahrer wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 132 Euro festgesetzt. Das Amtsgericht hat dessen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben war. Hiergegen richtet sich sein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Gefakter Mandanten-Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht

Der Verteidiger argumentierte damit, dass er in einem Schriftsatz an das Gericht einen Entbindungsantrag von der Erscheinungspflicht seines Mandanten gestellt habe.

  • In dem Schriftsatz hatte der Anwalt eine persönliche Erklärung seines Mandanten auf fast zwei Seiten wörtlich als Zitate wiedergegeben.
  • Darin lässt sich dieser über das angeblich fehlerhafte Messverfahren aus. 
  • Am Ende bittet er das Gericht um Entbindung von der Anwesenheitspflicht und setzt dem Gericht dazu eine Frist.
  • Begründung: Er könne in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr sagen als in diesem Schriftsatz ausgeführt.

Dieser dubiose Antrag wurde nicht beschieden, was der Anwalt wohl auch erwartet hatte und zum Anlass für eine Gehörsrüge nahm.

OLG weist Gehörsrüge ab

Das angerufene Oberlandesgericht Düsseldorf wies die Gehörsrüge ab. Die zitierte Erklärung habe in Wahrheit nicht der Betroffene, sondern der Verteidiger selbst verfasst.

Verteidiger wendete die Taktik häufiger an

Der von dem Verteidiger teils in naiver Sprache formulierte Text enthalte in der Sache typisches Verteidigervorbringen, das Vorkenntnisse zu den grundsätzlichen Abläufen bei standardisierten Messverfahren wie auch zu der konkreten Fallbearbeitung gerade bei der Autobahnpolizei in der betreffenden Stadt voraussetzte.

„Der Kunstgriff, das Verteidigervorbringen dem Betroffenen als dessen vermeintlich eigene Erklärung in den Mund zu legen, dient wesentlich dem Zweck, durch bewusst unklare und verklausulierte Formulierungen eine „Gehörsrügefalle“ zu schaffen.

Diese Vorgehensweise des Verteidigers ist bereits aus einer Reihe von Bußgeldsachen bekannt, die bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf in zweiter Instanz anhängig waren“, 

 stellte das Gericht fest.

Entbindungsbegehren bewusst verklausuliert formuliert

So sei der 1. Senat für Bußgeldsachen schon mehrfach mit einem gleichgelagerten Prozessverhalten des Verteidigers befasst gewesen, welches jeweils dadurch gekennzeichnet war, dass ein etwaiges Entbindungsbegehren bewusst unklar und verklausuliert in eine so bezeichnete eigene „Erklärung des Betroffenen“ eingekleidet wurde, um sodann aus der Nichtbescheidung des vermeintlichen Antrags eine Gehörsrüge herzuleiten.

Verstecktes Entbindungsbegehren als Richterfalle

Der Verteidiger wäre hier ohne Weiteres in der Lage gewesen, einen klaren und eindeutig als solchen erkennbaren Entbindungsantrag zu stellen, kritisierte das Gericht. Die dafür erforderliche schriftliche Vertretungsvollmacht hatte ihm der Betroffene erteilt.

Es sei kein sachlicher Grund für das von dem Verteidiger auch im vorliegenden Verfahren gewählte Vorgehen ersichtlich, eine eigene Erklärung des Betroffenen vorzutäuschen und ein darin verstecktes Entbindungsbegehren unkommentiert an das Gericht „weiterzugeben“.

Keine ernsthafte Absicht, Entbindung von der Anwesenheitspflicht zu erreichen

Bei der Abfassung der ein Entbindungsbegehren verschleiernden „Erklärung des Betroffenen“ bestand auch nicht ernsthaft die Absicht, eine Entbindung des Betroffenen von dessen Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu erreichen. Bei dem Kunstgriff mit der vorgespiegelten „Erklärung des Betroffenen“ sei es wesentlich darum gegangen, eine „Gehörsrügefalle“ zu schaffen.

Verstoss gegen prozessuales Missbrauchsverbot

„Eine solche Zweckverfolgung verstößt indes gegen das prozessuale Missbrauchsverbot und verdient keinen Rechtsschutz. Eine Verfahrensrüge, die aus einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten hergeleitet wird, ist unzulässig“,

schlussfolgert das Gericht und weist abschließend noch darauf hin, dass sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Verteidigers nicht mit dessen Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbaren lasse.

Zudem dürfte es nicht im Interesse des Mandanten liegen, eine auf Irreführung des Tatrichters und Schaffung einer „Gehörsrügefalle“ angelegte Prozesstaktik, die bei dem Rechtsbeschwerdegericht in gleichgelagerten Fällen schon mehrfach gescheitert ist, gleichwohl fortzusetzen.

(OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.4.2017,  IV 2 RBs 49/17)




Hintergrund

Nach Art 103 Abs. 1 GG ist der Grundsatz rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich garantiert und für jedes gerichtliche Verfahren konstitutiv und unabdingbar. Eine Missachtung des rechtlichen Gehörs verletzt den Betroffenen in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 GG. Wird das rechtliche Gehör entscheidend verletzt, so hat der Betroffene die Möglichkeit, den Fortgang des Verfahrens mit Hilfe einer Gehörsrüge zu erreichen.