Kein neuer Pflichtverteidiger für das Wiederaufnahmeverfahren

Ist ein Angeklagter rechtskräftig verurteilt, hat auch die Pflichtverteidigung ihre Schuldigkeit getan. Nicht ganz: Will der Verurteilte ein Wiederaufnahmeverfahren beantragen, kommt der Pflichtverteidiger wieder ins Spiel. Und allein der Wunsch nach einem anderen Pflichtverteidiger trennt die beiden noch nicht.

Das geht aus einer Entscheidung des Kammergerichts in Berlin hervor. Der dortige Angeklagte war wegen diverser Sexualdelikte rechtskräftig verurteilt worden. Seit dem Ermittlungsverfahren war ein Anwältin für ihn als Pflichtverteidiger bestellt.

Für das Wiederaufnahmeverfahren einen neuen Pflichtverteidiger beantragt

Als der Verurteilte sich rund 2 ½ Jahre später dazu entschied, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erwirken, stellte er beim Gericht einen Antrag auf Bestellung eines anderen Anwalts für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens. Begründung: Die Anwältin habe ihm wichtige Aktenbestände vorenthalten, von 20 Akten habe er nur drei gesehen. Außerdem sei sie schuld an der hohen Haftstrafe von fast 5 Jahren. Schließlich habe sie von dem Mandanten ein Erfolgshonorar von 1.000 Euro für ihr weiteres Tätigwerden verlangt.

Kein wichtiger Grund für den Widerruf

Sowohl das Landgericht wie auch das Kammergericht wiesen den Antrag zurück. Danach gilt:

  • Es kommt im Wiederaufnahmeverfahren die Bestellung eines Verteidigers nach § 364b StPO nur dann in Betracht, wenn zuvor kein Verteidiger mitgewirkt hat oder dessen Vollmacht erloschen oder die Beiordnung als Pflichtverteidiger aufgehoben worden ist.

  • Denn nach der nicht unumstrittenen, aber geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung dauert die Bestellung bzw. Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 370 Absatz 2 StPO fort.

Widerruf der Bestellung aus wichtigem Grund

Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet.

Die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil der Angeklagte dies wünscht, sondern nur dann, wenn dieser glaubhaft macht oder sonst ersichtlich ist, dass hierfür ein wichtiger Grund besteht, insbesondere wenn das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Verteidiger ohne Verschulden des Mandanten ernsthaft gestört ist.

Vertrauensverhältnis muss zerstört sein

Dabei reicht der bloße Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis nicht aus, einen Verteidigerwechsel zu rechtfertigen. Denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt.

„Voraussetzung dafür ist vielmehr, dass der Angeklagte konkrete Umstände darlegt und gegebenenfalls nachweist, die bei der gebotenen objektiven Betrachtung aus Sicht eines verständigen Angeklagten eine Erschütterung seines Vertrauens zu dem bestellten Pflichtverteidiger nahelegen und deshalb besorgen lassen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann“, betont das Kammergericht. Diese Voraussetzungen hielten die Richter vorliegend für nicht erfüllt. Konsequenz: Der Verurteilte muss mit seiner bisherigen Pflichtverteidigerin das Wiederaufnahmeverfahren bestreiten.

(KG, Beschluss v. 23.5.2012, 4 Ws 46/12 – 141 AR 245/12).

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