In dem Fall hatte sich ein Mandant über seine abgewiesene Schadensersatzklage derart aufgeregt, dass er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des Amtsgerichts einreichte, in der er unter anderem ausführte, er protestiere „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ und meine, „sie müsse effizient bestraft werden, um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“.
Wegen beleidigender Dienstaufsichtsbeschwerde 1.600 EUR Geldstrafe
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund dieser Äußerungen wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 EUR. Im Berufungsverfahren sprach das Landgericht den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil hob das Oberlandesgericht jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies das Verfahren zurück. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des Beschwerdeführers blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Doch er gab noch nicht auf und zog vor das BVerfG.
Bundesverfassungsgericht rüffelt Instanzgericht
Das BVerfG hob die Entscheidungen auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer nach Ansicht der Karlsruher Richter in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
BVerfG sah in der Richterschelte keine Schmähkritik
Fälschlicherweise habe das Landgericht die Mandantenäußerung als Schmähkritik eingeordnet. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert.
- Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.
- Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben.
Richterkritik hatte einen sachlichen Hintergrund
Dem genügt die Entscheidung des Landgerichts nach Ansicht der Karlsruher Verfassungsrichter nicht. Auch in der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, gehe es nicht allein um eine Verunglimpfung der Betroffenen, „sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen sachlichen Hintergrund hat.
- Der Beschwerdeführer bezieht sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle.
- Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.
Bezüglich der weiteren Äußerungen begründet das Landgericht seine Einordnung als Schmähkritik überhaupt nicht“, kritisiert das BVerfG.
Äußerungen zu einseitig zu Lasten des Angeklagten interpretiert
Zudem interpretierte das Landgericht eine Äußerung des Mandanten viel zu einseitig. Die Einordnung der Äußerung des Beschwerdeführers, „es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate“, wurde vom Landgericht nämlich dahingehend auslegt, dass hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstellt wird.
„Mit anderen möglichen Deutungen hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist jedoch, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben“, betonten die obersten Verfassungshüter.
Berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im „Kampf ums Recht“ befand
Zudem sei bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im „Kampf ums Recht“ befand und ihm hierbei zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt sei, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen.
(BVerfG, Beschluss v. 28.7.2014, 1 BvR 482/13).