Trotz Flucht des Angeklagten - Pflichtverteidiger muss bleiben

Allein die Flucht des Angeklagten während laufender Hauptverhandlung und der sich daraus ergebende Kontaktabbruch mit dem Verteidiger stellt keinen wichtigen Grund dar, ihn von seinen Aufgaben als Pflichtverteidiger zu entbinden. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

Der Fall betraf einen Angeklagten, dem u.a. Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall in zwei Fällen zur Last gelegt wurde. Während der ersten Hauptverhandlungstermine saß er in U-Haft, welche dann allerdings aufgehoben wurde. Dies nutzte der Angeklagte zur Flucht.

Antrag gestellt, ihn aus der Verteidigung zu entpflichten

Als er auch zum zweiten Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschien, stellte der Pflichtverteidiger den Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu entpflichten. Das Landgericht hat den Antrag des Verteidigers auf Entpflichtung mit Beschluss vom selben Tag abgelehnt. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat mit Schreiben vom selben Tag, welches als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde, Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt.

Zweck der Strafverteidigung muss ernsthaft gefährdet sein

Die Beschwerde hielt das Oberlandesgericht Hamm für unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung lägen nicht vor.

Nach § 48 Abs. 2 BRAO kann der Rechtsanwalt beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen.

  • Stellt der Pflichtverteidiger unter Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis einen Antrag auf Entpflichtung,
  • so ist Voraussetzung eines wichtigen Grundes, dass konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt,
  • aufgrund dessen zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann.

Beiordnung begründet öffentlich-rechtliche Pflicht

Da die Wirkung der Beiordnung in der Begründung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht besteht,

  • bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens durch sachgemäße Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken
  • wobei auch persönliche sowie wirtschaftliche Interessen des Verteidigers zurücktreten müssen,

können nur solche Umstände die Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung begründen, durch die der Zweck der Pflichtverteidigung und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet werden. 

Trotz Kontaktabbruch Kontrolleur der Strafverfolgungsorgane

Umstände, welche die Aufhebung der Pflichtverteidigung gebieten würden, konnte das OLG Hamm nicht erkennen. Der allein durch den Angeklagten herbeigeführte Kontaktabbruch stelle keinen Umstand dar, durch den der Zweck der Pflichtverteidigung und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet werden.

  • Mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger wird nach herrschender Auffassung eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Verteidigers begründet, bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens
  • und insbesondere in der Hauptverhandlung durch sachdienliche Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken.

Dem gerichtlich bestellten Verteidiger obliegt die Pflicht, die Verfahrensführung der Strafverfolgungsorgane kontrollierend zu begleiten und - soweit er das Vertrauen des Angeklagten genießt - diesen bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte zu unterstützen.

Angeklagter hat Verschlechterung der Verteidigungsposition selbst zu verantworten

Dies ist nach wie vor möglich, meinten die Hammer Richter. Der Anwalt sei auch nach der Flucht des Angeklagten in der Lage, das Verfahren kontrollierend zu begleiten und die Verteidigungsrechte des Angeklagten - etwa durch Ausübung seines Fragerechts oder durch die Stellung von Anträgen - wahrzunehmen.

Ordnungsgemäße Verteidigung auch ohne Kommunikation mit Angeklagtem möglich

Anhaltspunkte dafür, dass der Anwalt nicht mehr das Vertrauen des Angeklagten genießt, liegen nicht vor. Soweit der Anwalt in seiner Beschwerdebegründung hervorhebt, eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung sei ohne Kommunikation mit dem Angeklagten nicht möglich, so greift diese Argumentation nicht.

  • Der Rolle des notwendigen Verteidigers als Beistand des Angeklagten steht nicht entgegen,
  • wenn dieser die Verteidigung des Angeklagten in eigenverantwortlicher Einschätzung der Sach- und Rechtslage in dessen Abwesenheit weiter fortführt.

„Soweit sich hieraus eine Verschlechterung der Verteidigungsposition ergibt, hat der Angeklagte diese hinzunehmen, da er durch sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung zu erkennen gegeben hat, dass er nicht beabsichtigt, seine Befugnisse in der Hauptverhandlung selbst ungeschmälert auszuüben“,

So schlussfolgerte das Gericht und ließ den Pflichtverteidiger nicht von der Angel.

(OLG Hamm, Beschluss v. 25.8.2015, 3 Ws 307/15).


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