„Die Akte gebe ich an die Staatsanwaltschaft weiter“
Darf ein Richter sich Gedanken über eine Strafanzeige gegen eine Partei machen, ohne dass dies einen Befangenheitsantrag rechtfertigt?
Jedenfalls nicht vorschnell und kaum begründet, meinte das Bundesverfassungsgericht.
Erst Anwaltshonorar, dann Arzthonorar verweigert, Richter wundert sich über Geschäftsgebaren
Ein Amtsrichter hatte es mit einem Beklagten zu tun, der auf Bezahlung eines Anwaltshonorars in Anspruch genommen wurde. Er verteidigte sich damit, der Anwalt habe nicht ordnungsgemäß abgerechnet, sich weisungswidrig verhalten, einen zu hohen Gegenstandswert sowie einen zu hohen Gebührensatz angesetzt. In einem anderen Verfahren wurde er auf Bezahlung eines Arzthonorars in Anspruch genommen, wogegen er einwandte, ein Behandlungsvertrag sei nicht zu Stande gekommen, die konkret abgerechnete Behandlung beruhe auf einer anderen als der bisherigen Behandlungsmethode und sei von ihm nicht gewünscht und auch nicht bestellt worden.
Erstaunter Richter
Der Richter "zählte 1+ 1 zusammen" und folgerte: „So Herr K, ich habe zwei Verfahren bei mir. Da ist ein Verfahren wegen einer Arztrechnung, in dem sie ähnlich argumentieren wie hier. Da fragt man sich schon, ob sie bei der Beauftragung ordnungsgemäß vorgehen.“ Das wollten der Beklagte und der Bevollmächtigte so nicht hören und wandten sich gegen diese Sichtweise.
Befangener Richter?
Letztlich lehnte der in den 2 Fällen Beklagte den Richter durch seinen Prozessbevollmächtigten wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Begründung: Auf Vorhalt des Prozessbevollmächtigten, die Erörterung auf den heutigen Fall zu beschränken, habe der Richter einschüchternd geäußert, dass er ernsthaft erwäge, die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft vorzulegen, weil der Beschwerdeführer von vornherein vorgehabt haben könnte, nicht zu bezahlen. Tatsächlich seien die beiden Fälle, auf die der Richter Bezug genommen habe, aber nicht vergleichbar; der Beschwerdeführer argumentiere in den beiden Rechtsstreitigkeiten unterschiedlich.
Richter sah sich unbefangen
In seiner dienstlichen Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch gab der abgelehnte Richter an, den Beschwerdeführer darauf hingewiesen zu haben, dass sich im Hinblick auf die beiden Verfahren der Eindruck ergeben könnte, der Beschwerdeführer gehe vertragliche Verpflichtungen ein, ohne die sich hieraus ergebenden finanziellen Verbindlichkeiten erfüllen zu wollen, und dass sich das Gericht ausdrücklich die Weiterleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft vorbehalte. Dies begründe jedoch nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern stelle lediglich die Ankündigung dessen dar, wozu das Gericht nicht nur berechtigt, sondern nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verpflichtet wäre.
Das AG und das LG folgten ihm insoweit, das BVerfG sah genauer hin und wollte Einzelheiten wissen.
Bloßer Verweis auf die Akten reicht nicht als Begründung
In der Rechtsprechung sei zwar anerkannt, dass die Erstattung einer Strafanzeige gegen eine Partei oder deren Ankündigung durch einen Richter nicht ohne Weiteres die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, weil das Gesetz selbst die Erstattung einer Anzeige durch das Gericht nach § 149 ZPO ermöglicht und in einigen Fällen auch verlangt (§ 183 GVG).
2 Akten - 1 vielleicht vorschneller Gedanke
Anerkannt sei, dass sich aus den konkreten Umständen der Anzeigeerstattung oder deren Ankündigung die Besorgnis der Befangenheit ergeben kann. Beide Gerichte hätten es unterlassen, die Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Insbesondere hätten sie weder die Form der Äußerung des abgelehnten Richters in Erwägung gezogen, noch haben sie die vom Richter gegebene Begründung für den behaupteten Verdacht einer näheren Prüfung unterzogen. Der bloße Verweis auf die Lektüre der Akten, die den Verdacht nahelege, der Beschwerdeführer nehme entgeltliche Dienste Dritter in Anspruch, ohne diese bezahlen zu wollen, war jedenfalls unter den gegebenen Umständen offensichtlich unzureichend.
Vager Verdacht
Weshalb allein der Umstand, dass ein Verfahrensbeteiligter in mehr als einem Fall einer von Dritten wegen erbrachter Leistungen gegen ihn erhobenen Forderung entgegentritt, einen Straftatverdacht begründen soll, der eine richterliche Pflicht zu entsprechendem Hinweis auslösen und es damit zugleich rechtfertigen könnte, Strafanzeige gegen den Verfahrensbeteiligten zu erstatten oder ihm dies in Aussicht zu stellen, erschließe sich nicht einmal ansatzweise.
Nach herrschender Auffassung stellt das Erstatten einer Strafanzeige aber nur dann keinen Befangenheitsgrund dar, wenn der Richter zuvor die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsumstände sorgfältig abgewogen und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
Der bloße Verweis auf die Lektüre der Akten, die den Verdacht nahelege, der Beschwerdeführer nehme entgeltliche Dienste Dritter in Anspruch, ohne diese bezahlen zu wollen, war jedenfalls unter den gegebenen Umständen laut Richterspruch offensichtlich unzureichend.
(BVerfG, Beschluss v. 25.7.2012, 2 BvR 615/11).
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Hier kommt es wohl auf den Einzelfall an.