Bevor der Anwalt allerdings über einen entsprechenden Antrag z. B. im Zivilprozess nach §§ 233, 236 ZPO nachdenkt – ähnliche Vorschriften befinden sich in den anderen Verfahrensordnungen –, sollte vorsorglich geprüft werden, ob etwa die fristauslösende Klage oder das Urteil wirksam zugestellt wurden. Eine fehlerhafte Zustellung setzt den Fristablauf möglicherweise gar nicht erst in Gang.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Voraussetzungen
Einer Partei ist im Zivilprozess nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war,
- eine Notfrist oder
- die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder
- der Rechtsbeschwerde oder
- die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO
einzuhalten. Fehlendes Verschulden wird gemäß § 233 Satz 2 ZPO vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
Verschulden
Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen. Lediglich Verschulden des Büropersonals, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten. In der Praxis werden viele Wiedereinsetzungsanträge auf ein Verschulden des ansonsten stets zuverlässigen Büropersonals gestützt.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Frist
Die Wiedereinsetzung muss nach § 234 Abs. 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Ist der Anwalt während der bereits verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankt und verweigert die Gegenseite ihre Zustimmung zu einer erneuten Fristverlängerung, stellt sich die Frage, auf welches Ereignis beim Fristbeginn abzustellen ist. Hier hat der BGH das Ende der Erkrankung als maßgeblichen Zeitpunkt für den Fristbeginn angesehen (BGH, Beschluss v. 5.4.2011, VIII ZB 81/10).
Höchstfrist beträgt ein Jahr
Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. So steht es in § 234 Abs. 3 ZPO. Die Jahresfrist hat als Höchstfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand absoluten Charakter. Sie verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Das hat der BGH mehrfach bestätigt (BGH, Beschluss v. 19.3.2013, VI ZB 68/12).
Wichtig: Die Vorschrift ist dann nicht anwendbar, wenn die Ursache der Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der Partei liegt, sondern allein dem Gericht zuzurechnen ist.
Ein Fall für die Berufshaftpflichtversicherung
Der betroffene Anwalt muss im Fall einer Fristversäumnis seine Berufshaftpflichtversicherung sofort informieren. Die Fristversäumung als Versicherungsfall muss innerhalb einer Woche beim Versicherer gemeldet werden. Der Verstoß gegen diese Obliegenheitsverletzung führt im Extremfall dazu, dass die Versicherung den Schaden nicht reguliert.
Achtung: Rechtsmittelfrist und Prozesskostenhilfeantrag
Besondere Vorsicht muss der Anwalt walten lassen, wenn er während der Berufungsfrist für seinen Mandanten einen Prozesskostenhilfeantrag stellt. Will der Anwalt bzw. sein Mandant die Berufung erst nach der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch begründen, hat er durch einen rechtzeitigen Antrag auf Fristverlängerung dafür zu sorgen, dass eine Wiedereinsetzung nicht notwendig wird. Denn ein Prozesskostenhilfeantrag beeinflusst den Lauf der Begründungsfrist nicht (BGH, Beschluss v. 19.3.2013, VI ZB 68/12). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist zwar eine Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Rechtsmittelkläger innerhalb der Frist Prozesskostenhilfe beantragt hat und auf deren Bewilligung vertrauen durfte. Entsprechend wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von den Gerichten dann bewilligt, wenn der Anwalt dies innerhalb der mit Kenntnis der Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch beginnenden Wiedereinsetzungsfrist beantragt und innerhalb der Frist auch die versäumte Prozesshandlung nachholt. Dies hatte der Kläger in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht getan. Die Frist für die Einreichung des Wiedereinsetzungsgesuchs hatte mit der Zustellung des die Prozesskostenhilfe verweigernden Beschlusses zuzüglich einiger Tage Überlegungszeit zu laufen begonnen. Nach Ansicht der BGH-Richter bestand für den Klägeranwalt kein begründeter Anlass zu der Annahme, dass das Berufungsgericht die Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels bejahen und Prozesskostenhilfe bewilligen würde.