BVerfG muss zum Recht Schwerstkranker auf Medikamente zur Selbsttötung urteilen
Es sind mehrere Klagen schwerstkranker Menschen beim VG Köln rechtshängig, die mit Hilfe einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital sterben möchten, dies aber in Deutschland nicht erwerben dürfen. Da es hier um ein Menschenrecht geht, wird nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.
Betäubungsmittelgesetz verbietet Verkauf von Tötungsmitteln
Das Mittel Natrium-Pentobarbital steht auf der Verbotsliste des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Die Erlaubnis zum Erwerb, um ihren Wunsch aus dem Leben zu scheiden umsetzen zu können, wurde ihnen dementsprechend versagt (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG), weshalb sie nun vor den Gerichten Hilfe ersuchen.
Kläger berufen sich auf Entscheidung des BVerwG aus 2017
Die sechs Kläger kämpfen derzeit in der ersten Instanz vor dem VG Köln. Sie können ihr Anliegen jedoch auf eine höchstrichterliche Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2017 (3 C 19/15) stützen. Das BVerwG hatte darin die Verbotsnorm des BtMG verfassungskonform ausgelegt und Zugang zu Betäubungsmitteln zur Selbsttötung in extremen Ausnahmefällen erlaubt, weil die Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung schwerer wiegen.
BVerwG: Extreme Notlage hebelt das Verkaufsverbot aus
Das BVerwG sieht das gesetzliche Verbot ausnahmsweise nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich der Erwerber des Mittels in einer extremen Notlage befindet. Das ist der Fall, wenn
- die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können,
- der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und
- ihm eine andere, zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.
VG Köln tut sich schwer, dem BVerwG zu folgen
Vom Grundsatz her findet auch das VG Köln, dass ein generelles Verbot des Tötungsmittel-Erwerbs für schwerkranke Menschen in einer existentiellen Notlage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es erkennt die Ausnahmefälle, in denen die staatliche Schutzpflicht für das Leben hinter das Recht des Einzelnen auf einen frei verantwortlichen Suizid zurücktreten muss.
Den nächsten Schritt des Bundesverwaltungsgerichts, den einer verfassungsgemäßen Auslegung der Verbotsnorm, konnten die Richter jedoch nicht mit ihrer Rechtsauffassung vereinbaren.
BVerfG soll entscheiden, ob Abgabeverbot verfassungsgemäß ist
Den richtigen Weg erblickte das VG Köln darin, die Verbotsnorm, die Ausnahmen nicht zulässt, auf ihre Verfassungsgemäßheit prüfen zu lassen. Es setzte daher die Verfahren aus, um dies zunächst vom BVerfG klären zu lassen. Entscheidet das BVerfG, dass die Norm verfassungsgemäß ist, bleibt es bei dem Verbot. Trifft es die gegenteilige Entscheidung, würde es viele verzweifelte, von Schmerzen geplagte Menschen erleichtern und der Gesetzgeber muss aktiv werden.
(VG Köln, Beschluss v. 19.11.2019, 7 K 8461/18, 7 K 13803/17, 7 K 14642/17, 7 K 8560/18, 7 K 1410/18).
Anmerkung: Wann greift die BVerwG-Auslegung ?
Das BVerwG hat erst kürzlich seine Rechtsprechung aus 2017 bestätigt (BVerwG, Urteil vom 28.05.2019, 3 C 6.17), lehnte in diesem Fall aber die Erlaubnis zum Erwerb ab: Die Kläger hätten in dem fraglichen Fall keinen Anspruch auf die beantragte Erlaubnis zum Erwerb von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung.
Die sei nur ausnahmsweise mit dem BtMG vereinbar, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage im Sinne des Senatsurteils vom 2. März 2017 befinde. Die Kläger hätten weder im Antragsverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, schwer und unheilbar krank zu sein.
Das erfolglos klagende Ehepaar hatte seinen Antrag auf Abgabe von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital zum Zweck der gemeinsamen Selbsttötung wie folgt begründet:
Sie befassten sich seit langem mit der Idee des selbstbestimmten Sterbens. In der Vergangenheit hätten sie miterleben müssen, wie Freunde und Bekannte mit schweren Krebserkrankungen zum Teil qualvoll gestorben seien. Auch seien sie wiederholt Zeugen geworden, wie verheerend sich ein jahrelanger demenzieller Verfall auswirken könne. Ihr Bestreben sei immer gewesen, dass ihnen und ihren Angehörigen ein solches Schicksal erspart bleibe. Zudem sei es ihr Wunsch, den Lebensabend nicht ohne den anderen verbringen zu müssen.
Seit 2011 hätten die körperlichen und geistigen Kräfte beim Kläger nachgelassen. Ähnliche Symptome hätten sich, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß, bei der Klägerin gezeigt. Seit Sommer 2013 habe sich deshalb der Wunsch konkretisiert, das Leben gemeinsam zu beenden. Sie sähen keinen Sinn darin, den eigenen Verfall mitzuerleben. Ihr Leben solle in einem Zeitpunkt enden, in dem sie noch handlungsfähig seien und es ihnen noch so gut gehe, dass sie von einem rundherum gelungenen Leben sprechen könnten. Der Staat habe dafür Sorge zu tragen, dass sie ihren Wunsch risikofrei und schmerzlos umsetzen könnten. Die Kläger fügten ihrem Antrag jeweils ein psychiatrisches Gutachten bei, das ihnen eine uneingeschränkte Einsichts-, Urteils- und Willensfähigkeit in Bezug auf den Entschluss zur Selbsttötung attestierte (BVerwG Urteil vom 28.05.2019, 3 C 6.17)
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In einer früheren Entscheidung verwies das VG Köln auf den Grundsatz, dass in einer sorgenden und solidarischen Gesellschaft die Antwort auf Einsamkeit, Leid und Not nicht der assistierte Suizid sein könne. Die Versagung der Erlaubnis zum Erwerb bestimmter tödlicher Betäubungsmittel lasse im übrigen die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen, auf andere Weise über ihren Tod selbst zu bestimmen, unberührt (VG Köln, Urteil v. 15.12.2015, 7 K 14/15).
Nach der Rechtsprechung des EGMR gewährt Artikel 8 EMRK auch ein Selbstbestimmungsrecht über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Todes. Es werden mit dieser Vorschrift aber positive Schutzpflichten des Staates geregelt, nicht dagegen eine Verpflichtung des Staates todbringende Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR habe der Staat einen Ermessensspielraum, das Selbstbestimmungsrecht eines Sterbewilligen und die Schutzpflichten des Staates für das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen.
Innerhalb dieses Ermessensspielraums sei kein Staat verpflichtet, seinen Staatsbürgern Hilfsmittel zur Selbsttötung aktiv zur Verfügung zu stellen (EGMR, Urteil v. 20.1.2011, 31322/07; EGMR, Urteil vom 19.7.2012, 497/09).
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