Versicherung trägt Beweislast für eine Selbsttötung des Versicherten
Ein selbständiger Finanzmakler, der freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war, hatte im Januar 2012 auf dem Weg zu einem Kundentermin einen tödlichen Unfall mit seinem Kfz. In dem Verfahren ging es um die Versicherungsleistung.
Die Versicherung trägt die Beweislast für einen Suizid des Versicherten
Der Hergang des Unfallereignisses warf Fragen auf, weil der Versicherte trotz gerade verlaufender Fahrbahn aus nicht erklärlichen Gründen sein Fahrzeug plötzlich in den Gegenverkehr lenkte und frontal gegen einen entgegenkommenden Lkw stieß. Die Sicht war zu diesem Zeitpunkt uneingeschränkt frei, Bremsspuren wurden nicht gefunden.
Versicherung sah keinen Arbeitsunfall
Mit schriftlichem Bescheid lehnte die Unfallversicherung im August 2012 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall endgültig ab. Zur Begründung führte sie aus,
- es spreche alles dafür, dass der Versicherte das zu seinem Tod führende Ereignis willentlich herbeigeführt habe.
- Damit handele es sich um einen Selbstmord, der nicht unter den Begriff des Arbeitsunfalls falle.
In erster Instanz erfolglos
Die hinterbliebene Witwe des Versicherten forderte gerichtlich die Anerkennung als Arbeitsunfall und hatte damit beim SG zunächst keinen Erfolg. Zur Überzeugung des SG war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin das Ereignis im Januar durch willentliches Tun herbeigeführt habe.
Besonderes rechtliches Interesse an der Feststellung des Arbeitsunfalls
Das zweitinstanzlich zuständige LSG stellte zunächst klar, dass die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten das für eine Feststellungsklage erforderliche schützenswerte Interesse an der begehrten Feststellung der Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall habe (BSG, Urteil v. 2.1.2010, B 2 U 21/08).
Darüber hinaus sei unzweifelhaft geklärt, dass der Versicherte sich zum Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Betriebsweg im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII befand, da er diesen Weg zum Besuch eines Kunden im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt habe (BSG, Urteil v. 18.6.2013, B 2 U 7/12).
Abgrenzung Unfall/Selbstschädigung
Entscheidend für die Beurteilung des Falls war nach Auffassung des BSG der in § 8 Absatz 1 Satz 2 SGB VII verwendete Unfallbegriff.
- Hiernach sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder wie hier zum Tode führen.
- Mit der Formulierung „von außen“ bringt das Gesetz laut BSG zum Ausdruck, dass ein aus der betreffenden Person selbst kommendes Geschehen nicht als Unfall anzusehen ist (BSG, Urteil v. 12.4.2005, B 2 U 27/04).
- Hierdurch soll der Unfallbegriff von Selbstschädigungen, zu denen auch der geplante Suizid gehört, abgegrenzt werden.
Hiermit hänge zusammen, dass dem Begriff des Unfalls immer die Unfreiwilligkeit der Einwirkung immanent sei.
Einige Indizien deuten auf eine Selbsttötung hin
Im Anschluss an diese Feststellungen prüfte das BSG anhand des konkreten Falls die Indizien, die für bzw. gegen eine Freiwilligkeit des Ereignisses sprachen. Für die freiwillige Herbeiführung des Unfallereignisses sprachen laut BSG:
- Die Tatsache, dass der Versicherte sein Fahrzeug ohne erkennbaren Grund in den Gegenverkehr gelenkt hatte,
- der später durch einen Gutachter festgestellte verkehrssichere Zustand seines Fahrzeugs,
- das Fehlen von Brems- und sonstigen Unfallspuren,
- die Tatsache dass der Versicherte verschuldet war.
Die Indizienkette reicht für die Annahme einer Selbsttötung nicht aus
Aus dieser Indizienkette ließ sich nach Auffassung des LSG aber nicht zwingend eine Selbsttötungsabsicht des Versicherten herleiten.
Es gab auch Indizien gegen einen Suizid:
- Zeugen hatten ausgesagt, der Versicherte habe einen extrovertierten, offenen Charakter gehabt.
- Er sei meist fröhlich gewesen und habe auch am Unfalltage laut Aussage seiner Sekretärin keinen deprimierten Eindruck gemacht.
- Sein Terminkalender sei voll gewesen und er habe eine ganze Anzahl von Akten von Kunden in seinem PKW mit sich geführt, was nicht für den Willen des Betroffenen spreche, sein Leben zu beenden.
Möglichkeit eines Sekundenschlafs
Denkbarer Grund für das unerklärliche Verkehrsverhalten des Versicherten seien auch die Möglichkeit eines Sekundenschlafs oder ein möglicherweise fahrlässiges Blättern in seinen Akten.
Außerdem sei der Versicherte angegurtet gewesen, was bei einer Fahrt in Selbstmordabsicht eher fernliegend sei.
Hohe Beweishürden für die Versicherung Im Ergebnis sah das OLG eine Selbsttötung als nicht erwiesen an. Das Gericht sah auch keine Möglichkeit, den Geschehensablauf weiter aufzuklären. Als anspruchsschädlicher Umstand sei für das Vorliegen einer Selbsttötung nach ständiger Rechtsprechung des BSG der Vollbeweis von demjenigen zu führen, der sich auf diesen Geschehensablauf berufe.
Dies sei regelmäßig die Versicherung, während Angehörige nicht beweisbelastet seien (BSG, Urteil v. 27.6.2006, B 2 U 20/04).
Vollbeweis nötig, aber nicht erbracht
Ein Vollbeweis sei aber nur dann erbracht, wenn ein Tatbestandsmerkmal in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung von dem Vorgang zu begründen. Ein solcher Vollbeweis sei vorliegend nicht erbracht, weil eine zu große Zahl nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließende Alternativmöglichkeiten in Betracht zu ziehen seien.
BGH gab der Witwe Recht
Im Ergebnis stellte das LSG damit fest, dass das strittige Unfallereignis als entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen ist.
(Bay LSG, Urteil v. 20.1.2015, L 3 U 365/14)
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