Digitaler Belästigung eines wehrhaften Opfers ändert Strafrecht

Ein bizarrer Fall beschäftigt seit Jahren die Alpenrepublik  Österreich. Sigrid Maurer, Fraktionschefin der Grünen und Opfer verbaler sexueller Belästigung, wurde vom Wiener Landesgericht zur Zahlung von 7.000 EUR Strafe bzw. Schadenersatz wegen übler Nachrede verurteilt. Das beschäftigte die Medien stark, nun wurde sie freigesprochen.

Die Medien unseres Nachbarn überschlugen sich mit kontroversen, oft derb-heftigen Kommentaren zu der von vielen als Skandalurteil bewerteten Entscheidung des Wiener Landesgerichts vom 9. Oktober 2018. Dort war die ehemalige Abgeordnete der Grünen, Sigi Maurer, wegen übler Nachrede angeklagt und schließlich verurteilt worden.

Sexistische Belästigungen per Facebook-Account

Die junge Politikerin war im österreichischen Nationalrat schon damals keine Hinterbänklerin, sondern setzte sich aktiv für Frauenrechte ein. In ihrem Wohnviertel kam sie nahezu täglich an einem „Craftbeer-Shop“ vorbei. In ihrem Internet-Account fanden sich mehrfach, abgesandt vom Facebook-Profil des Bierladenbesitzers, obszön-vulgäre Nachrichten u.a. mit Bezug zum Geschlechtsteil des Bierladenbetreibers sowie sexistische Beleidigungen wie kleine dreckige Bitch. Nicht nur als Als ausgewiesene Frauenrechtlerin stießen der so Angesprochenen die von ihr als sexuelle Belästigung empfundenen Nachrichten äußerst unangenehm auf.

In Österreich nur öffentliche Beleidigungen strafbar

Nach österreichischem Recht war bisher eine solch obszöne Internet-Anmache nicht als Beleidigung strafbar.

  • Im Unterschied zum deutschen Recht erforderte die Strafbarkeit der Beleidigung dort auch im virtuellen Raum ein öffentliches Tun.
  • Drang eine Schmähung nicht nach außen, so war der österreichische Tatbestand der Beleidigung nicht erfüllt. 

Siggi Maurer stellte den Bierladenbetreiber öffentlich an den Pranger

In Kenntnis dieses Sachverhalts verfiel die belästigte Politikerin auf die Idee, die Nachricht samt Absenderangabe auf ihrem Facebook-Account sowie auf Twitter öffentlich zu machen und ins Netz zu stellen. Originalzitat Maurer:

„Ich dachte mir, in einer Stadt voller Hipster schadet es ja nicht, darüber zu informieren, bei welchem frauenverachtenden Arschloch man potenziell sein Bier kauft“.

Bierhändler bestreitet bis heute, Verfasser zu sein

Bei ihrer Reaktion hatte die Grünen-Politikerin leider nicht mit einer weiterenr Besonderheit des österreichischen Rechts gerechnet. Über den bezichtigten Bierhändler ergoss sich nach der Veröffentlichung ein regelrechter Shitstorm. Der Händler musste aufgrund dessen mit ernsthaften Umsatzeinbußen rechnen und verfiel daher auf die Idee, Maurer wegen übler Nachrede und Kreditschädigung zu verklagen.

Er behauptete, die beanstandete Nachricht nicht verfasst zu haben. Sein Computer stehe öffentlich im Verkaufsraum, da könne jeder ran, der sein Geschäft betrete. Wahrscheinlich habe ein Kunde namens Willi, der der Grünen-Politikerin eins auswischen wollte, die Nachricht abgesetzt. Er selbst sei es jedenfalls nicht gewesen.

Der kurze Weg vom Opfer zur Täterin

Das Wiener Landesgerichts hielt die Einlassung des Bierhändlers zwar nicht für besonders glaubwürdig.  Schon im Internet war von Kommentatoren angemerkt worden, dass die Schreibweise der beleidigenden Tweets, etwa durch die Häufung von Ausrufezeichen, der Schreibweise des Bierhändlers in seinen Dementis ähnelte. Andererseits sei diese Darstellung des Händlers, er sei immer mal nicht im Laden gewesen, objektiv auch nicht zu widerlegen. Fazit des Gerichts: Rechtlich müsse Maurer vollen Beweis dafür erbringen, dass die Nachricht tatsächlich von dem Bierhändler stamme. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht. Die in der Schmähung der Politikerin verwendete spezielle Schreibweise des Bierladens einschließlich einer spezifischen typischen Interpunktion reichte dem Gericht als Nachweis der Urheberschaft nicht aus.

Die Veröffentlichung der Nachricht samt Absenderangabe im Netz ohne vorherige sorgfältige Recherche zum wahren Urheber erfüllte nach Auffassung des Wiener Landesgerichts daher den Tatbestand der üblen Nachrede. In Anbetracht der Gesamtumstände sei - so der Vorsitzende Richter - eine Verurteilung der Politikerin nicht zu vermeiden.

Ergebnis: 7.000 EUR plus Verfahrenskosten

Das Gericht verurteilte Maurer

  • zur Zahlung einer Entschädigung für erlittene Unbill an den wahrscheinlich frauenfeindlichen Bierladenbetreiber in Höhe von 4.000 Euro,
  • zur Zahlung einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 Euro (insgesamt also 3.000 Euro) die Entscheidung
  • sowie zur Tragung der Verfahrenskosten.

Sigrid Maurer legte Rechtsmittel ein

Die Politikerin legte Rechtsmittel ein. Das Wiener Oberlandesgericht hob daraufhin das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurück. Am 17.2.2021 war Hauptverhandlung vor dem Wiener Straflandesgericht. Der angebliche Urheber der beleidigenden Facebook-Äußerungen, Willi, war zwischenzeitlich ermittelt worden und ebenfalls zum Termin erschienen. Vor Gericht verneinte Willi, die obszönen Privatnachrichten über Facebook abgesetzt zu haben. Er erklärte, über keinen Zugang zu Facebook zu verfügen.

Überraschungscoup: Bierwirt zieht Anklage zurück

Mit der Aussage Willis, der danach sofort von Heerscharen von Reportern umringt wurde, versprach der Prozess nochmal spannend zu werden. Dann trat jedoch eine überraschende Wende ein: Der neue Rechtsbeistand des Bierwirts trat vor die Richterbank und überreichte eine schriftliche Erklärung, wonach er die Anklage gehen Maurer zurückzog. Der verdutzte Vorsitzende Richter benötigte einige Sekunden, bis er die Erklärung richtig deutete. Der Rechtsbeistand des Bierwirtes erklärte den Schritt damit, er habe das Gefühl, dass sein Mandant im Ergebnis den Prozess nicht gewinnen könne. Die Gegnerin sei politisch und finanziell deutlich stärker aufgestellt. Sein Mandant fühle sich nach wie vor im Recht, sehe seinen Kampf gegen die Politikerin aber als aussichtslos an.

Überraschender Freispruch

Nach dieser Erklärung sprach das Gericht Maurer von sämtlichen gegen sie erhobenen Vorwürfen frei. Erstaunlicherweise erklärte der Vertreter des Bierwirtes daraufhin, gegen den Freispruch Berufung einzulegen. Der Vorsitzende Richter belehrte ihn darauf hin, dass der Freispruch gemäß § 259 Abs. 2 der österreichischen StPO rechtmäßig ergangen sei, eine Berufung daher wenig Sinn habe. Inzwischen hat der Anwalt nach Medienberichten die Berufung zurückgenommen. Damit wäre der Freispruch rechtskräftig. Der Freispruch hat die für den Bierwirt unangenehme, aber zwingende Folge, dass er als Ankläger sämtliche Kosten des Verfahrens tragen muss (deshalb wohl zunächst die Rechtsmittelerklärung).

Aufklärung jetzt nicht mehr möglich

Maurer selbst zeigte sich von der Art und Weise des Ausgangs des Verfahrens enttäuscht. Zwar fühle sich befreit, dass das Verfahren beendet sei. Allerdings sei so die Chance verspielt worden, tatsächlich festzustellen, ob der Bierwirt selbst oder ein anderer die obszönen Posts an sie versendet hat. Zur Not wäre sie nach ihrer Aussage bis zum EuGH gegangen.

Gesetzeslage in Österreich hat sich inzwischen verändert

Nicht zuletzt veranlasst durch den Prozess wurde in Österreich ein „Gesetzespaket gegen Hass im Netz“ angestoßen und verabschiedet, welches es Opfern ermöglicht, leichter als bisher und vor allem mit deutlich reduziertem Kostenrisiko zu ihrem Recht zu kommen. Die inzwischen zur Vorsitzenden der neuen Regierungsfraktion aufgestiegene Grünen-Politikerin Maurer kommentierte den Prozessausgang mit dem Hinweis, dass mit der Gesetzgebung der grün-konservativen Koalition ein solch skurriler Verfahrensablauf heute nicht mehr denkbar wäre.

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Schlagworte zum Thema:  Strafrecht, Sexuelle Belästigung