Warum ein Deutscher wegen Rasens in der Schweiz in Deutschland in Haft muss
Mit bis zu 200 Stundenkilometern war ein deutscher Autofahrer aus Baden-Württemberg in seinem BMW Z 4 auf Schweizer Straßen unterwegs.
- 80 Kilometer zu schnell für die Schweizer Autobahnen,
- auf denen ein Tempolimit von 120 km/h gilt.
- Auch im Gotthard-Tunnel fiel der Mann durch seinen unkontrollierten Gasfuß auf – 135 km/h statt der erlaubten 80 km/h
- und eine Vielzahl verbotener Überholmanöver wurden dokumentiert.
Nach Schweizer Strafrecht zu 30 Monaten verurteilt
In der Schweiz wurde der Raser nach dortigem Strafrecht
- wegen „Gefährdung des Lebens und wiederholter grober Verletzung der Verkehrsregeln"
- zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt,
- wobei 18 Monate als bedingter Strafvollzug in einer Probezeit von drei Jahren ausgesprochen wurden.
Die entscheidende Frage für den Mann, der in Deutschland im Kreis Ludwigsburg wohnt: Muss er die Haftstrafe in Deutschland antreten, hat die Schweizer Justiz indirekt Zugriff auf den in Deutschland lebenden Mann?
Das Schweizerische Bundesamt für Justiz stellte jedenfalls bei den deutschen Behörden den Antrag, die Strafe gegen den deutschen Staatsangehörigen in Deutschland zu vollstrecken.
LG Stuttgart hatte Vollstreckung in Deutschland abgelehnt
Das Landgericht Stuttgart hatte es noch abgelehnt die Strafe in Deutschland zu vollstrecken und dies folgendermaßen begründet:
- in Deutschland sei das Verhalten des Mannes nur als Ordnungswidrigkeit zu werten, wegen der nur eine Geldbuße verhängt werden könne
- die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sei im Hinblick darauf unverhältnismäßig
- die Vollstreckung des in der Schweiz ergangenen Urteils widerspreche wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung
Warum das OLG Stuttgart die Freiheitsstrafe für zulässig erklärt hat
Das OLG Stuttgart hat diesen Beschluss nun aufgehoben und die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten in Deutschland für zulässig erklärt. Zur Handhabung einer im Ausland verhängten Freiheitsstrafe verweist das Gericht auf den eindeutigen Wortlaut von § 49 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG):
- danach kann auch eine im Ausland verhängte Freiheitsstrafe in Deutschland vollstreckt werden, wenn hier aufgrund des geahndeten Verhaltens nur Ordnungswidrigkeiten vorlägen
- es komme dabei auf die beiderseitige Sanktionierbarkeit an,
- und nicht auf die beiderseitige Strafbarkeit.
Freiheits- statt Geldstrafe: Hart, aber nicht unverhältnismäßig
die Vollstreckbarkeitserklärung sei auch nicht unverhältensmäßig. Eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten könne zwar möglicherweise als hart angesehen werden, sie sei aber nicht als „unerträglich und in keiner Weise vertretbar“ zu beurteilen.
Das Gericht wies zudem darauf hin, dass auch kein Verstoß gegen den deutschen „Ordre Public“ vorliege, also gegen die Vorbehaltsklausel in Artikel 6 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch:
„Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“
Übernahme der anschließenden Bewährungsstrafe ist im IRG nicht vorgesehen
Nicht übernommen wird von den deutschen Gerichten dagegen die vom schweizerischen Gericht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von weiteren 18 Monaten.
(OLG Stuttgart, Beschluss v. 25.4.2018, 1 Ws 23/18)
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