Gericht unsicher über Facebook-Pflichten bei Hetze und Beleidigungen
Flüchtling Anas Modamani aus Syrien ist zu weltweiter Aufmerksamkeit gelangt, als er im Rahmen der Flüchtlingswelle ein Selfie mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel schoss, das blitzschnell in den öffentlichen Medien und im Netz die Runde machte.
Hasspotenzial beim Fotografieren unterschätzt
Modamani - und wohl auch Merkel - hatte allerdings nicht mit dem Hasspotenzial und der "Hate Speech" einiger interessierter Kreise gerechnet, die ihn in der Folgezeit im Netz verunglimpfen und ihn wider jede Wahrheit in Verbindung mit terroristischen Akten bis hin zu den Terroranschlägen in Brüssel brachten: Modamani wird mal als Krimineller dargestellt, der Obdachlose anzündet, mal als gesuchter Terrorist.
Modamani verlangte darauf von Facebook die Löschung der verleumderischen Inhalte, ohne immer wieder die jeweils neuen Hass-Posts anzeigen zu müssen.
Mit Spannung erwartetes Urteil
Die mit Spannung erwartete Entscheidung des LG Würzburg zu den möglichen Verpflichtungen eines sozialen Netzwerks, Inhalte mit schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu löschen, enttäuschte nicht nur den Syrer, die abschlägige Entscheidung auf den Antrag lässt die entscheidenden rechtlichen Fragen leider auch unbeantwortet.
Keine Wundersoftware gegen Rechtsverletzungen
Als die Inhalte im Netz auch nach Sperrung einiger Fundstellen immer wieder auftauchten, ging Modamani gerichtlich gegen Facebook vor, mit dem Ziel im Rahmen einer einstweiligen Verfügung Facebook zu verpflichten, aktiv sämtliche strafrechtlichen Inhalte ein für alle Mal so zu löschen oder zu sperren, dass diese nicht wieder auftauchen können.
- Facebook verteidigte sich damit, die Erfüllung dieses Verlangens sei technisch nicht möglich.
- Man brauche schon eine Wundersoftware, um das wiederholte Hochladen beleidigender und verleumderischer Inhalte automatisch zu blockieren.
Über eine solche Software verfüge man nicht.
LG Würzburg zeigt Verständnis für Facebooks Löschprobleme
Das LG Würzburg beurteilte den Fall äußerst ambivalent. Gemäß § 10 TMG seien Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich sofern
- die Diensteanbieter keine Kenntnis von dem rechtswidrigen Inhalt haben oder
- sie bei Kenntnis des rechtswidrigen Inhalts unverzüglich tätig geworden sind,
- um die rechtsverletzenden Informationen zu entfernen oder den Zugang hierzu zu sperren.
Facebook muss Hass-Posts nicht selbst suchen
Nach Auffassung des Gerichts hatte Facebook als Host-Provider zwar unstreitig Kenntnis von den verleumderischen Inhalten über den Antragsteller, allerdings habe Facebook auf entsprechende Meldungen des Antragstellers sofort reagiert und die entsprechende Inhalte gelöscht.
Das LG war insoweit der Auffassung, dass sich der Rechtsanspruch auf Löschung dieser Inhalte grundsätzlich auf das Bundesgebiet beschränkt. Demgegenüber sei der Host Provider nicht verpflichtet, eigeninitiativ tätig zu werden, um noch nicht bekannte rechtswidrige Inhalte aufzuspüren.
Höhere Anforderungen bei schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Den soeben aufgestellten Grundsatz relativierte die Kammer dann wieder durch die Frage, ob bei einer schweren Persönlichkeitsverletzung - von der im vorliegenden Fall ausgegangen werden müsse - der Host Provider sich darauf zurückziehen dürfe, dass der Verletzte ihm jede einzelne Fundstelle einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nachweisen müsse.
Im Fall des quasi automatisch immer wiederkehrenden Hochladens rechtsverletzender Inhalte führe der Verletzte in diesen Fällen durch ständige Nachbenennung von Fundstellen einen Kampf gegen Windmühlen, den er nicht gewinnen könne.
Bei schweren Persönlichkeitsverletzungen hält die Kammer daher die Forderung nach einem erhöhten Suchaufwand durch den Host Provider grundsätzlich für gerechtfertigt .
Grenze der technischen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit
Auch zu diesem Grundsatz machte die Kammer dann wieder die Einschränkung, dass der im Fall einer schweren Persönlichkeitsverletzung zu fordernde erhöhte Suchaufwand technisch und wirtschaftlich zumutbar sein müsse: Es dürfe kein Aufwand verlangt werden, der außer Verhältnis zu dem erstrebten Erfolg stehe.
Keine Antwort auf die Fall entscheidende Frage
- Um die Beantwortung der entscheidenden Frage, was technisch realisierbar und was wirtschaftlich zumutbar ist, drückte sich das LG allerdings in letzter Konsequenz.
- Nach Auffassung des LG sind diese wichtigen Fragen in einem Eilverfahren nämlich nicht aufklärbar.
- Die Klärung müssten einem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden, in welchem Sachverständige zu dem erforderlichen technischen Aufwand gehört werden könnten.
- In einem Eilverfahren sei die Problematik nicht zu lösen.
Außerdem habe der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die von ihm beanstandeten Inhalte in Deutschland von einem Durchschnittsnutzer überhaupt weiterhin abgerufen werden könnten.
Keine besondere Eilbedürftigkeit im vorliegenden Fall
Schließlich befand das Gericht, dass der Beseitigungsanspruch des Antragstellers zwar möglicherweise rechtlich gerechtfertigt sei, jedoch sei die für eine Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren erforderliche Eilbedürftigkeit nicht gegeben,
- da die Inhalte ohnehin bereits weltweit Verbreitung gefunden hätten und
- die Gefahr einer Vertiefung des durch die weltweite Verbreitung bereits eingetretenen Schadens durch die längere Dauer eines Hauptsacheverfahrens nicht erkennbar sei.
- Im Ergebnis sei es dem Antragsteller zumutbar, eine Entscheidung im Hauptverfahren anzustreben und abzuwarten.
Alle Fragen offen
In letzter Konsequenz ließ das Gericht damit alle wesentlichen rechtlichen Fragen offen. Das Urteil ist nicht nicht rechtskräftig.
(LG Würzburg, Urteil v. 7.3.2017, 11 O 2338/16)
Hintergrund:
Gefährliches Mandat
Der Rechtsanwalt des Flüchtlings, der Würzburger Anwalt I Chan-jo Jun, hat allerdings bereits angekündigt, dass er das Verfahren nicht weiterführen wird.
Er und seine Familie hätten entschieden, dass die Fortführung des Verfahrens für ihn und seine Familie zu gefährlich sei. Seine Familie sei in den vergangenen Wochen in einer Weise mit Gewalt bedroht worden, dass er eine Fortführung des Verfahrens aus persönlichen Gründen nicht verantworten könne.
Facebook fühlt sich durch die Entscheidung bestätigt
Facebook war zufrieden mit dem Würzburger Urteil. Das Unternehmen sei erfreut darüber, dass „das Gericht unsere Ansicht teilt, dass die eingeleiteten rechtlichen Schritte hier nicht der effektivste Weg zur Lösung der Situation waren“. Das Unternehmen unterlässt allerdings einen Hinweis darauf, dass die grundsätzlichen Rechtsfragen durch das Gericht nicht beantwortet wurden.
Urteil mit erheblichen politischen Auswirkungen
Das Urteil droht zu Verwerfungen in der Koalition zu führen. Unionsstratege Kauder hat bereits das Justizministerium angemahnt, die Koalitionsvereinbarung zu erfüllen und den seit längerem avisierten Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung strafrechtlich relevanter Hassbotschaften und Verleumdungen in den sozialen Netzwerken vorzulegen. Justizminister Heiko Maas - so Kauder - habe einen konkreten Gesetzentwurf für Februar 2017 angekündigt. Bisher liege aber nichts vor. Kauder drängt zur Eile, da der Gesetzentwurf dringend noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden müsse. Der Justizminister gerät hierdurch mächtig unter Druck da in seiner eigenen Partei äußerst umstritten ist, inwieweit die sozialen Netzwerke an die kurze Leine gelegt werden sollten.
Medien sehen den Richterspruch kritisch
Die Verteidigungslinie von Facebook wurde von der Presse und anderen öffentlichen Medien mit Unverständnis zur Kenntnis genommen.
Ein Unternehmen wie Facebook, das ein Geschäftsmodell mit einem gigantischen finanziellen Erfolg betreibt, darf sich nicht auf technische Probleme zurückziehen, wenn es um die Einhaltung deutschen Rechts geht.
Der Vorwurf, dass Facebook mit Löschungen nicht schnell und konsequent genug vorgeht, ist nicht neu. Ein Unternehmen wie Facebook sollte verpflichtet sein, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Verletzung strafrechtlicher Bestimmungen und die Stigmatisierung von Personen durch unwahre, verleumderische Inhalte zu verhindern. Die Einhaltung des Rechts muss über den technischen Bedürfnissen von Netzwerkunternehmen stehen.
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