Fahrverbot durch volle Sekunde verdient? Auch Polizisten können irren
Das Auge des Gesetzes mag wachsam sein. Es hat aber keine übernatürlichen Fähigkeiten und neigt genauso zu Fehleinschätzungen wie jeder andere Mensch auch. So kann eine Entscheidung des OLG Köln interpretiert werden, die sich mit einem Rotlichtverstoß und dessen Konsequenzen befasste.
300 Euro Geldbuße und 1 Monat Führerscheinentzug
Zu 300 Euro Geldbuße und einem Führerscheinentzug von einem Monat war ein Autofahrer verurteilt worden, der eine rote Ampel überfahren hatte. Das Besondere daran: Es gab keine technischen Hilfsmittel für die Beweisführung. Das Urteil stützte sich ausschließlich auf die Aussagen eines Polizisten, der mit seinem Kollegen die Ordnungswidrigkeit im Rahmen einer gezielten Rotlichtkontrolle beobachtet hatte.
Qualifizierter Rotlichtverstoß nur schwer nachweisbar
Dem Amtsgericht konnte der Polizist noch plausibel machen, dass er mit bloßem Auge erkennen konnte, dass die Ampel schon mindestens für eine Sekunde rot war, bevor der Autofahrer die Haltelinie überfuhr und dass damit ein sog. qualifizierter Rotlichtverstoß vorlag. Zu seiner zeitlichen Einschätzung kam der Beamte, indem er die Fahrzeuglänge des Autos, die vermutete Geschwindigkeit und die zurückgelegte Entfernung des Fahrzeugs seit dem Umspringen der Ampel auf Rot in Bezug setzte.
Für das OLG Köln waren das ein paar Unsicherheiten zu viel. Es sah keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die Ampel schon mindestens eine Sekunde auf Rot stand, bevor der Autofahrer die Kreuzung überquerte.
Einschätzung des Polizisten ohne technische Hilfsmittel fragwürdig
Wegen der erheblichen Auswirkungen im Rechtsfolgenausspruch müsse die Feststellung, dass das Rotlicht im maßgeblichen Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie länger als eine Sekunde dauerte vom Tatrichter nachvollziehbar aus der Beweisführung hergeleitet werden, so das OLG. Das Gericht wies darauf hin, dass gerade bei einem Zeugenbeweis ohne technische Hilfsmittel eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Aussagen geboten sei.
Entfernungsangaben, die ausschließlich auf visuellen Schätzungen beruhen, sind nach Einschätzung des Gerichts in der Regel mit einem erheblichen Fehlerrisiko behaftet. In derartigen Fällen sei eine wertende Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Schätzung unverzichtbar. Diese kritische Überprüfung habe das Gericht im vorliegenden Fall aber offensichtlich unterlassen.
Mangelhafte Beweisführung
Aufgrund der mangelhaften Beweisführung hob das OLG das Urteil insgesamt auf, obwohl die Feststellungen zwar keinen qualifizierten, wohl aber einen einfachen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO belegen.
(OLG Köln, Beschluss v. 20.03.2012, III-1 RBs 65/12).
Hintergrund: Qualifizierter Rotlichtverstoß
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt vor, wenn die Lichtzeichenanlage nicht nur bei Rotlicht, sondern
- später als 1 Sekunde nach Anzeigen des Rotlichts überfahren wird
- oder wenn bei einer Rotlichtampelüberquerung andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet werden.
Die Folgen dieser Differenzierung sind erheblich:
- Der einfache Rotlichtverstoß wird lediglich mit einer Geldbuße (zur Zeit 90 EUR) und einem Punkteeintrag in der Flensburger Verkehrssünderkartei (3 Punkte) geahndet.
- Der qualifizierte Rotlichtverstoß zieht regelmäßig eine höhere Geldbuße (200 – 360 EUR), einen höheren Punkteeintrag (4 Punkte) sowie ein Fahrverbot (1 Monat) nach sich.
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
2.172
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.7342
-
Gerichtliche Ladungen richtig lesen und verstehen
1.635
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
1.613
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
1.471
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
1.400
-
Brief- und Fernmelde-/ Kommunikationsgeheimnis: Was ist erlaubt, was strafbar?
1.368
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
1.305
-
Verdacht der Befangenheit auf Grund des Verhaltens des Richters
1.136
-
Formwirksamkeit von Dokumenten mit eingescannter Unterschrift
1.0461
-
Unbemerkt 1,32 Promille durch Schnapspralinen?
15.11.2024
-
Keine Auferlegung der Anwaltskosten ohne Begründung
14.11.2024
-
Bei herbstlichem Laub muss man mit Glätte rechnen
08.11.2024
-
Anspruch auf Verdienstausfall bei unrichtiger AU
07.11.2024
-
Verkehrsunfall – Unfallopfer müssen Versicherung Vorschäden anzeigen
05.11.2024
-
Erleichterte Darlegungslast beim Schadenersatz
28.10.2024
-
Mietwagen ohne Übergabeprotokoll – muss der Mieter für angebliche Schäden haften?
14.10.2024
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
01.10.2024
-
Nicht angeschnallte Mitfahrer können für Drittschäden haften
16.09.2024
-
Kollision auf Autozug – muss die Haftpflichtversicherung zahlen?
02.09.2024