Haftung trotz Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist kein Freibrief für Autofahrer. Ihr Einhalten verhindert nicht in jedem Fall Mithaftung für einen Unfall. Situativ kann es nötig sein, auf halbe Sicht zu fahren, wie beispielsweise bei Dunkelheit auf einer schmalen Straße oder angesichts eines Landwirtschaftsfahrzeugs zur Erntezeit.

Der fragliche Unfall ereignete sich bei Dunkelheit auf einer schmalen Gemeindestraße ohne Fahrbahnmarkierungen. Auf der nur 4,95 Meter breiten Straße kollidierten ein überbreites (2,95 Meter), ordnungsgemäß beleuchtetes Erntefahrzeug und ein Pkw.

Mitverschulden am Unfall trotz erlaubter Geschwindigkeit?

Das landwirtschaftliche Gespann war mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 35 Stundenkilometern unterwegs. Das Auto hatte zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls eine Geschwindigkeit von 75-85 km/h – erlaubt waren auf der Straße 80 km/h.

Der Haftpflichtversicherer des Pkw trug vor, dass der Fahrer des landwirtschaftlichen Gespanns den Unfall zu 50 Prozent verursacht habe und zahlte deshalb nur die Hälfte des Schadens der an dem Schlepper und dem Anhänger entstandenen war. Der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns sah dagegen die Pkw-Fahrerin als die alleinige Unfallverursacherin und wollte deshalb den Schaden in voller Höhe ersetzt bekommen.

Verschuldensanteil der Pkw-Fahrerin 70 Prozent

Das Landgericht Verden war zur Einschätzung gekommen, dass der Unfall zu 65 Prozent vom Fahrer des landwirtschaftlichen Fahrzeugs verursacht worden sei. Das OLG Celle kam zu einer anderen Einschätzung und sah bei der Fahrerin des Pkw einen Verschuldensanteil von 70 Prozent. Maßgeblich dafür:

  1. die Geschwindigkeitsüberschreitung der Pkw-Fahrerin gemäß § 3 Abs. 1 StVO und
  2. ihr Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO

Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund trotz entsprechender Ortskenntnis unangemessenen Tempos 

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung der Pkw-Fahrerin sah das Gericht, obwohl die Frau laut Sachverständigem höchstens minimal schneller gefahren war als erlaubt. Begründung: Die ortskundige Fahrerin musste auf der Gemeindestraße grundsätzlich mit landwirtschaftlichem Verkehr rechnen, gerade in der Zeit des Unfalls, denn der Unfall ereignete sich Ende September, also zur Erntezeit.

Sie hätte das Landwirtschaftsfahrzeug erkennen und ihre Geschwindigkeit reduzieren können, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Straße schmal und kurvig war und keine seitliche Begrenzung aufwies. Die Autofahrerin hätte entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 5 StVO auf halbe Sicht fahren müssen. Schon bei Tageslicht wäre es angebracht gewesen, angesichts der engen und kurvigen Straßenverhältnisse die Geschwindigkeit bei Gegenverkehr deutlich zu reduzieren, so das OLG.

Verstoß gegen Rechtsfahrverbot

Zudem habe die Autofahrerin gegen das Rechtsfahrverbot verstoßen (§ 2 Abs. 2 StVO). Wäre die Frau mittig auf ihrer Fahrbahnhälfte gefahren, hätte sie die Kollision verhindern können, zumal der Fahrer des landwirtschaftlichen Fahrzeugs dieses mit 30 bis 35 Zentimetern in den rechten Seitenraum gesteuert hatte.

Erhöhte Betriebsgefahr bei massigem Fahrzeug

Einen Anspruch auf vollständigen Ersatz des Schadens hat der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns aber nicht, weil er sich angesichts der Masse (18 Tonnen) und der Breite (2,95 Meter) des Fahrzeugs eine erhöhte Betriebsgefahr im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG anrechnen lassen muss. Die Fahrzeugeigenschaften hätten sich in dem Unfallgeschehen kausal ausgewirkt. Denn aller Voraussicht nach wäre es bei einem schmaleren Fahrzeug nicht zur Kollision gekommen. Zudem wären bei einem leichteren Fahrzeug die Unfallfolgen geringer ausgefallen.

(OLG Celle, Urteil v. 04.03.2020, 14 U 182/19).

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Hintergrund: Betriebsgefahr

Mit dem Begriff der Betriebsgefahr wurde ein weitreichender Ausnahmetatbestand von dem im deutschen Schadensrecht geltenden Verschuldensprinzip geschaffen. Grundgedanke dieses Haftungsbegriffs ist die Annahme, dass mit dem Betrieb bestimmter technischer Maschinen und Geräte wie Kraftfahrzeugen, Schienenbahnen, Luftfahrzeugen u.ä. eine besondere Gefahrenquelle für die Allgemeinheit oder für Einzelne geschaffen wird.

Erhöhte Betriebsgefahr

Erhöht ist die Betriebsgefahr, wenn sie gegenüber der üblicherweise anzusetzenden einfachen Betriebsgefahr durch Besonderheiten des Unfallorts (Ölspur: OLG Koblenz r+s 2013, 516; nasse Fahrbahn: OLG Düsseldorf AR 1990, 462; hohe Geschwindigkeit des Fahrzeugs: vgl. i.E. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 17 StVG Rn 11; verkehrswidrigen Verhaltens des Fahrers: BGH NZV 2005, 407, OLG Hamburg DAR 2000, 568) geprägt wird. In all diesen beispielhaft aufgeführten Fällen sind die zu erwartenden Sicherheitsstandards nicht eingehalten, so dass eine Mithaftung der hierfür Verantwortlichen (Fahrer, Halter, Haftpflichtversicherung) wegen Mitverursachung gerechtfertigt erscheint.

Im Rahmen des § 17 Abs. 2 StVG führte die Überbreite des Anhängergespanns zur Annahme einer erhöhten Betriebsgefahr. 

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, Mitverschulden