Autofahrer verletzt Fußgängerin und haftet dennoch nicht

Autofahrer sehen sich im Falle eines Unfalls mit der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung konfrontiert. Doch es gibt Konstellationen, in denen die erhöhte Betriebsgefahr hinter einem groben Verschulden des anderen Verkehrsteilnehmers zurücktritt.

Die Klägerin, ein jugendliches Mädchen, der ein Auto beim Betreten der Fahrbahn über den Fuß gefahren war, war in ihren Aussagen zum Unfallhergang sehr vage. Sie wollte eine Straße überqueren. Was dann passierte, blieb auch in der Verhandlung um Schadensersatz und Schmerzrnsgeld unklar.

Unklare Unfallursache

Die Unsicherheit der Klägerin spiegelte sich in folgenden Aussagen wider:

  • sie glaube an der Bordsteinkante gestolpert zu sein
  • sie glaube, vor dem Betreten der Fahrbahn nach links und rechts geschaut zu haben
  • sie wisse nicht mehr, ob sie in einem Zug gegangen sei
  • und schließlich wisse sie auch nicht, wie weit sie mit dem Fuß in der Fahrbahn war und wie sie genau an das Fahrzeug geraten sei

Deutlich klarer hingegen stellte sich das Verhalten der Beklagten dar. Die sei unstreitig nicht mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen und sei auch nicht dazu verpflichtet gewesen, sich gemäß § 3 II a StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung der Klägerin ausgeschlossen ist. Denn diese habe zum Unfallzeitpunkt das 14. Lebensjahr bereits vollendet gehabt und sei somit kein Kind mehr im Sinne dieser Vorschrift gewesen.

Autofahrerin hat Sicherheitsabstand eingehalten

Zudem war der Senat aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte den erforderlichen Sicherheitsabstand des von ihr geführten Pkw zum rechten Fahrbahnrand eingehalten und somit kein schuldhafter Verstoß gemäß § 3 II a StVO vorliege:

„Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“

Letztlich war das Gericht nicht mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, wie weit die Klägerin zum Kollisionszeitpunkt auf die Fahrbahn getreten war und wie groß entsprechend der Abstand des Beklagten-Pkw war.

Erheblicher Mitverschuldensbeitrag der Klägerin

Den Beklagten sei es gelungen, einen erheblichen Mitverschuldensbeitrag der Klägerin nachzuweisen. Die Klägerin habe den Unfall dadurch verursacht, dass sie entgegen § 25 III 1 StVO nicht auf den für sie deutlich sichtbar von links kommende Pkw der Beklagten achtete und in dessen hinteren Bereich förmlich hinein lief.

  • Ob die Klägerin gestolpert sei oder nicht, sei nicht entscheidend.
  • Es spreche aber vieles dafür, unter anderem die Aussage einer Zeugin, dass sie vor dem Betreten der Fahrbahn nicht mehr angehalten habe.

Betriebsgefahr tritt hinter grobem Verschulden zurück

Hinter das grobe Verschulden der Klägerin trete die allgemeine, durch keinen schuldhaften Verursachungsbeitrag der Beklagten erhöhte Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw zurück.

Das OLG bestätigte damit die Einschätzung des Landgerichts, dass das gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB zu berücksichtigende Mitverschulden der Klägerin so schwer wiegt, dass dahinter die allgemeine Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw zurücktritt.

(OLG München, Urteil v. 10.11.2017, 10 U 491/17).


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Hintergrund:

Mit dem Begriff der Betriebsgefahr wurde ein weitreichender Ausnahmetatbestand von dem im deutschen Schadensrecht geltenden Verschuldensprinzip geschaffen. Grundgedanke dieses Haftungsbegriffs ist die Annahme, dass mit dem Betrieb bestimmter technischer Maschinen und Geräte wie Kraftfahrzeugen, Schienenbahnen, Luftfahrzeugen u.ä. eine besondere Gefahrenquelle für die Allgemeinheit oder für Einzelne geschaffen wird.


Schlagworte zum Thema:  Mitverschulden, Verkehrsunfall, Schmerzensgeld