Wann haftet ein 8-jähriges Kind für einen Verkehrsunfall?

Ein achtjähriges Mädchen auf seinem Fahrrad schaut während der Fahrt längere Zeit nach hinten zu seinen Eltern und verursacht dabei einen Unfall. Ob das Kind für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden kann, hat das OLG Celle entschieden.

Ein Mädchen war auf seinem Fahrrad war zusammen mit seinen Eltern auf einer Uferpromenade am Gardasee unterwegs. Die Eltern, die ihre Fahrräder schoben, liefen einige Meter hinter ihrer Tochter. Das Mädchen drehte sich während des Fahrens eine zeitlang zu ihren Eltern um. Dabei kam sie von ihrer Fahrspur ab und näherte sich einer Frau und deren Freundin, die an der Uferpromenade standen.

Eltern warnten ihre Tochter 

Die Eltern erkannten die brenzlige Situation und riefen ihrer Tochter eine Warnung zu. Die bremste im letzten Moment mittels einer Vollbremsung abrupt ab. Die eine der beiden Frauen konnte noch ausweichen, die andere geriet – ohne Kontakt zu dem Mädchen gehabt zu haben – ins Straucheln, verlor das Gleichgewicht und stürzte von der Uferpromenade auf einen etwa einen Meter unter dieser liegenden Betonsteg und von dort aus ins Hafenbecken.

Bei dem Sturz erlitt die Frau diverse Frakturen. Sie nahm das Kind und dessen Eltern vor dem Landgericht Hannover auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Eltern hatten die Aufsichtspflicht nicht verletzt

Das Landgericht hatte die Klage der Frau abgewiesen. Auf deren Berufung hat das OLG Celle die Entscheidung des LG teilweise geändert und das Kind zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt. Einen Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes bestehe demgegenüber nicht, so das OLG, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hätten.

Das OLG zur Haftung von Minderjährigen im Straßenverkehr

Das Kind haftet nach dem OLG-Urteil gem. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 3 BGB dem Grund nach für die Schäden der verunfallten Passantin. 

  • Minderjährige sind für die Schäden, die sie einem anderen zufügen, nur dann nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben.
  • Dabei verlangt das Gesetz vom Kind nur die Fähigkeit zu einem allgemeinen Verständnis des Unrechtsgehaltes seines Verhaltens und der Pflicht, dafür einstehen zu müssen.
  • Den konkreten Schaden muss das Kind sich nicht vorstellen können.
  • Es genügt die Fähigkeit zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.

Es war egal, dass das radelnde Kind das Unfallopfer nicht berührt hat 

Eine Berührung zwischen der Klägerin und der Beklagten bedürfe es nicht, um den Sturz der Klägerin adäquat-kausal auf das Fahrverhalten der Beklagten zurückzuführen, so das OLG. Eine Haftung komme auch dann in Betracht, wenn der Unfall nur mittelbar durch das Fahrverhalten des Mädchens verursacht worden ist. Allerdings reiche hierfür nicht die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle aus.  Vielmehr müsse die Beklagte durch ihre Fahrweise zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil v. 21.09.2010, VI ZR 263/09).

Warum das Kind die erforderliche Einsicht hatte

Das allgemeine Verständnis, dass eine längere Rückschau während der Fahrt Gefahren herbeiführen kann, lag hier nach Ansicht des Gerichts  vor. Einem altersgerecht entwickelten achtjährigem Kind, das nach eigener Aussage bereits seit dem fünften Lebensjahr regelmäßig auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, müsse bewusst sein, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken dürfe.
Es handele sich auch nicht um ein Augenblicksversagen, sondern um eine Zeitspanne, während der der Vater des Mädchens nach eigener Aussage den Richtungsverlust seiner Tochter wahrnehmen konnte.

Kein Mitverschulden der verletzten Fußgängerin

Ein Mitverschulden der verletzten Frau gem. § 254 BGB sah das Gericht nicht. Die habe zulässigerweise am Rand der Promenade gestanden und anders als ihre Freundin nicht die Möglichkeit gehabt, der drohenden Kollision durch einen Schritt zur Seite zu entgehen.

(OLG Celle, Urteil v. 19.02.2020, 14 U 69/19).

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Rechtlicher Hintergrund: Haftung von Kindern und Minderjährigen

Das Deliktsrecht sieht in den §§ 823 ff. BGB eine Haftung nur dann vor, wenn der Schädiger schuldhaft gehandelt hat. Dies setzt voraus, dass eine Verschuldensfähigkeit besteht.

Bei Kindern unter sieben Jahren ist zu beachten, dass diese nach § 828 Abs. 1 BGB für von ihnen verursachte Schäden nicht verantwortlich sind.

Minderjährige (d.h. Kinder und Jugendliche von sieben bis 17 Jahren) sind nach §§ 828 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nur bedingt verantwortlich. § 828 Abs. 2 BGB ist mit dem 2. Schadensrechtsänderungsgesetz neu gefasst worden und dient dem umfassenden Schutz von Kindern bestimmter Altersgruppen aufgrund einer Überforderungssituation im Verkehr.
Eine unmittelbare Ersatzpflicht eines Kindes unter sieben Jahren könnte allenfalls durch § 829 BGB (der in der Praxis nahezu nie angewandt wird) begründet werden.
Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht, Schmerzensgeld, Verkehrsunfall