Treuepflicht des Gesellschafters in der Krise: Sanieren oder Ausscheiden
Für eine Kapitalerhöhung zum Zwecke der Sanierung sind zumeist 75% oder mehr Stimmen nötig und nicht immer findet sich eine solche qualifizierte Mehrheit im Gesellschafterkreis. In diesen Fällen stehen die nachschusswilligen Gesellschafter vor der Frage, ob ihnen rechtliche Mittel zustehen, das Vorhaben gegen den Willen der anderen Gesellschafter durchzuführen.
Anspruch auf Zustimmung in eine Kapitalerhöhung zwecks Sanierung?
Ein Anspruch auf Zustimmung in eine Kapitalerhöhung zwecks Umsetzung eines Sanierungskonzeptes kann sich indirekt aus der sogenannten Treuepflicht ergeben.
Die Treuepflicht ist gesetzlich nicht kodifiziert, besteht aber unstreitig während der gesamten Mitgliedschaftsdauer in einer Gesellschaft und
- verpflichtet die Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft
- aber auch untereinander,
- in Ausübung ihrer mitgliedschaftlichen Befugnisse diejenigen Handlungen vorzunehmen, die der Förderung des Gesellschaftszwecks dienen
- und zuwiderlaufende Maßnahmen zu unterlassen.
Ob auf Basis der Treuepflicht ein Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten im Verhältnis Gesellschafter/Gesellschafter oder Gesellschaft/Gesellschafter besteht, ist stets eine Frage des konkreten Einzelfalls. Allerdings richtet sich ein solcher Anspruch in Krisensituationen nicht auf Zustimmung zur Durchführung des Sanierungskonzepts. Verlangt werden kann allenfalls die Zustimmung, dass jeder Gesellschafter die Wahl haben soll, entweder an der Kapitalmaßnahme teilzuhaben oder auszuscheiden.
Rechtsprechung zu Sanieren oder Ausscheiden
Der Bundesgerichtshof hat die Ausprägungen der Treuepflicht in Fällen sanierungsbedürftiger Gesellschaften in mehreren, teilweise unter dem Stichwort „Sanieren oder Ausscheiden“ bekannten Urteilen näher konkretisiert.
So entschied der BGH im Jahr 2009 (BGH, Urt. v. 19.10.2009, II ZR 2408/08) Folgendes:
„Beschließen die Gesellschafter einer zahlungsunfähigen und überschuldeten Publikumspersonengesellschaft mit der im Gesellschaftsvertrag für Änderungen des Vertrags vereinbarten Mehrheit die Gesellschaft in der Weise zu sanieren, dass das Kapital „herabgesetzt” und jedem Gesellschafter freigestellt wird, eine neue Beitragspflicht einzugehen („Kapitalerhöhung”), dass ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter aber aus der Gesellschaft ausscheiden muss, so sind die nicht zahlungsbereiten Gesellschafter aus gesellschafterlicher Treuepflicht jedenfalls dann verpflichtet, diesem Gesellschafterbeschluss zuzustimmen, wenn sie infolge ihrer mit dem Ausscheiden verbundenen Pflicht, den auf sie entfallenden Auseinandersetzungsfehlbetrag zu leisten, finanziell nicht schlechter stehen, als sie im Falle der sofortigen Liquidation stünden.“
Weitere Urteile bauten auf diesem Judikat auf und ergänzten die dortigen Vorgaben. So urteilte der BGH, dass ein Anspruch auf Zustimmung gegenüber Minderheitsgesellschaftern zu einer von der Mehrheit erwünschten Kapitalerhöhung im Krisenfall auf Basis der Treuepflicht nicht besteht, wenn der Gesellschaftsvertrag explizit regelt, dass eine Kapitalerhöhung auch im Krisenfall nur einstimmig beschlossen werden kann.
Offene Fragen zur Treuepflicht in der Unternehmenskrise:
Indes sind einige Fragen im Zusammenhang mit Inhalt und Umfang von Treuepflichten im Rahmen von Unternehmenskrisen ungeklärt.
- Mehrheitserfordernis
So besteht Unklarheit darüber, ob ein Sanierungskonzept mehrheitlich angestrebt sein muss, um eine Zustimmungspflicht der anderen Gesellschafter unter Treuepflichtgesichtspunkten auszulösen. Im sog. Girmes-Urteil formulierte der Bundesgerichtshof, dass die Treuepflicht es den Gesellschaftern unter anderem verbietet, eine "sinnvolle und mehrheitlich angestrebte" Sanierung der Gesellschaft – einschließlich einer zum Sanierungskonzept gehörenden Kapitalherabsetzung – zu eigennützigen Zwecken zu verhindern.
Nicht geklärt ist jedoch, ob das Gericht die Wendung "mehrheitlich angestrebt" nur verwendet hat, um auf diese Mehrheit als Plausibilitätsindikator für die Funktionsfähigkeit des Sanierungskonzepts hinzuweisen oder ob damit eine Voraussetzung für Ansprüche aus Treuepflicht aufgestellt werden sollte.
- Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf Kapitalgesellschaften
Außerdem ist fraglich, ob sich die Rechtsprechung zum „Sanieren oder Ausscheiden“ auf Kapitalgesellschaften übertragen lässt, welche Voraussetzungen also in einer GmbH oder AG gelten würden. Denn die Rechtsprechung „Sanieren oder Ausscheiden“ ist in erster Linie auf in KG-Form organisierte Publikumsfonds zugeschnitten.
So erfordert ein auf Zustimmung gerichteter Anspruch aus Treuepflicht nach diesen Urteilen, dass der Liquidationsfehlbetrag den Auseinandersetzungsfehlbetrag übersteigt. Liquidationsfehlbeträge (§ 105 Abs. 3 HGB, § 735 BGB) und Auseinandersetzungsfehlbeträge (§ 105 Abs. 3 HGB, § 739 BGB) sind bei Kapitalgesellschaften aber nicht zu zahlen, weil hier das Prinzip der beschränkten Haftung gilt, Gesellschafter/Aktionäre also nicht persönlich für offene Schulden der Gesellschaft haften.
- Allerdings hat der BGH mehrfach Grundsätze der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht auch auf Fälle einer personalistisch strukturierten GmbH angewendet.
- Außerdem besteht auch in einer GmbH oder AG die Gefahr, dass ein oder mehrere Gesellschafter mit Sperrminorität die Insolvenz der Gesellschaft faktisch erzwingen könnten.
- Aus diesem Grund sprechen sich einige Stimmen in der juristischen Literatur für eine modifizierte Übertragung der Grundsätze aus „Sanieren oder Ausscheiden“ auf Kapitalgesellschaften aus.
Voraussetzungen für „Sanieren oder Ausscheiden“-Anspruch aus Treuepflicht
Erforderlich für einen Anspruch aus Treuepflicht solle sein,
- dass die Stellung der betroffenen Gesellschafter beim Zusammenbruch ebenso ungünstig wie oder schlechter als im Falle des Ausscheidens wäre,
- keine schonendere Sanierung möglich ist
- und ein Vergleich von Vornahme und Unterlassen der Kapitalmaßnahme eine höhere Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung als deren Scheiterns ergibt.
Durchsetzung der Ansprüche
Da eine Unternehmenskrise schnelles Handeln erfordert, ist eine Klage auf positive Stimmabgabe mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung zu flankieren.
Alternativ oder daneben möglich bleibt ein Angriff auf die Ablehnung des Beschlusses per Anfechtungsklage, die mit einer positiven Feststellungsklage verbunden wird, mittels derer der rechtmäßige Inhalt des Beschlusses vom Gericht festgestellt wird.
Fazit: „Sanieren- oder-Ausscheiden“-Weg als Ultima Ratio
Die Durchführung von Sanierungskonzepten kann wegen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht unter Umständen auch dann im Rechtsweg erzwungen werden, wenn die für diese Maßnahme auf den ersten Blick erforderliche Mehrheit im Gesellschafterkreis nicht vorliegt. Jedes Urteil im Zusammenhang mit Treuepflichten hängt jedoch sehr stark von den Besonderheiten des Einzelfalls ab, insbesondere ist bei Kapitalgesellschaften unklar, inwieweit die Voraussetzungen der „Sanieren- oder-Ausscheiden“-Rechtsprechung Anwendung finden. Daher sollte ein solcher Weg Ultima Ratio bleiben und nur in Betracht gezogen werden, wenn der Gesellschaftsvertrag keine anderen Lösungen wie z.B. Shoot-Out-Klauseln, Drag-Along-Rechte, Anteilseinziehung oder sonstige Wege zum Ausschluss der sperrigen Gesellschafter bietet.
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Hintergrund: Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten
Die Treuepflicht ist eine aus dem allgemeinen Gebot der Rücksichtnahme entwickelte rechtliche Verhaltenspflicht, die in verschiedenen Rechtsbereichen gilt.
Die Rechtsprechung hat für die unterschiedlichen Gesellschaftsformen BGB-Gesellschaft, OHG, Kommanditgesellschaft, GmbH und die Aktiengesellschaft spezifische Treueverpflichtungen für unterschiedliche Treueverpflichtete entwickelt.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Gesellschafter aus dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Verhaltens durch die Treuepflicht verpflichtet sein, auf die Durchsetzung von Rechten, die ihnen gesellschaftsrechtlich zustehen, zu verzichten.
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