Die Übertragung des Freibetrages für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf Antrag des Elternteils, bei dem das Kind gemeldet ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

Hintergrund

A ist seit 2002 geschieden; die beiden gemeinsamen Kinder leben bei der früheren Ehefrau (E). Bei der Einzelveranlagung des A für das Jahr 2004 berücksichtigte das Finanzamt erklärungsgemäß zwei  Kinderfreibeträge von jeweils 1824 EUR und zwei Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibeträge) von jeweils 1080 EUR. Als vom Wohnsitzfinanzamt der E die Mitteilung einging, dass die beiden BEA-Freibeträge antragsgemäß auf E übertragen worden seien, weil die Kinder nicht in der Wohnung des A gemeldet seien, änderte das Finanzamt des A dessen Steuerfestsetzung und berücksichtigte die BEA-Freibeträge nicht mehr. A hielt diese voraussetzungslose Entziehungsmöglichkeit der BEA-Freibeträge für verfassungswidrig, das Finanzgericht wies seine Klage jedoch ab.

Entscheidung des BFH

Auch der BFH gab dem Finanzamt Recht.

Nach § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG) wird bei minderjährigen Kindern der dem Elternteil, in dessen Wohnung des Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen. Diese Regelung, die allein auf die melderechtliche Sachlage abstellt, hält der BFH für verfassungskonform.

Der Gesetzgeber dürfe typisierend davon ausgehen, dass ein Kind im Haushalt des Elternteils, bei dem es gemeldet ist, aufgenommen ist und von diesem Elternteil umfassend betreut wird. Dies habe der BFH so bereits zur Übertragung des bis 2001 geltenden Betreuungsfreibetrages entschieden (BFH, Urteil v. 18.5.2006, III R 71/04, BFH/NV 2006 S. 1928). Nichts anderes gelte für den auf den Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf entfallenden Anteil des BEA-Freibetrages. Auch insoweit liege es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Aufwand des Elternteils, bei dem das Kind gemeldet ist und von dem es – typisierend betrachtet – daher umfassend betreut und erzogen wird, höher zu gewichten als z.B. die Bezahlung von Nachhilfestunden oder Musikunterricht durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil. Ob es sachgerechter gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber statt an die Eintragung ins Melderegister an das Merkmal der Haushaltszugehörigkeit angeknüpft hätte, könne dahingestellt bleiben. Denn bei der Überprüfung einer gesetzlichen Regelung am Gleichheitssatz des Art. 3 GG komme es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden habe, sondern darauf, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten habe. Das sei hier nicht der Fall.

Hinweis

Mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 hat der Gesetzgeber die im vorliegenden Fall maßgebliche Regelung dahingehend geändert, dass der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, der Übertragung des BEA-Freibetrages widersprechen kann, weil er die Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut (§ 36 Abs. 6 Satz 9 EStG n.F.). Diese Änderung entspricht dem Anliegen des A im Streitfall; sie kommt für ihn aber zu spät, da sie erst ab dem Veranlagungszeitraum 2012 gilt.

Der BFH ist im Besprechungsurteil auf die ihm bereits bekannte Gesetzesänderung eingegangen, hat darin aber keinen Grund für eine andere Beurteilung gesehen. Er führte dazu lediglich aus, dass der Gesetzgeber offenbar die gesellschaftliche Entwicklung beobachtet und seine Einschätzung den veränderten Verhältnissen angepasst habe. Er habe damit aber mitnichten zum Ausdruck gebracht, dass seine frühere Einschätzung aus damaliger Sicht unvertretbar gewesen sei.

Urteil v. 27.10.2011, III R 42/07, veröffentlicht am 14.3.2012