Rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich
Sachverhalt: Rechnungen ohne Steuernummer
Die Senatex GmbH – ein deutsches Unternehmen – hatte aus Gutschriften und Rechnungen den Vorsteuerabzug vorgenommen, obwohl die Abrechnungen keine Steuernummer oder USt-IdNrn. der leistenden Unternehmer enthielten. In einer Betriebsprüfung wurde dies bemängelt und der Vorsteuerabzug für den Zeitraum der Vorlage der nicht ordnungsgemäßen Rechnungen versagt. Noch während der laufenden Außenprüfung legte die Senatex GmbH dem zuständigen Finanzamt berichtigte Abrechnungen vor, in denen die Steuernummer bzw. die USt-Idnr. des jeweils leistenden Unternehmers enthalten war. Dennoch erließ das Finanzamt geänderte Steuerbescheide für die Bezugsjahre, in denen die Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen nicht berücksichtigt wurden. Da die Einsprüche erfolgslos blieben, wurde Klage vor dem Niedersächsischen FG erhoben.
Vorlagefragen an den EuGH
Das Gericht setzte das Verfahren aus und rief den EuGH an, da es nach den vorher ergangenen Urteilen des EuGH für klärungsbedürftig angesehen wurde, ob eine rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich ist und bis wann dann die berichtigten Rechnungen vorgelegt werden müssen. Insbesondere wollte das Niedersächsische FG wissen, ob die Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig erfolgt ist, wenn sie erst im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erfolgt.
Erstmalige Vorlage einer Rechnung begründet keinen rückwirkenden Vorsteuerabzug
Der EuGH hatte schon in anderen Verfahren geklärt, dass die erstmalige Vorlage einer Rechnung keinen rückwirkenden Vorsteuerabzug zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs begründen kann (EuGH, Urteil v. 29.4.2004, C-152/02 (Terra Baubedarf-Handel)). Darüber hinaus hatte der EuGH zwar schon grundsätzlich festgelegt, dass eine Rechnungsberichtigung erfolgen kann, aber nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, zu welchem Zeitpunkt diese Rechnungsberichtigung wirkt (EuGH, Urteil v. 15.7.2010, C-368/09 (Pannon Gép Centrum kft) und EuGH, Urteil v. 8.5.2013, C-271/12 (Petroma Transports)).
Entscheidung: Rückwirkende Berichtigung zulässig
Der EuGH hat die Rechnungsberichtigung in dem vorliegenden Fall mit Wirkung für die Vergangenheit zugelassen. Mitgliedstaaten können zwar Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorsehen, die Versagung des Vorsteuerabzugs für das Jahr der Rechnungsausstellung kann aber nicht als eine solche Sanktion in Betracht kommen.
Pauschale Versagung des Vorsteuerabzugs würde über das Ziel hinausschießen
Als eine mögliche Sanktion sieht der EuGH die Auferlegung einer Geldbuße oder eine finanzielle Sanktion, die aber in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen muss. Eine pauschale Versagung des Vorsteuerabzugs zum Zeitpunkt der Vorlage der Ursprungsrechnung würde wegen der Verzinsung der sich daraus ergebenden Nachzahlung nach § 233a AO und des erst im Zeitpunkt der Vorlage der berichtigten Rechnung vorzunehmenden Vorsteuerabzugs in jedem Fall eine finanzielle Sanktion darstellen, die sich ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ergeben würde. Dies würde über die gemeinschaftsrechtlichen Ziele der genauen Erhebung der Steuer und der Verhinderung von Steuerhinterziehung hinausgehen.
Frage zur Berichtigung (erst) im Rechtsbehelfsverfahren bleibt offen
Die vom Niedersächsischen FG ebenfalls vorgelegte Frage, ob eine Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig erfolgt ist, wenn sie erst im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens vorgelegt wird, wurde – bedauerlicherweise – vom EuGH nicht beantwortet. Da im vorliegenden Verfahren die Finanzverwaltung erklärt hatte, dass die berichtigten Rechnungen noch im Betriebsprüfungsverfahren vorgelegt worden waren und damit nicht als „verspätet“ vorgelegt angesehen werden können, war diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht klärungsbedürftig.
Die Auswirkungen auf die Praxis
Der EuGH hat in seiner Entscheidung eindeutig klargestellt, dass eine rückwirkende Rechnungsberichtigung mit gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist. In seiner Entscheidung gibt der EuGH auch zu, dass in der bisherigen Rechtsprechung zur Frage der Rechnungsberichtigung keine eindeutigen Aussagen zum Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung getroffen worden waren.
Die Feststellungen des EuGH beziehen sich nach dem vorliegenden Urteil aber erst einmal grundsätzlich nur auf die spätere Ergänzung der Rechnung um die in der Ursprungsrechnung nicht enthaltene Steuernummer oder USt-IdNr. Inwieweit sich diese Grundaussage auf andere fehlende oder fehlerhafte Rechnungsbestandteile übertragen lässt, wird sicher noch Gegenstand weiterer Rechtsprechung sein, wenn die Finanzverwaltung hier nicht im Verwaltungswege für Klarheit sorgen sollte.
Übertragbarkeit auf andere Rechnungsanforderungen
Die fehlende Steuernummer oder USt-IdNr. wird regelmäßig als eine der Nebenbedingungen einer ordnungsgemäßen Rechnung angesehen. Deshalb scheint es geboten, die Rechtsprechung des EuGH auch auf vergleichbare Nebenbedingungen wie z. B. Leistungsdatum oder die fortlaufende Rechnungsnummer anzuwenden. Wenn in einer Rechnung aber wesentliche Angaben fehlen sollten (z. B. der zutreffende Leistungsempfänger oder die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer), ist die Übertragung der Grundsätze aus dem EuGH-Urteil m. E. fraglich. Insbesondere die fehlende oder fehlerhafte Angabe des tatsächlichen Leistungsempfängers wird wohl nicht rückwirkend über eine Rechnungsberichtigung geheilt werden können.
Berichtigung möglichst zeitnah
Bedauerlich ist, dass der EuGH keine Aussage zu dem Zeitpunkt getroffen hat, bis zu dem die berichtigte Rechnung vorgelegt werden muss. Bevor in dieser Sache nicht eine abschließende (nationale) Klärung erfolgt ist, kann es für die Praxis nur bedeuten, Rechnungsberichtigungen so zeitnah wie möglich vorzunehmen und so schnell wie möglich der Finanzverwaltung zugänglich zu machen.
Zinsrisiko bei späterer Berichtigung
Wenn die Berichtigung der Rechnung erst nach dem Änderungsbescheid erfolgen sollte, wird wohl eine vollständige Versagung des Vorsteuerabzugs (auch für die Zukunft) nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein (so zumindest der Generalanwalt Bot beim EuGH im Rahmen seines Schlussantrags vom 17.2.2016). Insoweit besteht dann das finanzielle Risiko in den Nachzahlungszinsen nach § 233a AO.
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