Zur Übertragung des Kinderfreibetrags und des BEA-Freibetrags
Hintergrund
Die Mutter (M) leistete im Streitjahr 2013 für ihre minderjährige ledige Tochter J Barunterhalt. J lebte im Haushalt des sorgeberechtigten Vaters S und war dort polizeilich gemeldet. S bezog für sich und J Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ("Hartz IV"). M beantragte den Abzug des doppelten Kinderfreibetrags und des doppelten Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag) nach § 32 Abs. 6 EStG. Das FA sowie auf die anschließende Klage auch das FG lehnten die Übertragung des Kinderfreibetrags mit der Begründung ab, S habe seine Unterhaltpflicht mit der Aufnahme der J in seinen Haushalt und der entsprechenden Betreuung erfüllt. Der Betreuungsunterhalt sei dem von M geleisteten Barunterhalt gleichwertig. Die Übertragung des BEA-Freibetrags scheitere daran, dass J nicht in der Wohnung der M gemeldet gewesen sei. Zudem habe S die J nicht nur unerheblich betreut.
Entscheidung
Nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG wird bei einem nicht zusammen veranlagten Elternpaar auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag in zwei Fällen auf ihn übertragen: Erstens, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind im Wesentlichen nachkommt oder (zweitens) der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Die Unterhaltspflicht bestimmt sich nach dem BGB. Danach erfüllt der ein unverheiratetes minderjähriges Kind betreuende Elternteil seine Verpflichtung, zum Unterhalt beizutragen, regelmäßig durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Der andere Elternteil hat die hierfür erforderlichen Mittel (Barunterhalt) zur Verfügung zu stellen. Die persönliche Betreuung und der Barunterhalt stehen gleichwertig gegenüber.
Da sonach S seine Unterhaltspflicht durch den Betreuungsunterhalt erfüllt hat, kann der Kinderfreibetrag nicht nach § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 1 EStG auf M übertragen werden. Denn diese Alternative betrifft den Fall, dass der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Die Übertragung scheidet auch nach der zweiten Alternative des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG aus. Die Regelung soll für den Fall, dass der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, die Übertragung des Kinderfreibetrags ermöglichen, um den Elternteil, der gezwungenermaßen allein für den Unterhalt aufkommt, auch allein zu entlasten. S schuldete jedoch Unterhalt, den er durch Betreuung leistete. M ist somit nicht allein für den Unterhalt des Kindes aufgekommen. Allein deshalb, weil S für sich und J SGB II-Leistungen bezog, folgt daher kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags.
Auch die Voraussetzungen für die Übertragung des BEA-Freibetrags liegen nicht vor. Bei minderjährigen Kindern kann nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen werden. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor, da J nicht bei M, sondern unter der Adresse des S gemeldet war.
Hinweis
Mit der Änderung des Satzes 6 des § 32 Abs. 6 EStG ab 2012 hat der Gesetzgeber berücksichtigt, das nach der früheren Rechtslage eine Übertragung des Kinderfreibetrags des einen Elternteils nicht in Betracht kam, wenn dieser Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig war. Die Neufassung des Satzes 6 entspricht dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Nicht unterhaltspflichtig ist, wer nicht über die entsprechenden Mittel verfügt. In dieser Situation ist es sachgerecht, die Übertragung des Kinderfreibetrags zu ermöglichen, um den anderen Elternteil, der allein den Unterhalt trägt, zu entlasten. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, da S Betreuungsunterhalt leistete. Der BFH sieht dieses Ergebnis als den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechend an.
BFH, Urteil v. 15.6.2016, III R 18/15, veröffentlicht am 21.9.2016
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