Unzulängliche Sachverhaltsermittlung des Finanzamts

Der Grundsatz von Treu und Glauben kann dem Finanzamt verbieten, einen Änderungsbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen wegen neuer Tatsachen zu erlassen, wenn ihm die Tatsache infolge Verletzung von Ermittlungspflichten (zunächst) verborgen geblieben ist.

Sachverhalt:

Der Kläger erklärte in der Einkommensteuererklärung 2008 Schuldzinsen in Höhe von 34.073 EUR. Beigefügt war eine Verzugs-/Gebührenabrechnung der B-Bank vom 6.4.2009 für das 1. Quartal 2009. Da in dieser Abrechnung auch Zinsen für die „Vorperiode (2008)“ von mehr als 34.522 EUR ausgewiesen waren, berücksichtigte das Finanzamt die Schuldzinsen antragsgemäß.

Bei der Veranlagung für 2009 erfuhr das Finanzamt aufgrund einer Zinsbescheinigung der B-Bank vom 6.12.2011, dass der Kläger im Jahr 2008 tatsächlich nur Schuldzinsen in Höhe von 16.081 EUR gezahlt hatte. Es änderte den Einkommensteuerbescheid 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zuungunsten des Klägers. Dem Einwand des Klägers, das Finanzamt sei infolge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht an der Korrektur des Bescheids gehindert, folgte es nicht.

Entscheidung:

Das FG hat entschieden, dass das Finanzamt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht gehindert war, den Steuerbescheid 2008 zu ändern.

Es liegt zweifellos eine neue Tatsache vor, denn bei Erlass des ursprünglichen Bescheids waren die tatsächlich im Jahr 2008 gezahlten Zinsen dem zuständigen Bearbeiter unstreitig nicht bekannt.

Der Bearbeiter hat auch keine die Änderung ausschließende Pflichtverletzung begangen. Zwar hätte er angesichts der Verzugszins-/Gebührenabrechnung für das 1. Quartal 2009 bei etwas Überlegung auch zu dem Schluss kommen können, dass Verzugszinsen in dem dort bezeichneten Zeitraum nur entstanden sein können, wenn Zahlungen im Jahr 2008 nicht vollständig erfolgt sind. Gleichwohl stand dieser Umstand der Änderung des Steuerbescheids 2008 nicht entgegen, weil diese Pflichtverletzung durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers überlagert wurde.

Praxishinweis:

Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamts gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt.

FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil v. 22.5.2014, 1 K 237/12, Haufe Index 7436544


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