BAM! Festival für nachhaltiges Marketing: Das grüne Klassentreffen
Nachhaltigkeit ist nicht mehr ganz oben auf der Dringlichkeitsliste der Unternehmen. Kriege und Krisen verdrängen das Thema auch bei den Konsumenten aus der Wahrnehmung. Mancherorts hat schon der Begriff „Nachhaltigkeit“ ein Imageproblem und Worte wie „Transformation“ oder sogar schlicht „Klima“ sorgen dafür, dass sich bei einigen Leuten die Nackenhaare aufstellen. Umso mehr freute sich das Team der Nachhaltigkeitsberatung „BAM! Bock auf Morgen“ rund um Kerrin Löhe, Jan Pechmann, Dr. Friedrich Bohn und Frank Schlieder über 450 Anmeldungen zu ihrem BAM! Festival – zumal in einer Woche, in der die Hotelpreise in Berlin wegen der parallel stattfindenden Weltleitmesse für Verkehrstechnik InnoTrans (170.000 Besucher) in Höhen gerauscht sind, die einem allenfalls ein hysterisches Kichern entlocken. An dieser Terminkollision könne man sehen, sagte Frank Schlieder eingangs entschuldigend, „dass wir keine professionellen Festivalveranstalter sind – wir scheitern uns nach vorne“.
Vielleicht ist das BAM! Festival aber gerade, weil keine Superduper-Event-Profis dahinterstehen, ein sehr besonderes, sehr besuchenswertes, sympathisches und inspirierendes Zusammentreffen von Menschen aus Wissenschaft, Kreativszene und Marketing, die sich alle je nach ihrer Provenienz um das Thema Nachhaltigkeit kümmern. Jan Pechmann spricht vom „grünen Klassentreffen“, und dieser Begriff trifft es schon deshalb gut, weil hier alle dialogbereit und wissbegierig sind.
Hier würde man sich gern klonen
Es ist eine dieser Veranstaltungen, auf der man sich gern klonen würde, um bloß nichts zu verpassen. Geboten waren: 28 verschiedene, kurzweilige Formate, eine Preisverleihung (die Kat’se Bullshit in Gold ging an Burger King Deutschland für seine „Plant-based Revolution“, mehr dazu unter Marketing for Future Awards 2024), ein Gesangsunterricht, ein Quiz, jede Menge Networking und viele, viele gute Ideen
Es ist der Mix aus wissenschaftlich fundierten Vorträgen, handfesten Praxisberichten und Diskussionsrunden, der den Reiz dieses Festivals ausmacht. Manfred Meindl, Marketingchef von Vaude, schreibt auf LinkedIn zum Auftaktvortrag von Dr. Friedrich Bohn „… das Beste, was ich in Sachen Science Communication seit langem erlebt habe.“ Bohn, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Helmholtz Centre for Environmental Research (UFZ) und Head of Science bei BAM! schilderte ebenso verständlich wie unmissverständlich, warum „dramatischste Wohlstandsverluste“ zu erwarten sind, wenn wir so weiterwirtschaften wie bisher, statt in die Kreislaufwirtschaft einzusteigen. Gleich im Anschluss monierte Transformationsforscherin Maja Göpel die in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit hartnäckig sich in den Köpfen haltende „bescheuerte 3-V-Logik“ – Verzicht, Verlust, Verbot. Gewohnt eloquent erzählte sie von den „Geschichten des Highway to Hell“, laut denen sich unter anderem Wohlstand am Horten von Dingen festmacht. „Vermögen“, meint Maja Göpel, sei aber doch besser als Verb zu verstehen, denn als Substantiv.
Wie überzeugt man die breite Masse von nachhaltigem Konsum?
Ein beherrschendes Thema der Veranstaltung: Wie kann es gelingen, die breite Masse der Menschen von den Vorteilen eines nachhaltigen Konsums zu überzeugen? Grundlage für die Diskussion war das frisch erschienene Buch „Das 60%-Potenzial“ von Marketingprofessorin Dr. Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann.
Die Akzeptanz von nachhaltigen Botschaften hängt von einer Menge Kriterien ab: Geht es um Männer oder Frauen? Aus Ost oder West? Vom Land oder aus der Stadt? Jung und Alt? Für die weit überwiegende Mehrheit der Konsumenten spielt Nachhaltigkeit bei ihren Kaufentscheidungen eine allenfalls nachgelagerte Rolle. Das vegane Magnum-Eis zum Beispiel läuft viel besser, seit es nicht mehr offensiv als „vegan“ angepriesen wird. Die Outdoor-Klamotten von Vaude sind zwar nachhaltig produziert, das ausschlaggebende Kaufargument ist aber die Funktionalität. Das Portal Kleinanzeigen – das quasi von der Kreislaufwirtschaft lebt – spricht lieber von „Second Hand-Helden“ als von Nachhaltigkeit.
Der Rat von Utopia-Chefin Dr. Meike Gebhard an die Green Marketing-Community lautet generell: die moralische Keule weglassen und positive Geschichten erzählen. Das war ohnehin ein Grundtenor des Festivals: mit Untergangszenarien ist kein Blumentopf zu gewinnen, Aufgabe von Werbetreibenden – und auch von der Wissenschaft – ist es, die Menschen zu begeistern, zu motivieren und Prozesse zu beschleunigen, und das mit möglichst einfachen Botschaften. Hoffnung bringt, sagte Medien- und Umweltrechtlerin Nicole Zabel-Wasmuth von Planet Narratives, wenn wir nicht über Probleme reden, sondern über Lösungen: „Wir brauchen mehr Geschichten des Gelingens!“. Sie plädiert für einen „informierten Optimismus“. Katja Meinecke-Meurer, Verlegerin der „Was ist Was?“-Bücher, sprach sehr überzeugend von der „Magie des Storytelling“.
Alles nicht so einfach
Auch unternehmensintern ist das Thema Nachhaltigkeit kein Selbstläufer. Es sei „eine Bollerwagenfahrt“ und mitunter kompliziert, komplex und anstrengend, berichtete Jonas Spitra von Schott. Ole Schilling von der Telekom sprach davon, wie unglaublich schwierig es ist, Mitarbeitende davon zu überzeugen, ein sehr gut funktionierendes Geschäftsmodell zugunsten eines auf Zirkularität beruhenden Modells mit ungewissem Ausgang aufzugeben. Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit flössen durchaus Blut, Schweiß und Tränen, räumte Andrea Spielmann von Lorenz ein. „Sobald die erste kleine Krise kommt, geht es wieder um Gewinnmaximierung“, schilderte Birgit Berthold-Kremser aus ihrem beeindruckenden Marketing-Chefin-Erfahrungsschatz aus Jahren bei Siemens, Swarovski und Peek & Cloppenburg. Ihr (Entschuldigung: denglischer) Appell an die anwesende Marketinggemeinde: „Die Kosten, jetzt nichts zu tun, sind höher als jetzt zu handeln: Geht ins Doing! Es herrschte Einigkeit: Der Weg ist steinig, das Ziel richtig.
Ja, hier trifft sich eine Bubble
Bei aller Ernsthaftigkeit der Themen (Klimawandel! Artensterben!! Das Überschreiten planetarer Grenzen!!! Wohlstandverlust, Demokratie in Gefahr, Spaltung allerorten!) gelang es BAM!-Team und Vortragenden, weder moralinsauer noch lehrmeisterlich aufzutreten, sondern lösungsorientiert, zuversichtlich und mit einer guten Portion Humor.
Und, ja klar, beim BAM! Festival traf sich eine Bubble, eine Gemeinschaft aus Motivierten. Es gab hier keine Stimme, die sich gegen mehr Nachhaltigkeit ausgesprochen hätte. Aber, ganz ehrlich: Zwei Tage in einer Gemeinschaft mit Menschen zu verbringen, die ihr Wissen teilen, ihre Ideen zusammenwerfen und eine Vorstellung von einer guten, nachhaltigen Zukunft verwirklichen möchten, sind schlicht wohltuend.
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