„Nachhaltigkeit erfordert einen Wandel in der Unternehmenskultur“
Während wir uns unterhalten, wird die Universität Hamburg gerade bestreikt: Studierende fordern ein deutlich stärkeres Nachhaltigkeitsengagement von ihrer Hochschule. Laura Marie Edinger-Schons sagt scherzhaft, sie habe sich im Präsidium „verschanzt“, um Ruhe für das Gespräch zu haben. Dabei kann die Chief Sustainability Officerin und Professorin für Sustainable Business den Forderungskatalog der „Students for Future“ gut nachvollziehen. Sie begreift es als Teil ihrer Rolle, zu prüfen, wie die Forderungen in die Realität umgesetzt werden können. Das von ihr geleitete Sustainability Office soll schließlich ein Begegnungsort für Nachhaltigkeit sein. Wir wollten von ihr wissen, wie sie die Bedeutung des nachhaltigen Wandels in der Wirtschaft einschätzt und was Unternehmen auf diesem Weg tun können.
Frau Edinger-Schons, warum ist Nachhaltigkeit für Unternehmen überhaupt relevant?
Es gibt verschiedene Drucksituationen, unter denen Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit stehen. Ein starker Druck, den wir derzeit spüren, ist die Regulation. Es kommen viele neue Vorschriften auf Unternehmen zu, und diejenigen, die sich bisher nicht mit dem Thema befasst haben, sind überfordert. Sie haben keine Daten, Strukturen oder Prozesse dafür. Daneben gibt es jedoch auch andere externe Druckdimensionen. Es gibt eine Veränderung der Werte und sozialen Normen. Die jungen Generationen haben andere Anforderungen an ihre Arbeitgeber und möchten sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren. Sie möchten nicht für ein Unternehmen arbeiten, das die Zukunft gefährdet. Unternehmen, die beispielsweise hohe CO2-Emissionen haben, spüren bereits einen Rückgang bei Bewerbungen. Kunden, Investoren, Lieferanten und andere üben ebenfalls Druck aus.
Funktioniert das Konzept „The Business of Business is Business“ also nicht mehr?
Es funktioniert nur dann, wenn es eine perfekte Gesetzesordnung gibt, in der alles Unethische verboten ist. Dann könnten Unternehmen sich ausschließlich auf ihre wirtschaftliche Tätigkeit konzentrieren. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt bereits progressive Gesetze in der EU, aber wir operieren in einem internationalen Umfeld. Unternehmen können Standorte in Regionen mit weniger strengen Gesetzen wählen.
Das, was wir aus dem Steuerbereich als Steueroasen kennen, gibt es auch in Bezug auf Nachhaltigkeitsstandards.
Auch da kann es ein ‚Race to the Bottom‘ geben. Das führt zu Wettbewerb und unethischen Praktiken, die nicht durch Gesetze reguliert werden. Unternehmen haben daher nicht nur eine legale Verantwortung. Sie müssen auch darüber nachdenken, wie sie sich ethisch und verantwortungsbewusst verhalten.
Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder der CSRD gibt es Initiativen, die möglicherweise dazu beitragen, das von Ihnen angesprochene „Race to the Bottom“ zu verhindern…
Das sind gute Initiativen, obwohl es auch Gegenwind aus der Industrie gibt. Einige Unternehmen unterstützen diese neuen Gesetze allerdings sogar. Das Problem ist, dass wir uns gerade erst in der Umsetzungsphase der CSRD, des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der EU-Taxonomie befinden. Wir müssen sehen, wie gut sie funktionieren und wo möglicherweise noch Optimierungsbedarf besteht. Die Daten sind in vielen Unternehmen noch nicht verfügbar, auch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die indirekt durch Lieferketten von den Berichtspflichten betroffen sind. Die Umsetzung erfordert massive Veränderungsprozesse.
Unternehmen benötigen nicht nur Nachhaltigkeitsmanager:innen, sondern Verantwortliche in allen Abteilungen und eine Nachhaltigkeitskultur, in der die Mitarbeitenden mitdenken und handeln. In diesem Bereich haben wir noch einen langen Weg vor uns.
Kompetenzen für die grüne Transformation
Im Sustainability Transformation Monitor 2023 wird der Mangel an Kompetenzen und Ressourcen als eine der größten Hürden für Unternehmen im Nachhaltigkeitswandel identifiziert. Wie können Unternehmen die Situation verbessern?
Es ist erfreulich, dass viele Mitarbeitende motiviert sind, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Es gibt auch Change-Themen wie die Digitalisierung, bei denen Menschen sich möglicherweise überfordert fühlen. Bei Nachhaltigkeit sagen jedoch viele, dass ihnen das Thema am Herzen liegt. Die ältere Generation hat häufig Kinder, die bei Fridays for Future aktiv sind. Man muss ihnen Raum in ihren Jobs geben, Dinge umzusetzen. Unternehmen können damit beginnen, Schulungen anzubieten, zum Beispiel Grundkurse in Nachhaltigkeitsmanagement. Für diejenigen, die das Thema in ihrem Bereich mitgestalten möchten, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, das in ihre tägliche Arbeit einzubeziehen. Es gibt viele gute Beispiele aus Unternehmen wie zum Beispiel „Social Intrapreneurship“-Programme oder „Employee Engagement for Sustainability“, bei denen motivierte Angestellte einbezogen werden. Es können auch bürokratische Hindernisse abgebaut werden, um den Mitarbeitenden Freiraum zu geben. Das Commitment von der Unternehmensführung ist wichtig, um die Mitarbeitenden zu befähigen, Dinge tatsächlich umzusetzen.
Welche Kompetenzen werden konkret für nachhaltiges Wirtschaften benötigt? Und welche werden in Zukunft noch wichtiger?
An der Universität versuchen wir Nachhaltigkeit in allen Bereichen zu verankern. Ein Beispiel ist der Fahrradbeauftragte in der Abteilung Liegenschaften, der gerade daran arbeitet, uns als fahrradfreundlichen Arbeitgeber zertifizieren zu lassen. Unternehmen müssen überlegen, welche Kenntnisse in verschiedenen Bereichen erforderlich sind. Zum Beispiel bei der Emissionsbilanzierung, im Bau oder dem Einkauf. Jeder Bereich erfordert spezifische Kenntnisse. Auch im Talent Management oder im Personal spielt Nachhaltigkeit eine Rolle.
„Lass die Firmen ruhig mal reden“
Eine Erkenntnis aus dem Transformation Monitor ist, dass sogenannte Purpose Statements in vielen Unternehmen existieren, aber nicht wirklich gelebt werden. Sind diese Statements überhaupt etwas wert?
Das ist eine wichtige Frage. Fast jedes Unternehmen hat mittlerweile Purpose Statements. Man kann das kritisieren und als Greenwashing bezeichnen. Es gibt jedoch einen Prozess dahinter: Wenn Unternehmen über Nachhaltigkeit und einen höheren Zweck sprechen, wecken sie Erwartungen und werden mit kritischen Fragen konfrontiert. Das kennen wir auch aus dem privaten Umfeld. Wenn jemand sagt, er oder sie sei Vegetarier, wird sofort gefragt, warum er oder sie dann Lederschuhe trägt.
Menschen, die bestimmte Handlungen aus ethischen Gründen propagieren, werden kritisch beobachtet.
Das Gleiche passiert bei Unternehmen und dadurch entsteht ein Handlungsdruck. Daher sehe ich das nicht so negativ. In einer gemeinsamen Studie mit meinen Koautoren Manuel Reppmann, Johann Nils Foege und Frederik Maibaum finden wir heraus, dass Unternehmen, die viel über Nachhaltigkeit reden auch tatsächlich über die Zeit nachhaltiger werden. Es gibt allerdings einen Punkt, an dem zu viel Reden auch zu einer Überforderung der Organisation führen kann. Also: Reden kann in Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit führen. Einfach, weil sie diese Versprechen gegeben haben. Wir müssen genau hingucken. Und wir müssen alle kritischen Fragen stellen – das ist unsere Verantwortung. Aber daher denke ich mir ‚lass die Firmen ruhig mal reden‘.
Wird in diesem Zusammenhang eine andere Art der Bilanzierung relevant?
Absolut. Das Thema ist sehr dynamisch. Unter den Begriffen ‚Wirkungsmessung‘ oder ‚Impact Measurement‘ gibt es derzeit viele Entwicklungen. Es gibt Industrieinitiativen großer Unternehmen, die Methoden aus dem Non-Profit-Bereich nutzen, um ihre soziale oder ökologische Wirkung zu messen. Es ist super, dass damit experimentiert wird. Die Art und Weise, wie wir finanzielle Leistung messen, ist aber nicht über Nacht entstanden. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, in dem wir neu definieren, wie wir den Erfolg wirtschaftlicher Aktivitäten messen wollen. Es braucht ein kollektives Experimentieren, um die besten Methoden zur Messung des Impacts zu finden. Eine Frage ist zum Beispiel, ob Unternehmen alles, was sie tun, einschließlich der nicht finanziellen Leistungsergebnisse, in Geld umrechnen sollten. BASF ist ein Beispiel für dieses Vorgehen. Dort wird gesagt, ‚wenn bei uns eine bestimmte Menge CO2 ausgestoßen wird, kostet das die Gesellschaft einen bestimmten Betrag in Euro‘. Sie erstellen also eine ‚Value to Society‘-Bilanz und messen ihren Impact darüber.
Einige Unternehmen rechnen sogar Kinderarbeit, Sklaverei oder Todesfälle in der Produktion in Geld um.
Dabei stoßen wir schnell an ethische Grenzen des Marktes und müssen uns fragen, wie weit die Marktdynamik gehen soll. Diese Diskussionen beginnen gerade erst.
Die zentralen Themen für die Praxis
Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Welche Bereiche bieten sich für den Anfang an, um Nachhaltigkeit in die Unternehmenspraxis zu integrieren?
Viele starten mit dem Thema Klima, weil der Druck dort am größten ist. Das ist sinnvoll, wenn man sich die Statistiken zum 1,5-Grad-Ziel ansieht. Kürzlich hat das Exzellencluster CLICCS in Hamburg den „Hamburg Climate Future Outlook“ veröffentlicht. Der Bericht zeigt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen werden. Das erzeugt Angst und verdeutlicht, warum wir schnell handeln müssen. Allerdings besteht die Gefahr, dass wir alles nur noch durch die CO2-Brille betrachten. Es gibt noch viele andere ökologische Themen wie Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Ganz zu schweigen von den sozialen Themen. Ich wäre aber schon glücklich, wenn alle Organisationen eine gute Emissionsbilanzierung durchführen würden. Dadurch versteht man auch die anderen Aspekte besser. Nachhaltigkeit und Emissionsbilanzierung erfordern einen Wandel in der Unternehmenskultur.
Inwiefern?
Es sind Schnittstellenthemen, bei denen Menschen ihre Prozesse neu denken und verbessern müssen. In hierarchisch organisierten Unternehmen mit klaren Rollen und starren Organigrammen funktioniert das oft nicht so gut. Unternehmen, die agil in Projektstrukturen arbeiten, haben es einfacher. Sie bilden Arbeitskreise zum Beispiel zu nachhaltiger Mobilität, erstellen Konzepte und setzen sie um. In starren Organisationsstrukturen ist das viel schwieriger. Das Thema New Work ist für die Nachhaltigkeitstransformation zentral. Wir müssen überlegen, wie wir die Unternehmenskultur so gestalten, dass Veränderungen möglich sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
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