CSR als Lupe für Innovationen


Serienelemente
CSR als Lupe für Innovationen

Die Betrachtung der sozialen Verantwortung von Unternehmen (CSR) kann die Entwicklung von Produkten und Innovationen bereichern. In diesem Teil der Serie blicken wir auf ein konkretes Beispiel für Innovationsstrategien, die sowohl Kundenbedürfnisse als auch sonstige Stakeholderanforderungen befriedigen – und so zu nachhaltigeren Produkten oder Dienstleistungen führen.

Schauen wir uns konkrete Beispiele für die abstrakt beschriebenen unterschiedlichen Suchpunkte an. In der Nähe des Punktes M aus Abbildung 2 sind Zufriedenheitsstudien oder direkte Befragungen im Bereich der Stammkundschaft angesiedelt. Solche Methoden spielen sich mit engem mentalen Bezug zu gegebenen Produkten ab, so dass sich das Vokabular stark an technischen Merkmalen der aktuell vorhandenen Problemlösungen orientiert. Die typischen Fragen, die in solchen Situationen gestellt werden, sind mehr oder weniger direkt auf die Produkteigenschaften bezogen, so dass eine Bedürfnisübersetzung kaum nötig ist. Dennoch lassen sich hier graduelle Unterschiede aufzeigen.

Ruhnke Abbildung 2: Marketing- und CSR-Suchpunkte

Beispiele für Suchpunkte: die Küchenzeile

Stellen wir uns hierzu zum Beispiel ein Verkaufsgespräch über eine Küchenzeile mit Elektrogeräten vor. Typische, direkt produktbezogene Fragen wären solche, die sich auf die Form, den Stil (Landhaus, klassisch, modern), die Farbgebung der Küche beziehen. Ebenso fallen Fragen, die mit den technischen Geräten zu tun haben, hierunter, zum Beispiel, ob ein Ceran-, Gas- oder Induktionssystem gewünscht ist. Entscheidend ist hierbei, dass sich Bedürfnis- und Produktsprache in direkter Nähe zueinander befinden; Kauf- und Verkaufsseite gleichen miteinander ab, was für eine technische Ausstattung gewünscht und möglich ist.

Man erkennt leicht, dass solche routinemäßig ablaufenden Verkaufsvorgänge für das Unternehmen lebenswichtig sind, da sie den gegenwärtigen Erfolg sichern. Zudem lassen sich kleine (inkrementelle) Verbesserungen und Präferenzänderungen herausfinden, denn die Stammkunden können sich konkret zu ihren Erfahrungen mit den unterschiedlichen Küchenausstattungen und technischen Geräten äußern. Der Informationsaustausch findet hier jedoch immer mit Bezug auf die aktuellen Produkte statt, sodass keine bahnbrechenden Impulse zu erwarten sind.

Etwas weiter in Richtung tiefer liegender Bedürfnisse gehen Fragen nach dem Lebensstil, der typischen Art und Weise, wie die Küche genutzt werden soll. Hier bewegen wir uns mehr in Richtung einer von aktuellen Produkten losgelösten Bedürfnisseite. Solche Informationen müssen in technische Lösungen übersetzt werden, da sie untechnisch geäußert werden. Die Übersetzungsdistanz ist hierbei noch kurz: Die Information über Lebensstil und Nutzung kann in einer entsprechenden technischen Umsetzung quasi gespiegelt werden.    

Noch innovativere Impulse für Küchengestaltungen lassen sich auf einem Weg finden, der die unbewusst erlebten Sehnsüchte einbezieht, in denen sich die technische Problemlösung noch nicht konkretisiert und die Übersetzungsdistanz daher größer ist. Hier kommen Verfahren wie die Conjointanalyse ins Spiel, die von der Gesamtbewertung ausgehend dekompositionell Teilnutzenwerte ermittelt, die sich zu dieser zusammensetzen. Dies erfolgt beispielsweise über Stimuli, die unterschiedliche Produktaspekte verändern und die Auswirkung auf den Gesamtnutzen messen. So könnte die Landhausküche mit Induktionsherd und Side-by-Side-Kühlgeräten in einer virtuellen Darbietung in einigen Eigenschaften verändert werden, und auf die Preisbereitschaft geschaut werden, oder kompensatorisch das eine Merkmal durch ein anderes ersetzt werden usw. Auf diese Weise sind innovativere Ergebnisse vorstellbar, die auf Bedürfnisse abzielen, die von direkt befragten Personen nicht bewusst wahrgenommen oder nicht in einer technisch verwertbaren Weise geäußert werden können.      

Eine weitere Stufe der Bedürfnissuche lässt sich, wie oben dargelegt, durch Ausdehnung des Suchbereichs verwirklichen. Geometrisch auf halber Strecke zwischen den Punkten M und C in Abbildung 2 liegen Innovationsimpulse, die außerhalb der Stammkundschaft gewonnen werden. Sie liegen im Deckungsbereich zwischen Marketing und sozialer Verantwortung. Hier, in angrenzenden Märkten findet man Personengruppen, die sich aufgrund ihres mentalen Abstands zu den Mainstreamprodukten innovativere Lösungen besser vorstellen können und daher die nötigen Bedürfnisinformationen techniknäher artikulieren. Sie haben zwar immer noch einen gewissen Bezug zu den typischen Produkten, sind aber für nachhaltigere Küchenkonzepte geeignetere Impulsgeber. Für Küchenhersteller kann es daher sehr interessant sein, die Bedürfniserfassung gezielt mit solchen Personen durchzuführen, die nicht zur typischen Kundschaft zählen, und die daher einen anderen, viel freieren Blick auf das Bedürfnis haben, das aus Sicht des Unternehmens „funktional gebunden“ bislang in die Problemlösung Küchenzeile übersetzt wurde. Zudem können sie gezielter Probleme äußern, die sich zum Beispiel auf mehr Nachhaltigkeit in Produktion und Lieferketten beziehen. Die tiefergehenden Methoden bringen hier besonders effizient ans Licht, was sich hinter dem Wunsch nach einer Küchenzeile eigentlich an emotionalen Bedürfnissen verbirgt. Diese bleiben in der Stammkundschaft möglicherweise unerkannt, da die Bedürfnisartikulation hier entweder schon im Rahmen des technisch Vorgegebenen geschieht, oder als technikferner Wunsch nicht in die vorhandene Produktpalette übersetzbar ist.

Im Punkt C aus Abbildung 1 dehnen wir die Suche noch weiter aus und treffen auf Gesellschaftsbereiche, die sich vielleicht noch in Marktnähe befinden, oder aber schon im außermarktlichen Gesellschaftsbereich. Von hier können Impulse ausgehen, die sich in noch radikalere Innovationen übersetzen lassen, was allerdings auch höhere Risiken mit sich bringt, da die ökonomische Verwertbarkeit hier möglicherweise weit in der Zukunft liegt. Der Vorteil liegt darin, dass sich hier Konzepte generieren lassen, welche die etablierten Produkte zu einem nachhaltigen Portfolio ergänzen. Denkbar sind hier Ansätze, die alternative, ressourcenschonende Nutzung ermöglichen, Unternehmen dazu anregen, ihre Lieferketten zu hinterfragen, auf kleinem Raum mit recycelten Materialien Lösungen anbieten etc., sodass sie sich in Konzepte wie Tinyhouses oder Mehrgenerationenhäuser einfügen. Personen dieser weit vom Kernmarkt entfernten Segmente stehen dem klassischen Konsum insgesamt kritischer gegenüber und übertragen diese Einstellung auf bestehende Produktkonzepte, indem sie gezielter nach Anwendungsalternativen Ausschau halten.

Soziale Verantwortung als Ergänzung zum Marketing

Um eine Bedürfniserfassung und -übersetzung in marktfernen Gesellschaftsbereichen (Punkt C in Abbildung 1) zu realisieren, müssen die Erwartungen an die ökonomische Verwertbarkeit meist drastisch heruntergeschraubt werden. Zu weit in der Zukunft liegen die möglichen Erträge, da die Marktsegmente, für die Produkte interessant wären, noch klein und nicht so rentabel sind wie der Mainstreammarkt. Allerdings ist es trotzdem anzuraten, in solche, derzeit noch ungewisse Projekte zu investieren, da irgendwann auch der längste Produktlebenszyklus endet. Diese Mehrgleisigkeit der Ressourcenverteilung hat gewisses Konfliktpotenzial, da die Rentabilität des Gesamtunternehmens verwässert wird, und die Dividenden niedriger ausfallen als bei Konzentration auf etablierte Produkte.

In der unmittelbar ausgetragenen Rivalität zwischen verschiedenen strategischen Geschäftsfeldern sind radikal-innovative Produkte somit oft im Nachteil gegenüber den etablierten des Kernmarktes. Sie haben zwar das Potenzial für zukünftige Erfolge, werfen aber im aktuellen Tagesgeschäft noch zu wenig ab. Dieser Konflikt lässt sich nicht durch Kompromisse zwischen dem Produktmanagement der innovativen und dem des etablierten Geschäftsfelds beheben, da die Rivalität zwischen ihnen systemisch bedingt und auch gewollt ist. Der Ausweg kann nur darin liegen, die ausgedehnte Suche nach Innovationsimpulsen auf eine strategische Ebene zu stellen. Das bedeutet eine feste Verankerung von sozialer Verantwortung in der Führungsebene und damit ein glaubwürdiges Bekenntnis zu Nachhaltigkeitskonzepten. Hierdurch erst kann soziale Verantwortung als ganzheitlicher Ansatz ins Unternehmen ausstrahlen, wo es natürlich im Tagesgeschäft gelebt werden muss.

Auf diese Weise wird es möglich, auch solche strategischen Suchpunkte zu verwirklichen, die in Abbildung 1 im oberen rechten Bereich liegen. Dort können wir uns die Erfassung zukünftig relevant werdender Bedürfnisse vorstellen, die von Gruppen mit einer nachhaltigen Lebensweise bereits artikulierbar sind und die sich so in radikale Impulse übersetzen lassen. Diese Marktsegmente werden in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen, wenn die zunächst noch latenten Bedürfnisse dann auch in den Segmenten des Mainstreams manifest geworden sind.

Im dritten Teil der Serie werden wir uns mit der speziellen Dynamik von Innovationen, das heißt der Ausbreitung über verschiedene Marktsegmente hinweg beschäftigen und den Nutzen aufzeigen, den die Umsetzung sozialer Verantwortung für das Unternehmen bringt.

Schlagworte zum Thema:  Innovation, Innovationsmanagement, CSR, Nachhaltigkeit