Der Mobilfunk-Markt steht für harte Bandagen und geringe Margen. Die meisten würden in diesem Segment daher nicht zuallererst an Klimaschutz, Datenschutz und Transparenz denken. Genau diese Kombination ist jedoch das Versprechen des Freiburger Unternehmens WEtell. Es möchte zeigen, dass auch in einem schwierigen Umfeld eine konsequente, nachhaltige Ausrichtung möglich und erfolgreich ist. Der Mobilfunkanbieter verschreibt sich dem gemeinwohlorientierten Wirtschaften. Dr. Nico Tucher, Teil des Gründer-Trios, spricht im Interview über Unternehmertum mit ethischem Anspruch und erläutert, wie eine Gemeinwohl-Bilanzierung funktioniert.
Herr Tucher, Ihr Unternehmen ist Gemeinwohl-bilanziert. Was genau bedeutet das?
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) steht genau wie WEtell selbst für eine Wirtschaftstransformation. Weg von der Profit-Maximierung hin zu einer Maximierung des Gemeinwohls. In der sogenannten GWÖ-Matrix gibt es 20 verschiedene Kategorien, in denen die Auswirkungen eines Unternehmens erfasst und beschrieben werden. Zum Beispiel: Wie wirken sich die Produkte auf die Kund:innen aus? Wie auf das gesellschaftliche Umfeld? Aber auch: Wie sieht es mit der Transparenz und Mitbestimmung bei den Unternehmen in der Lieferkette aus? Zu all diesen Bereichen bezieht man in einer GWÖ-Bilanz Stellung. Das macht einem selbst sehr bewusst, wie das eigene unternehmerische Handeln sich auswirkt.
Es regt zum Nachdenken an. An welchen Stellen lässt sich der Gemeinwohl-Impact des Unternehmens noch verbessern?
Haben Sie schon konkrete Maßnahmen aus dieser Bilanzierung abgeleitet?
Sehr viele! Der Bereich Klimaauswirkungen unserer Produkte war für uns von Anfang an relativ klar. Im Bereich Transparenz und Mitbestimmung, vor allem bezogen auf die Lieferketten, konnten wir allerdings noch sehr viel lernen. Wir achten nun zum Beispiel darauf, ob es bei unseren wichtigsten Dienstleistern Mitarbeiterbefragungen gibt. Auch der Bereich Gesundheitsvorsorge für die eigenen Mitarbeitenden rückte für uns durch die Bilanzierung stärker in den Fokus.
GWÖ-Bilanz in der Praxis
Wie läuft so eine GWÖ-Bilanzierung ab?
Die Erstellung des Berichts ist aus Unternehmensperspektive der relevante Punkt. Das macht auch ordentlich Arbeit. Bei WEtell sind es am Ende knapp 120 Seiten geworden. Der Bericht wird einem externen Audit unterzogen. Die GWÖ ist in Deutschland ein Verein, der Auditor:innen stellt. Dabei stellt sich heraus, ob die beschriebenen Dinge wirklich stimmen und auch, ob sie relevant sind in Anbetracht des sonstigen unternehmerischen Handelns. Würden wir zum Beispiel Solaranlagen bauen, diese wären aber im Vergleich zu unseren CO2-Emissionen sehr klein, würde das im Audit auffallen. Das Engagement des Unternehmens wird in jeder Kategorie quantifiziert.
Man kann am Ende in Zahlen erkennen, ob ein Unternehmen einen positiven Einfluss auf das Gemeinwohl hat oder nicht. Das hilft Kund:innen, die Gemeinwohl-orientierte Produkte kaufen wollen, enorm.
Wer es genau wissen will, kann in der Bilanz nachlesen, was das Unternehmen in welchen Bereichen macht. Denn diese ist inklusive der Bewertung öffentlich zugänglich. Das sorgt für eine enorme Transparenz.
Das hört sich so an, als hätte die GWÖ nur Vorteile. Wieso machen das noch nicht alle Unternehmen?
Finanzieller Profit ist die Kernwährung, in der wir gelernt haben zu denken. Erfolg wird mit finanziellem Erfolg gleichgesetzt. Das will ich niemandem vorwerfen.
Das Bewusstsein, dass wir neben Profit noch andere Kriterien brauchen, kommt bei immer mehr Menschen an und schwappt in die Wirtschaft über – es ist aber noch kein Mainstream.
Über gute Beispiele lässt sich das Modell für andere attraktiver machen. Also durch Unternehmen, die Erfolg haben, gerade weil sie GWÖ-Unternehmen sind. Darüber hinaus sind auch Anreize denkbar. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass Unternehmen, die zur Verbesserung des Gemeinwohls beitragen und das über eine GWÖ-Bilanz belegen bei öffentlichen Ausschreibungen, Kreditvergaben oder auch steuerlich einen Vorteil bekommen.
Interesse an GWÖ könnte durch CSRD deutlich steigen
Aktuell sind es eher kleinere Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Was hält Größere davon ab?
Ich glaube es sind eher kleine Unternehmen, die verstanden haben, dass sich an der Wirtschaftswelt substanziell etwas ändern muss. Daher legen diese Unternehmen freiwillig los. Mit der CSRD werden größere Unternehmen aber bald eine Berichtspflicht haben, die in Richtung GWÖ geht. Das wird ein großer Schritt sein, denn die GWÖ plant ihre eigene Bilanz so anzupassen, dass ein großer Teil der CSRD-Anforderungen direkt schon erfüllt wird. Wenn es einen Nachhaltigkeitsbericht gibt, der auch geprüft wird, wird auch das Interesse an der GWÖ deutlich steigen.
Gehen wir davon aus, ein Unternehmen möchte GWÖ-bilanzieren: Wie gelingt der Einstieg in das Thema?
Wer sich für die GWÖ interessiert, kann andere GWÖ-Unternehmen ansprechen oder in Kontakt mit den verschiedenen Regionalgruppen treten. Diese sind über ganz Deutschland, Österreich und die Schweiz verteilt. Alle Materialien zur Erstellung einer Bilanz sind veröffentlicht. Man kann direkt loslegen.
Verantwortungseigentum und Gemeinwohl-Ökonomie
Das Unternehmen WEtell liegt im Verantwortungseigentum. Ist das synonym mit Gemeinwohl-Ökonomie oder gibt es Unterschiede?
Das Ziel von Verantwortungseigentum und der GWÖ ist ähnlich: ein Werte-basiertes Wirtschaften. Während im Verantwortungseigentum aber die Unternehmensstruktur so eingerichtet wird, dass Werte-orientierte Entscheidungen getroffen werden, gibt die GWÖ einen konkreten Rahmen vor, wie Gemeinwohl-orientiertes Wirtschaften in der Praxis aussieht. GWÖ will ein anderes Wirtschaftssystem. Dazu macht sie mit der GWÖ-Matrix den ansonsten abstrakten Beitrag zum Gemeinwohl messbar. Das Verantwortungseigentum will eher Strukturen in den Unternehmen schaffen, die dafür sorgen, dass Werte erhalten bleiben. Dazu gibt es zwei Prinzipien. Das erste ist das Sinn-Prinzip. Es bedeutet, dass alle Gewinne im Unternehmen bleiben. Sie können nicht an Eigentümer oder Anteilseigner ausgeschüttet werden, sondern nur im Sinne des Unternehmenszwecks verwendet werden. Das hat auch zur Folge, dass ein Unternehmen nicht mehr verkauft werden kann. Es wäre zum Beispiel für die Telekom nicht sinnvoll, uns zu kaufen, da sich aus unserer Firma kein Profit schlagen lässt.
Der Traum vieler Gründer vom profitträchtigen Exit ist also nicht Ihr Traum?
Nein. Wir kommen aus dem Bereich der Forschung zu erneuerbaren Energien und haben uns gefragt, wie wir das Nachhaltigkeitsthema, für das wir brennen, stärker nach außen tragen können. WEtell gibt es, weil wir glauben es hat die meiste Wirkung ein Unternehmen zu gründen, das einen Wertefokus vorlebt. Produkte und Dienstleitungen, die gut funktionieren, sind eine Möglichkeit Menschen positiv mit dem Thema Nachhaltigkeit zu erreichen.
Mobilfunk als Kernprodukt ermöglicht uns das Engagement für unsere Vision. Wir machen Mobilfunk, weil wir Nachhaltigkeit wollen und nicht andersrum.
Für mich ist die zentrale Frage: Was will ich denn mit meinem Unternehmen? Für mich lässt sich diese Sinnfrage nicht ohne gesellschaftlichen Mehrwert beantworten. Ginge es uns um persönliche Bereicherung, hätten wir alle etwas anderes machen können.
Und das zweite Prinzip des Verantwortungseigentums?
Das zweite Prinzip ist, dass nur Mitarbeitende ein Stimmrecht im Unternehmen haben können. Bei den meisten Unternehmen ist es ja anders, da haben auch Investor:innen Einfluss. Entscheidungen sollten aber von denjenigen getroffen werden, die im Unternehmen arbeiten. Das bedeutet auch, dass wir Gesellschafter unsere Stimmrechte verlieren, wenn wir weniger als die Hälfte unserer Arbeitszeit im Unternehmen verbringen. Dahinter steckt auch die Überlegung, wie man ein Unternehmen übergibt. Das Verantwortungseigentum ermöglicht, dass ein Unternehmen im Sinn der Gründungsidee weitergeführt wird.
Vielen Dank für das Gespräch!