Green Hushing: Wenn die Nachhaltigkeitskommunikation verstummt
Der Trend des Green Hushing gewinnt angesichts der Fälle, in denen Unternehmen, wie die Drogeriekette dm im vergangenen Jahr, für irreführende grüne Aussagen zur Verantwortung gezogen wurden, zunehmend an Bedeutung. Viele Unternehmen setzen sich zwar weiterhin ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele, doch sie scheuen sich, öffentlich darüber zu sprechen und halten sich bezüglich des Fortschritts und Erfolgs ihrer grünen Initiativen bedeckt.
Der Begriff Green Hushing wurde Ende 2022 von der in Zürich ansässigen Beratungsfirma South Pole geprägt, nachdem eine Studie des Unternehmens im selben Jahr 1.200 private Unternehmen in zwölf Ländern und 15 Sektoren zu ihren Netto-Null-Fortschritten befragt hatte. Diese ergab, dass 72 Prozent der befragten Unternehmen Emissionsziele im Einklang mit den globalen Klimazielen festgelegt haben. Jedoch ging aus der Studie auch hervor, dass jedes vierte Unternehmen nicht plant, öffentlich über seine klimabezogenen Ziele zu sprechen. Als mögliche Gründe dafür nannte South Pole die Furcht vor einem „Anti-ESG-Pushback“ oder die Befürchtung der Unternehmen, in die Greenwashing-Falle zu tappen.
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Experteneinblicke in das Phänomen Green Hushing
Wie und warum sollten Unternehmen ihre umweltbezogenen Nachhaltigkeitsaktivitäten kommunizieren, wenn doch die Gefahr besteht, dabei so einiges falsch zu machen? Viola Raddatz, ESG-Expertin und Vice President Sustainability bei der internationalen Kommunikationsberatung Weber Shandwick, gibt dazu im Interview Auskunft.
Wie bewerten Sie die Zurückhaltung von Unternehmen bei der Nachhaltigkeitskommunikation im Zusammenhang mit verantwortungsvoller Unternehmensführung?
Viola Raddatz: Green Hushing beschreibt das Phänomen, dass Unternehmen über ihre Klimastrategie bzw. Engagement im Bereich Umwelt nicht öffentlich kommunizieren. Das kann verschiedene Gründe haben. Grundsätzlich finde ich es schwierig, wenn Unternehmen Green Hushing betreiben, denn es ist dadurch für Konsument:innen noch schwieriger sich zu orientieren, ob ein Produkt nachhaltig ist oder nicht. Zudem finde ich es wichtig, dass über Nachhaltigkeit im Kontext der verantwortungsvollen Unternehmensführung öffentlich diskutiert wird und Erfahrungen sowie Best Practices ausgetauscht werden können. Dieser Austausch wird immer einseitiger und ärmer, wenn sich Unternehmen reihenweise durch Green Hushing aus der Debatte zurückziehen.
Nachhaltigkeits-Richtlinien wie die CSRD verpflichten Unternehmen, eine breite Palette an Informationen über ihre Produkte offenzulegen, wie etwa deren Umwelt- und sozialen Auswirkungen. Wirkt das dem Green Hushing entgegen?
Raddatz: Teilweise ja. Es ist gut und richtig, dass regulatorische Offenlegungspflichten, wie sie zum Beispiel durch die CSRD entstehen, Unternehmen in die Pflicht nehmen, transparent über ihr Nachhaltigkeitsengagement Auskunft zu geben. Das heißt, für ein überwiegendes Fachpublikum werden Nachhaltigkeitsinformationen und Daten dadurch zugänglich. Doch es braucht mehr als das; nämlich eine verständliche, konsumentenorientierte Kommunikation, die diese reportingspezifischen Informationen und Daten übersetzt, vereinfacht und zugänglich macht, ohne dabei ins Greenwashing abzudriften. Auch gilt es zu bedenken, dass von Offenlegungspflichten wie der CSRD oder dem LkSG nicht alle Unternehmen sofort betroffen sind. Die Informations- und Datentransparenz wird sich also erst über die Jahre richtig entfalten.
Das prominente Beispiel dm fand sich vergangenes Jahr im Streit über die Frage vor Gericht wieder, was als „klimaneutral“ und „umweltneutral“ bezeichnet werden darf. Das Unternehmen spricht heute weiter über seine Nachhaltigkeitsziele und trifft auch Produktaussagen mit Nachhaltigkeitsbezug. Was können andere Unternehmen von dm lernen?
Raddatz: Einerseits bestätigt der Fall dm die Befürchtung der „Green Husher“: Die Werbung mit dem „klimaneutral“-Label und entsprechenden Produktaussagen brachte das Unternehmen Greenwashing-Vorwürfe ein, und es wurde öffentlich dafür abgestraft. So etwas kann die Reputation von Unternehmen schädigen und zusätzlich finanzielle Folgen nach sich ziehen. Am Beispiel dm sehen wir aber auch: Wenn ein Unternehmen sich über viele Jahre ein starkes Fundament in Bezug auf Nachhaltigkeit aufgebaut hat, es seine Umweltleistungen in transparenter und nachvollziehbarer Weise belegen kann, externe Expert:innen mit einbezieht, kann es mit Anschuldigungen dieser Art konstruktiv umgehen. dm’s selbstbewusste Reaktion beinhaltet auch, zwar zukünftig auf das Label „klimaneutral“ zu verzichten, aber ihr „umweltneutral handeln“-Siegel fortzuführen. Am Beispiel dm wird klar, dass Nachhaltigkeitskommunikation mittlerweile deutlich kritischer beleuchtet wird und bei Schwachstellen der Greenwashing-Vorwurf schnell im Raum stehen kann. Daher gilt für Unternehmen: Keine Kommunikation ohne entsprechende „Proof Points“ gemäß der „Leitplanken“ der Green Claims Directive.
Wenn ein Unternehmen sich über viele Jahre ein starkes Fundament in Bezug auf Nachhaltigkeit aufgebaut hat, es seine Umweltleistungen in transparenter und nachvollziehbarer Weise belegen kann, externe Expert:innen miteinbezieht, kann es mit Anschuldigungen dieser Art konstruktiv umgehen.
Was raten Sie Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitskommunikation professionalisieren und dabei sicher durch das Feld von Green Washing und Green Claims navigieren möchten?
Raddatz: Für die nachhaltige Transformation der Wirtschaft brauchen wir Unternehmen, die offen und ehrlich über ihr Nachhaltigkeitsengagement sprechen. Green Hushing, und damit den Kopf in den Sand zu stecken, ist aus meiner Sicht keine Option. Ich rate Unternehmen, sich an das Motto „Walk the Talk und Talk the Walk“ zu halten. Es geht darum, transparent und offen zu kommunizieren und dabei Erfolge, aber auch Herausforderungen, klar zu benennen. Jede Aussage muss dabei spezifisch, belegbar, korrekt und nachvollziehbar sein. Jegliche bestehenden Claims sowie verwendete Labels oder Siegel sollten jetzt auf den Prüfstand gestellt werden, ob sie den Anforderungen der Green Claims-Directive standhalten. In Unternehmen müssen dafür mitunter Prozesse neu etabliert werden, die das sichere Navigieren entlang der Regulierungen zukünftig sicherstellen. Der Aufwand ist erstmal groß, und die Prozesse werden komplexer, bei Inkrafttreten der Green Claims Directive würde das aber die Unternehmen in ein kommunikativ sichereres Fahrwasser bringen und den Konsument:innen verlässlichere und transparentere Informationen bieten. Davon profitieren alle.
Kurz erklärt: Wichtige Begriffe der NachhaltigkeitskommunikationGreenwashing: Die bewusste Täuschung des Konsumenten durch Beschönigung mit gezielten Marketing-Kampagnen. Greenwishing: Eine gute Intention liegt vor, die tatsächlichen Auswirkungen sind aber gering. Green Claims: Behauptungen oder Aussagen eines Unternehmens über die Umweltfreundlichkeit oder Nachhaltigkeit seiner Produkte oder Dienstleistungen. Greenhushing: Aus Angst vor Kritik oder einem Shitstorm wird nicht kommuniziert. |
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