Sagenhafte 127 Liter reinstes Trinkwasser verbraucht jede Person in Deutschland Tag für Tag. Das Gros geht fürs Duschen und für die Toilettenspülung drauf. Auf das Kochen und Trinken – also die Verbräuche, für die gutes Trinkwasser tatsächlich wichtig ist – entfallen gerade mal 5 Liter pro Person und Tag. Gutes, reines, trinkbares Wasser ist weltweit knapp. So knapp, dass Staaten wie Australien, Südafrika, Singapur oder auch der US-Bundesstaat Kalifornien schon längst reglementiert haben, dass durch ihre Duschbrausen nicht wie hierzulande im Schnitt 12 bis 15 Liter Wasser pro Minute fließen, sondern weniger als sieben Liter. Hinzu kommt, dass wir in der Regel Warmduscher sind. Mit der Energie, die wir für eine Minute Duschen mit 40 Grad warmem Wasser brauchen, könnten wir knapp einen Kilometer mit einem Tesla auf der Autobahn fahren.
Wenn Steffen Erath, Head of Innovation & Sustainability bei der Hansgrohe Group, aus seinem Wissensschatz-Nähkästchen erzählt, dann sträuben sich einem die Haare. Apropos Haare: Wir könnten auf 90 Prozent aller Shampoos und Duschgels verzichten, wenn der pH-Wert unseres Wassers bei 5,5 läge, schätzt Steffen Erath. In Deutschland muss der pH-Wert laut Trinkwasserverordnung aber zwischen 6,5 bis 9 betragen – und zwar aus dem kühlen Grunde, weil sonst die Rohre korrodieren. Haut und Haare brauchen all die Mittel, die meist in Plastikflaschen in unseren Duschen herumstehen, nur, um den natürlichen Säureschutzmantel wiederherzustellen. Wasser, sagt Steffen Erath und beruft sich auf Dermatologen und Medizinerinnen, würde völlig ausreichen, um uns zu reinigen. Für den seltenen Fall, dass man mal wirklich schmutzig ist, täte es ein Stück Kernseife. Mit Steffen Erath zu sprechen ist lehrreich und augenöffnend, seine Leidenschaft fürs Thema Ressourcenschonung steckt an.
„Manchmal muss man eine Geschichte erzählen, und zwar eine positive.“
Die Produkte von Hansgrohe sind in Bädern und Küchen auf nahezu der ganzen Welt zu finden. Das Unternehmen unterhält 33 Gesellschaften, 21 Verkaufsbüros und vertreibt seine Marken hansgrohe und Axor in über 150 Ländern, produziert wird an sieben Produktionsstandorten, davon vier in Deutschland. Seit 2003 gehört es mehrheitlich der US-amerikanischen Masco-Gruppe aus Michigan.
Erath verantwortet bei Hansgrohe die vier Bereiche Green Company, Innovation Management, die Social Innovation und das Start-up-Engagement. Im zum Innovation Management zählenden InnoLab werden Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten sollen – ökologisch, ökonomisch und sozial. Kurzum: Bei Steffen Erath laufen gute Ideen und Nachhaltigkeit zusammen.
Der Innovationschef und seine Teams beschäftigen sich unter anderem mit dem Stellenwert des Wassers bei indigenen Völkern „Dort ist Wasser heilig“, sie sprechen mit Psychologen über moderne Hygiene „Wir duschen nicht den Dreck, sondern den Stress ab“ und sie beschäftigen sich mit der dringlichen Frage, wie sich Ressourcen sparen lassen. Der größte Hebel dafür liegt im Frischwasserverbrauch und im Energieverbrauch für warmes Frischwasser.
Bei Hansgrohe spricht man von „Planet-Centered Innovation“. Steffen Erath erklärt: „Normalerweise startet man mit einem Nutzerproblem, wir starten jetzt mit einem planetaren Problem. Wenn wir es schaffen, eine Lösung zu entwickeln, die das planetare Problem verringert, die zudem bei den Nutzern gut ankommt und auch noch wirtschaftlich ist, dann können wir Gutes tun und Geschäfte machen.“ In diesem Fall wäre jedes verkaufte Produkt nicht Teil eines Überkonsums, sondern Teil der Lösung.
2023 erregte Hansgrohe auf der Weltleitmesse für Heizungs-, Sanitär- und Klimatechnik ISH große Aufmerksamkeit mit „Hansgrohe’s Green Vision Beyond Water: Rethinking Bathroom Culture“. Dahinter verbirgt sich die Idee von einem ziemlich abgefahrenen Bad, das in großem Stil Wasser, Energie und CO2e spart. „Manchmal muss man eine Geschichte erzählen, und zwar eine positive. Wenn man ein Marktführer ist oder ein Meinungsführer, dann hören viele zu und automatisch folgen dir dann Wettbewerber oder andere Meinungsführer. Die Idee ist in der Welt. Letztlich können wir Zukunft auch selbst gestalten. Zukunft ist das, was du selbst machst“, sagt Steffen Erath.
Innovative Produkte statt Gängelung
Nicht für die Zukunft, sondern ganz gegenwärtig sind Produktinnovationen wie die Armatur „Coolstart“. Normalerweise stehen Einhebelmischer in der Mittelstellung, das bedeutet: Rund 16 Grad warmes Wasser wird von der Heizung angezapft und in die Leitung gepumpt. Wir öffnen den Wasserhahn, waschen uns kurz die Hände und schließen ihn wieder. Weil das ganze ziemlich schnell geht, kommt das warme Wasser überhaupt nicht bei uns an, sondern nur bis in die Leitung. Bei „Cool Start“ fließt in der Griff-Mittelstellung ausschließlich kaltes Wasser. Das Produkterlebnis bleibt gleich und trotzdem spart es 30 Prozent Energie und somit CO2. Bestechend einfach, oder? Steffen Erath spricht von indirekter Verhaltensänderung ohne Komfortverlust. Das ist ihm wichtig. „Wenn jemand heißes Wasser will, muss er die Option haben, heißes Wasser zu bekommen. Komfortverlust ist schwierig. Den macht nicht jeder mit.“
Eine erzwungene Verhaltensveränderung sei Gängelung. Statt zu sagen „Dusch nur noch einmal die Woche, und zwar kalt“ müsse man auf neue Technologien setzen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass sich Duschwasser ein zweites Mal und anschließend für die Toilettenspülung verwenden lässt.
In der Philosophie von Hansgrohe ist Nachhaltigkeit nicht mit Verzicht verbunden, sondern mit Genuss, Qualität, Langlebigkeit und Design. Mit dem Wort „wassersparend“ zum Beispiel wird nicht offensiv geworben, schon um bei der Kundschaft nicht den Verdacht keimen zu lassen, dass ihr Duscherlebnis schlechter werden könnte, weil weniger Wasser fließt.
Hansgrohe setzt auf ausgeklügelte Technologie, nimmt den Verbrauchern die Entscheidung ab und sorgt dafür, dass die gar nicht merken, dass sie gerade mit einem Wassersparduschkopf duschen. Was eine hohe Produktqualität erfordert, denn ein reduzierter Wasserdurchfluss darf eben nicht dazu führen, dass die Menschen zum Beispiel länger duschen, weil sie das Shampoo nicht aus ihren Haaren waschen können – das würde den Ressourceneffekt zunichte machen und wäre überdies schlecht fürs Geschäft.
Bis 2030 will Hansgrohe sein gesamtes Brausen- und Armaturensortiment mit Wasser- und Energiespartechnologien ausstatten, die den Verbrauch in der Nutzung im Vergleich zum Basisjahr 2020 um mindestens 22 Prozent reduzieren.
Der Klimawandel ist doch nicht ferne Zukunft, er ist Realität.
Klaus Grohe im Jahr 1990
Eigentlich könnte Hansgrohe der Wasser- und Energieverbrauch seiner Kundschaft herzlich egal sein, denn die – zumindest finanziellen – Kosten dafür fallen ja nicht beim Unternehmen an, sondern bei den Verbrauchern. Tatsächlich aber setzt das Unternehmen schon seit den 80er Jahren auf Nachhaltigkeit. Klaus Grohe, Sohn des Firmengründers, brachte 1987 eine Handbrause auf den Markt, die für 50 Prozent Wassereinsparung sorgte. Er soll schon 1990 gesagt haben: „Der Klimawandel ist doch nicht ferne Zukunft, er ist Realität. Zur Verminderung der CO2e Emissionen muss die ganze Gesellschaft beitragen. Wir stellen heute die Weichen für übermorgen.”
Die Innovationskraft des 1901 gegründeten Unternehmens mit Hauptsitz in Schiltach im Schwarzwald ist verbürgt. Laut eigenen Angaben erzielt die Group seit Jahren einen Großteil ihres Umsatzes mit Neuprodukten, die nicht älter sind als drei Jahre.
Seit 1974 gewann das Unternehmen über 700 Designpreise, es hält über 20.000 aktive Schutzrechte und holte im vergangenen Jahr unter anderem den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 und den Global Transition Award des Handelsblatt für „überzeugende Strategien für ein 1,5 °C konformes Wirtschaften“. Für seine zahlreichen Öko-Zertifizierungen, Sustainability-Awards und den ausführlichen Nachhaltigkeitsbericht unterhält Hansgrohe auf seiner Website den eigenen Unterpunkt „Berichte und Kennzahlen“. Das Leitbild des Unternehmens lautet „In Touch with our Planet“. Laut Wirtschaftswoche zählt Hansgrohe zu den „Nachhaltigsten Mittelständlern 2023“.
Die Nachhaltigkeitsperspektive wird immer mitgedacht
Um sich nicht zu verzetteln, fokussiert sich das Unternehmen auf drei Handlungsfelder: Wasserkreisläufe schonen, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft. Daraus leiten sich zehn Initiativen ab, dazu zählen die grüne Produktion, grüne Verpackungen, grüne Produkte, das soziale Engagement oder das Projekt „Green Mindset“. Für letzteres ließen sich 26 Mitarbeitende vom Bildungspartner ada Learning vier Monate lang zu „Green Experts“ ausbilden.
Die Organisation von Hansgrohe ist vom Nachhaltigkeitsengagement durchdrungen und strategisch, prozessual und personell so stark aufgestellt, dass die Nachhaltigkeitsperspektive immer mitgedacht wird. Das Thema ist beim Vorstandvorsitzenden aufgehängt, darüber hinaus beschäftigen sich die Innovation & Sustainability-Unit, das Green Company Team, die Green Experts und die Public-Affairs-Abteilung damit. Seit 2023 diskutiert ein neu geschaffenes Green Company Board viermal im Jahr Ideen, Projekte und ihren Umsetzungsstand.
Die Strategie wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auszahlen, auch wenn Hansgrohe 2023 wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach zwei Rekordjahren einen Umsatzeinbruch hinnehmen musste. Auf Sicht werden ressourcensparende Produkte stark nachgefragt sein – im Endverbraucherbereich, weil sie die Energiekosten senken und im Business-to-Business-Bereich wie etwa in der Hotellerie, weil sich die sparsamen Verbräuche positiv auf deren Klimabilanz niederschlagen. Die französische Accor Gruppe orderte im vergangenen Jahr jedenfalls für ihre Hotelmarke Ibis 50.000 wassersparende Duschbrausen. Steffen Erath zeichnet ein zuversichtliches Szenario für nachhaltige Produkte made in Europe, er sagt: „Ich glaube, Qualität und Nachhaltigkeit hängen eng miteinander zusammen. Wir sind in Europa oder Deutschland vielleicht nicht die schnellsten. Wir sind vielleicht nicht die Vorreiter in der KI. Wir stehen nicht für Massenproduktion. Aber wir machen die Dinge durchdacht, divers und qualitativ hochwertig, also nachhaltig. Das könnte künftig unser Innovations-USP sein, der Wettbewerbsvorteil Europas.“