Klimapositiv bauen mit Stroh: Die Baustoff-Revolution?
Die Unternehmer Eckardt Dauck und Claus Fischer – der eine Volkswirt, der andere Architekt – haben mit ihren Wänden aus Strohfaserplatten in der Bau- und Immobilienbranche zuletzt viel Aufmerksamkeit erhalten. Vor allem Investoren, die auf ihre Ökobilanz achten, sind interessiert. Auch die Politik ist aufmerksam geworden, insbesondere mit Blick auf den Wohnungsbau, denn die Wände aus Stroh sind schnell verfügbar und einsetzbar.
Herr Dauck, wie entstand die Idee, Stroh als Material für den Innenausbau von Gebäuden einzusetzen?
Eckardt Dauck: Wir haben nach einer nachhaltigen und kostengünstigen Lösung gesucht, um die hohen CO₂-Emissionen und den Materialverbrauch im Bauwesen zu reduzieren. Dabei sind wir auf traditionelle Bauweisen und die überzeugenden Eigenschaften von Stroh gestoßen. Stroh ist leicht verfügbar, nachwachsend, sehr gut isolierend und dämmend, in hochverdichteter Form erstaunlich stabil und feuerfest und im Sinne der Kreislaufwirtschaft wiederverwendbar. Das macht es zum idealen Baustoff.
Und wie kam es zur Firmengründung?
Mein Sohn hat mich vor Jahren gefragt, ob ich etwas zum Positiven in der Welt verändere. Daraufhin haben wir überlegt, wo wir als Familie einen Beitrag leisten können. Dabei kristallisierten sich Umweltschutz und der Bau von Unterkünften, Kliniken und Schulen in Entwicklungsländern, vor allem in Ostafrika, als Themen heraus. In Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsinstituten haben wir dann untersucht, mit welchen Materialien nachhaltige Wirtschaftskreisläufe aufgebaut werden können. Dabei stießen wir auf Strohfaserplatten, die in England seit den 1930er Jahren erfolgreich eingesetzt wurden - bis in die 1970er Jahre, als Gipskarton und Asbestplatten den Markt eroberten. Seit 2011 planen, produzieren und errichten wir in Ostafrika bis zu dreistöckige Gebäude - lasttragend aus Strohfaserplatten ohne Holz, Stahl und Beton. Das erste Gebäude wurde von Professoren der ETH Zürich und der Bauhaus-Universität Weimar entworfen und gemeinsam mit Studierenden des Ethiopian Institute of Architecture (EIABC) in der Hauptstadt Addis Abeba gebaut. Seitdem wird es als Seminargebäude genutzt.
Woher stammt Ihr Stroh, und welche Vorteile bietet es für das Bauen und das Klima?
Unser Werk in Thüringen liegt inmitten von Feldern, auf denen Stroh wächst. Das verarbeiten wir mit einer Produktionskapazität von derzeit 350.000 Quadratmetern pro Jahr, die wir bis Ende 2025 auf rund eine Million erhöhen werden. Stroh fällt bei der Getreideproduktion als Nebenprodukt an, zusätzliche Anbauflächen werden daher nicht benötigt. Es wächst sehr schnell nach und speichert viel CO₂. Unser Circularity-Partner EPEA hat die Ökobilanz unserer Wände inklusive Transport und Montage erstellt. Er kommt auf einen Wert von minus 56 Kilogramm CO2e pro Quadratmeter. Damit sind wir klimapositiv. Stroh hat viele Vorteile. In hoch verdichteter Form ist es zum Beispiel von Natur aus feuerbeständig. Außerdem wirkt es wärme- und schalldämmend. Prüfungen bei Materialprüfanstalten haben bestätigt, dass die Stramen.Tec-Wände die Normen der hohen Schall- und Brandschutzanforderungen in Deutschland erfüllen.
Initial höhere Kosten können durch Vermeidung von Folgekosten ausgeglichen werden
Wie läuft die Herstellung und Verarbeitung der Stroh-Wände ab?
Im Produktionsprozess wird das Stroh zunächst von Staub und Fremdkörpern gereinigt und dann in einer Pressanlage, bei rund 200 Grad Celsius, zu hochverdichteten Strohfaserplatten verarbeitet und mit Recyclingkarton kaschiert. Das im Stroh enthaltene Lignin, als natürlicher Klebstoff, hält die Platten zusammen. Schließlich werden die Platten individuell zugeschnitten, sodass sie auf der Baustelle ohne großen Verschnitt montiert werden können. Für den Aufbau wird keine Unterkonstruktion benötigt. Die Strohfaserplatten sind selbsttragend und werden einfach mit der Decke, der Wand und untereinander verschraubt. Der Vorteil ist, dass sie später leicht demontiert und wieder neu aufgebaut werden können. Beim endgültigen Rückbau bieten wir die Rücknahme des Materials an. Im Werk wird dann die Papierschicht mit den Oberflächenbeschichtungen vom Strohkern getrennt, das Stroh geschreddert und 1:1 in die Produktion neuer Strohfaserplatten zurückgeführt.
Bei vielen Materialien gibt es derzeit Lieferengpässe und Kostenexplosionen. Wie sieht das beim Stroh aus?
Es gibt kein Ressourcenproblem. In Deutschland fallen jährlich 40 Millionen Tonnen Stroh an, von denen nur 30 Millionen in der Landwirtschaft verwendet werden. Für die industrielle Nutzung stehen zehn Millionen Tonnen zur Verfügung. Mit nur zwei Millionen Tonnen Stroh könnten wir jedes Jahr den gesamten Bedarf an Trockenbauwänden in Deutschland decken.
Wie hoch sind die Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Baumaterialien?
Auf den ersten Blick kostet eine Strohwand mehr als eine Gipskartonwand. Betrachtet man aber den gesamten Lebenszyklus, sind die Kosten geringer, da Gipskartonwände zum Beispiel bei Mieterwechsel regelmäßig abgerissen und als Sondermüll entsorgt werden müssen. Unsere Wände können wiederverwendet werden, was langfristig Kosten spart. Gerade institutionelle Investoren und Bestandshalter achten heute verstärkt auf die Vermeidung von Folgekosten durch Taxonomie und ungenügende ESG-Bilanzen. In diesen Bereichen können wir mit unserem Material punkten.
Sie sprachen institutionelle Investoren wie Versicherungen an, die beträchtliche Anlagegelder in Immobilien lenken. Wer interessiert sich darüber hinaus für das Bauen mit Stroh?
Vor allem große Entwickler von Wohnungen, Bürogebäuden und Logistikzentren. Nachhaltigkeitszertifizierungen wie „DGNB Gold“ oder „Platin“ sind heute am Markt selbstverständlich, um die Werthaltigkeit von neuen Gebäuden zu gewährleisten. Bauteile wie unsere Wände können dabei helfen, die hohen Anforderungen kostengünstiger zu erfüllen als dies beispielsweise durch zusätzliche technische Gebäudeausrüstung darstellbar wäre.
CO₂-Bilanz durch kreislauffähige Baustoffe verbessern
Es gibt unterschiedliche Hebel, um die Klimaziele im Gebäudesektor anzugehen. Was ist die Stärke von Baumaterialien?
Anders als zum Beispiel die technische Gebäudeausrüstung, die erst über einen langen Zeitraum während der Betriebsphase zu Einsparungen führt, reduzieren nachhaltige, kreislauffähige Baustoffe die CO₂-Bilanz von Anfang an. Baustoffe aus schnell nachwachsenden Rohstoffen wie Stroh sind dafür prädestiniert, die Klimaziele zu erreichen. Wichtig ist aber auch die zumindest teilweise Dekarbonisierung von Beton, zu dem es in vielen Bereichen noch keine Alternative gibt. Von Net-Zero-Rechenspielen halte ich in diesem Zusammenhang allerdings nichts.
Welche Resonanz haben Sie bisher von der Politik?
Durchweg positive. Das Interesse der Politik wächst, vor allem im Wohnungsbau. Oft fragen Politiker uns, warum nicht mehr Wände so gebaut werden. Unsere Wände sind technisch ausgereift, schnell verfügbar und einsetzbar, was gerade in Zeiten hoher Nachfrage nach Wohnraum und entsprechendem Druck auf die Politik ein großer Vorteil ist. Leider hapert es aber noch an der Umsetzung der politisch gewollten nachhaltigen Beschaffung durch die öffentliche Hand. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!
Welche Zukunft hat das Bauen mit Stroh?
Ich sehe eine Renaissance des Bauens mit Stroh. Wichtig dabei ist die Skalierbarkeit. Mit unserer Technologie ist es möglich, hochwertige, geprüfte und zugelassene Wände aus Stroh im industriellen Maßstab herzustellen und dabei klimapositiv zu sein. Wir bieten damit eine hervorragende Alternative zu herkömmlichen, klima- und umweltbelastenden Baustoffen an und sind stolz darauf, damit einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von CO₂-Emissionen und Baumüll leisten zu können.
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