Kommentar: Aufschiebung der EUDR ist der falsche Weg

Immer mehr Spitzenpolitiker fordern eine Verschiebung der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) von Seiten der Europäischen Union. Dieses Ansinnen aus Wirtschaft und Politik ist laut Klaus Wiesen in Teilen nachvollziehbar. Gleichzeitig hätten es viele Unternehmen versäumt, sich rechtzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der „Head of Sustainable Supply Chain“ des Tool-Anbieters Verso sieht jedoch neben einer Verschiebung des Anwendungsstarts oder der Beibehaltung des aktuellen Zeitplans eine dritte Möglichkeit zum Umgang mit der Verordnung.

Der Druck auf die EUDR wächst. Was bei der aktuellen Diskussion um eine mögliche Aufschiebung der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte völlig außer Acht gelassen wird: Eine Verschiebung des Anwendungsstarts oder die Beibehaltung des aktuellen Zeitplans sind nicht die einzigen Alternativen: Es gibt einen dritten Weg, der erfolgversprechender und sinnvoller wäre – und der bei anderen Gesetzesvorhaben rund um die Nachhaltigkeitsverpflichtungen bereits erfolgreich angewandt wurde.

Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesminister Cem Özdemir und zuletzt Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP: Sie alle stimmen in den Chor derjenigen ein, die eine Verschiebung beim Anwendungsstart der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte um mindestens sechs Monate fordern. Sie reagieren damit auf lauter werdende Stimmen aus der deutschen Wirtschaft, die die Erfüllung der bestehenden Regularien für kurzfristig unerfüllbar halten.

Was ist die EUDR und welche Produkte sind betroffen?

Doch worum geht es eigentlich? Die EUDR hat das Ziel, die fortschreitende Abholzung von Wäldern zu verhindern. Die EU reagiert damit auf den zunehmenden Verlust von Waldflächen: In den letzten 30 Jahren wurden weltweit Waldflächen zerstört, die größer sind als die gesamte Fläche aller EU-Länder. Trotzdem schreiten Waldschädigung und Entwaldung noch immer mit enormer Geschwindigkeit voran. Die EUDR ist die Antwort auf diese Entwicklung: Ab dem Anwendungstart sind die Ersteinführung, das Inverkehrbringen beziehungsweise Bereitstellen aus dem EU-Binnenmarkt sowie der Export bestimmter Waren verboten.

Betroffen sind Unternehmen, die relevante Erzeugnisse erstmalig in den Unionsmarkt importieren oder von dort exportieren sowie Händler, die relevante Erzeugnisse auf dem Unionsmarkt bereitstellen. Die neue Entwaldungsverordnung betrifft dabei die folgenden Rohstoffe sowie Erzeugnisse, die unter Verwendung dieser Rohstoffe hergestellt wurden: Holz, Palmöl, Kaffee, Kakao, Rind, Soja sowie Kautschuk.

Versäumnisse der EU – aber auch der Unternehmen

Zurück zur aktuellen Verschiebungs-Diskussion: Die Skepsis vieler Unternehmer und der Impuls, nach einem späteren Anwendungsstart zu rufen, ist in Teilen nachvollziehbar. Die Berichtspflichten sind insbesondere für Unternehmen, die eine Vielzahl von Lieferanten haben oder Lieferanten, die selbst keine Produzenten sind, nur mit erheblichen Herausforderungen zu erfüllen.

Hinzu kommt, dass sich die Verantwortlichen der EU vorwerfen lassen müssen, zu spät und unzureichend über ihr Gesetzespaket kommuniziert zu haben. Viele Unternehmen wussten lange nicht, wie die finalen Regelungen konkret ausgestaltet sind. Das hat zu Verunsicherung und damit auch zu Verzögerungen bei der Umsetzung der EUDR geführt. Die Unzufriedenheit vieler Unternehmen kommt also nicht von Ungefähr.

Was die Regelungen selbst betrifft, bleibt festzuhalten, dass sie von der EU bisher sehr restriktiv ausgelegt werden: Die Unternehmen sind auf Daten ihrer Zulieferer angewiesen, sonst darf die Ware nicht auf dem EU-Markt gehandelt werden.

Trotzdem müssen sich viele Unternehmen vorwerfen lassen, dass ihre Entschiedenheit bei der Vorbereitung und Durchsetzung der Bestimmungen zu wünschen übrig lässt. Es ist seit Langem bekannt, dass die Einholung relevanter Lieferkettendaten komplex ist. Ebenso ist seit geraumer Zeit öffentlich, dass die EU entsprechende Regelungen vorantreibt – auch wenn deren genaue Ausgestaltung lange unklar war. Das betrifft insbesondere Unternehmen aus dem Mittelstand, was auch daran liegt, dass sie weniger Durchschlagskraft mit Blick auf die Lieferanten haben und das Problem, von Lieferanten keine Daten zu bekommen, somit häufig besonders groß ist. Viele Konzerne haben sich dagegen bereits entsprechend aufgestellt und die erforderlichen Prozesse unter Einbezug der Lieferanten etabliert.

Für die Umsetzung der EUDR braucht es in den meisten Fällen nicht einmal neues Personal oder die Unterstützung kostenintensiver Unternehmensberatungen. Mithilfe unterstützender Software-Lösungen lassen sich die Anforderungen der EUDR – von der Risikoidentifizierung bis zum Erstellen eines CSRD-Berichts – in der Regel gut bewältigen.

Eine Verschiebung würde zudem die Unsicherheit bei der ESG-Regulatorik und das Misstrauen in bestehende EU-Beschlüsse vergrößern, das derzeit ohnehin schon beträchtlich ist.

Übergangsweise Bemühenspflicht als Alternative

Wie sollte die EU-Kommission nun also mit den Forderungen nach einer Verschiebung der EUDR umgehen, ob gerechtfertigt oder nicht? Der geforderte Aufschub des Anwendungsstarts ist der falsche Weg. Er würde weder den betroffenen Unternehmen noch dem Geist des Gesetzes gerecht werden. In der Konsequenz würde er dazu führen, dass sich die Passivität vieler Unternehmen rund um die EUDR verlängert und das Problem nur vertagt wird.

Sinnvoller wäre eine Lösung, die in der aktuellen Diskussion noch keine Rolle spielt, aber spielen sollte: eine übergangsweise Bemühenspflicht. Sie würde bewirken, dass Unternehmen keine Strafen befürchten müssten, wenn sie sich nachweislich bemühen, die Daten von ihren Lieferanten zu erhalten. Interessanterweise ist diese Regelung nichts Neues: Sie wurde beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder zuletzt beim CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) gewählt. Sie würde einerseits Planungssicherheit aufrechterhalten und andererseits auf die speziellen Herausforderungen des Mittelstands eingehen.

Es gibt also nicht nur die Optionen „Verschiebung“ oder „Beibehaltung des Zeitplans“. Die EU sollte noch einmal überdenken – und auf Lösungen setzen, die sich in vergleichbaren Situationen bereits als effektiv erwiesen haben.

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Über den Autor:
Klaus Wiesen ist Head of Sustainable Supply Chain bei Verso. Wiesen arbeitet seit 2009 im Nachhaltigkeitsbereich und war unter anderem für das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie tätig. 2017 initiierte er die Gründung von sustainabill, einem Anbieter, der mit seiner cloudbasierten Plattform andere Unternehmen dabei unterstützt, ihre Lieferketten transparent und nachhaltig zu gestalten. 2022 wurde er in den Mittelstandsbeirat von Bundesminister Dr. Robert Habeck berufen, wo er seine Perspektive auf erforderliche Nachhaltigkeits-Berichtspflichten für den Mittelstand mit einbringt.


Schlagworte zum Thema:  Umweltschutz, EU-Verordnung