Jeder Mensch besitzt von Natur aus Achtsamkeit
Immer mehr Unternehmen bieten Yogakurse im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements an. Die einen versprechen sich davon ein besseres Körperbewusstsein, die anderen wollen, dass die Beschäftigten dem Stress am Arbeitsplatz gelassener begegnen können.
Herr Alexander, was bedeutet Achtsamkeit für Sie?
Achtsamkeit meint sich selbst, die Dinge und Situationen so zu sehen und wahrzunehmen, wie sie sind und nicht wie ich sie gerne sehen möchte oder wie ich etwas gerne fühlen würde.
Manchmal ist es auch der Moment, in dem ich merke, dass ich unachtsam bin und dann bewusst wieder zur Achtsamkeit zurückkehre. Denn man kann nicht den ganzen Tag achtsam sein.
Welche Rolle spielt das Thema Achtsamkeit beim Yoga?
Man kann Yoga, wie letztendlich alles, auch ohne Achtsamkeit ausführen. Doch der Sinn der Yogapraxis ist Wahrnehmung und Erkenntnis, sowohl körperlich als auch emotional. Im Yoga bedeutet das auch, Details wahrzunehmen, wie einen Finger oder eine Hand, um dann wieder zur Ganzheit zurückzugehen.
Den Begriff der Achtsamkeit gibt es übrigens in der Yogalehre nicht. Der Begriff findet sich jedoch im Buddhismus. Und Buddhismus und Yoga haben sich schon immer befruchtet. Es gibt zwischen den beiden mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Wie passen Yoga, Buddhismus und Achtsamkeit in unsere westliche Welt?
Im Christentum ist die Kontemplation ein fester und beständiger Begriff. Doch scheint es, als hätten viele keinen Zugang mehr dazu. Im Gegenteil, die westliche Welt trennt sehr stark. So sind wir zum Beispiel körperlich am Arbeitsplatz, gedanklich aber im Urlaub. Oder wir sind mit einer Person zusammen und denken an eine andere. Diese ständige Trennung von Körper und Geist verursacht auf Dauer Stress und kann krank machen.
Jeder Mensch besitzt von Natur aus Achtsamkeit. Das ist uns nur nicht immer gewahr. Man kann verschiedene Wege gehen, um Körper und Geist in Einklang zu bringen. Die Prinzipien dafür sind weder östlich noch westlich, sondern sie sind menschlich. Die westliche Welt hat als Methoden z. B. die Psychotherapie, die Alexandertechnik oder Feldenkrais entwickelt. Doch manche spricht Yoga und die Philosophie des Buddhismus vielleicht mehr an.
Sie geben in Berlin Yogakurse auch für das betriebliche Gesundheitsmanagement. In welchem Maße kommen da Achtsamkeitsübungen vor?
In ganz kurzen Meditationseinheiten am Anfang oder am Ende der Stunde geht es darum, auf den Atem zu achten oder die Stimmung wahrzunehmen, mit der man vom Arbeitsplatz aus auf die Matte oder das Kissen gekommen ist. Den Fokus auf Details zu legen, kultiviert die Achtsamkeit besonders. So gibt es während der Übungen immer wieder Impulsfragen wie: Was geht gerade in meinem Körper ab? Was geht mir durch den Kopf? Wo spüre ich den Atem? Wie verändert sich der Atem?
Yoga ist eine Methode, mit der man sich auch „blinde Flecken“ bewusst machen kann. Dazu ein Beispiel: Viele Teilnehmer haben Rückenschmerzen, die Muskeln sind verspannt und verhärtet. Sie können, wenn sie mit Yoga beginnen, sich weder vorstellen noch spüren, dass der Atem auch im unteren Rücken stattfinden kann. Durch das bewusste Atmen nehmen sie das wahr. Dieses bewusste Wahrnehmen des Körpers trägt auch zur Vorsorge bei.
Fällt es den Teilnehmern leicht, sich auf die Achtsamkeitsübungen einzulassen?
Generell habe ich das Gefühl, dass sich die meisten Teilnehmer gut darauf einlassen können, auch wenn die Zeit klar begrenzt ist. Denn die Yogaeinheiten dauern 45 oder 60 Minuten und sind in die Arbeitszeit „reingeschoben“. Nach dem Yoga gehen die Teilnehmer meist wieder direkt an ihren Arbeitsplatz.
Binden die Teilnehmer die Achtsamkeitsübungen in ihren (beruflichen) Alltag ein?
Viele melden mir zurück, dass sie mit der Zeit immer öfter wahrnehmen, wenn sie z. B. krumm und schief sitzen und dass sie daraufhin ihre Körperhaltung korrigieren. Und dann nehmen sie wahr, das sie länger und leichter schmerzfrei sitzen können.
Können Sie uns eine Achtsamkeitsübung für den Schreibtisch verraten?
Überall und bei jeder Tätigkeit lässt sich folgende Übung praktizieren: Kurz innehalten, 3 Atemzüge nehmen, loslassen und wieder weitermachen. Oder etwas ausführlicher: Hören Sie kurz mit der Tätigkeit auf und halten Sie inne. Nehmen Sie wahr, wo Sie sind. Vielleicht schauen Sie dabei umher. Fühlen Sie dann Ihren Atem oder Ihren Herzschlag. Nehmen Sie das vorherrschende Gefühl wahr (Freude, Anspannung, Gelassenheit, ...) und verbinden Sie sich damit. Dann lassen Sie los und machen wieder mit Ihrer Tätigkeit weiter.
Ist Achtsamkeit nur Trend oder sehen Sie darin etwas Beständiges?
Buddha hat schon vor über 2.500 Jahren die Achtsamkeit gelehrt. Über die Achtsamkeitsübungen ist er zur Erkenntnis gelangt. Tausende von Menschen haben schon Achtsamkeitsübungen praktiziert und sie als gut empfunden. Von daher ist es durchaus etwas Beständiges.
Als Trend ist die Achtsamkeit in letzter Zeit mehr in das Bewusstsein unserer Gesellschaft vorgedrungen und dass das so ist, halte ich für gesund.
Vielen Dank, Herr Alexander.
Das Gespräch führte Bettina Brucker M. A.
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Interessanter Artikel über das Verhältnis von östlich-westlicher Spiritualität in Bezug auf Achtsamkeit hier: http://lebenvertiefen.de/achtsamkeit-nur-etwas-fuer-frauen/
Jan