Dann müsste der Träger der Unfallversicherung beweisen, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt die versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hat. Diese „Beweiserleichterungen“ kommen aber nur dann in Betracht, wenn der Versicherte den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat.
Der Fall: Unfall ungeklärter Ursache am Arbeitsplatz
Die Klägerin ist der zuständige Unfallversicherungsträger, die Beklagte der zuständige Krankenversicherungsträger für die Verletzte. Diese war in der Pfarrkirchengemeinde M. stundenweise als Aushilfsmesnerin beschäftigt, so auch am 5. Mai 2017. Ausweislich der Unfallanzeige vom 9. Mai 2017 wurde die Verletzte am 5. Mai 2017 gegen 8.25 Uhr von der Pfarrsekretärin auf dem Boden sitzend neben dem Sakramentsaltar in der Pfarrkirche M. aufgefunden.
Die Pfarrsekretärin erklärte später gegenüber der Beklagten, es habe von 7.30 Uhr bis 8.00 Uhr eine Gebetsstunde gegeben, an deren Schluss eine Kollekte gesammelt worden sei. Um deren Höhe zu erfragen, habe sie die in der Kirche tätige Verletzte aufsuchen wollen. Sie habe diese dann auf dem Boden sitzend, rechts neben dem rechten, mit einer Stufe versehenen Seitenaltar vorgefunden, die Brille auf dem Kopf. Neben ihr habe ein Eimer (leer) und ein (trockener) Wischmob gestanden, im Übrigen aber weder eine Leiter noch ein Stuhl.
Die Verletzte war bei Bewusstsein, schien jedoch ein wenig verwirrt. Sie konnte nicht aufstehen, es wurde vorsorglich ein Rettungsdienst benachrichtigt, der nach ca. 10 Minuten eintraf. Nach dem Durchgangsarztbericht der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M1 wurden festgestellt: ein traumatisches Subduralhämatom, eine traumatische subarachnoidale Blutung, eine Kalottenfraktur. Es erfolgte eine notfallmäßige operative Versorgung. Am 6. Juli 2017 teilte die Neurochirurgin Dr. W. der Beklagten telefonisch mit, die Gehirnblutung sei zweifelsohne traumatischer Genese, vermutlich durch einen Sturz; eine innere Ursache habe nicht vorgelegen.
Der Unfallversicherungsträger hat die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt, das SG diesen anerkannt. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse - so die BG - die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Unfall sowohl objektiv als auch rechtlich wesentlich verursacht haben. Wenn nicht festzustellen sei, welches Geschehen dem Aufprall unmittelbar vorausgegangen sei, welches also letztlich die Gefahr gewesen sei, die zu dem Sturz geführt habe (Ausrutschen, Stolpern, Schwindelanfall usw.), sei nicht gesichert, dass sich durch den Sturz ein Risiko verwirklicht habe, das sich aus der versicherten Tätigkeit ergeben habe. Entscheidend sei die konkrete wahrnehmbare Verrichtung unmittelbar vor dem Unfallereignis. Wenn nicht feststellbar sei, was zuletzt vor dem Sturz gemacht worden sei, sei eine Arbeitsunfallanerkennung nicht möglich.
LSG: Es kommt in diesem Fall nur auf die Handlungstendenz an
Die von der Klägerin für ihre Auffassung in Anspruch genommene Rechtsprechung ist nach dem Urteil des LSG Hamburg (vom 19.1.2022, Az. L 2 U 45/20) zur Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs. 2 SGB VII ergangen und daher nur bedingt auf Unfälle nach § 8 Abs. 1 SGB VII, die sich infolge einer versicherten Tätigkeit ereignen, übertragbar. In Fällen, in denen ein Versicherter am Arbeitsplatz unter ungeklärten Umständen verunglückt, kommt es auf die Handlungstendenz des Verunglückten an.
Verunglückt der Beschäftigte an einem Ort, an dem er bis zum Unfallzeitpunkt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, spricht alles dafür, dass auch im Unfallzeitpunkt seine Handlungstendenz auf die versicherte Tätigkeit gerichtet war. Dann müsste der Träger der Unfallversicherung beweisen, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt die versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hat. Diese „Beweiserleichterungen“ kommen aber nur dann in Betracht, wenn der Versicherte den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat. Dies ist vorliegend der Fall, denn die Versicherte hat sich an dem Ort aufgehalten, an welchem sie ihre Reinigungstätigkeit verrichten sollte und wo auch die Pfarrsekretärin sie zu Recht vermutete.
Selbst wenn man aber weitergehend forderte, so das LSG weiter, es müsse nach allgemeinen Grundsätzen festgestellt werden können, dass die konkrete Verrichtung, also das objektiv beobachtbare Handeln subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der versicherten Tätigkeit ausgerichtet gewesen sei, so ergebe sich im vorliegenden Fall nichts Anderes. Zwar müsste sich dann die subjektive Handlungstendenz als innere Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln.
Ein solcher innerer Zusammenhang mit den am Unfalltag von der Versicherten ausgeübten Tätigkeiten ergibt sich hier aber daraus, dass die Versicherte zu der Zeit, zu der sie ihre Tätigkeit verrichten sollte, an dem Ort, an dem sie sie verrichten sollte, mit dem Arbeitsmaterial, welches sie für die Verrichtung dieser Tätigkeit benötigte, aufgefunden wurde. Der Seitenaltar, an welchem sich die Versicherte befand, sei zudem mit einer Stufe versehen, an deren Fuß sich die Versicherte bei ihrem Auffinden befand. Letztlich sei es aber nicht entscheidend, ob die Versicherte über diese Stufe gestolpert bzw. sie hinuntergefallen ist oder ob sie anderweitig zu Fall kam. Fest steht zur Überzeugung des LSG, dass die Versicherte sich an diesem Ort in Ausübung versicherter Tätigkeit eine traumatische Schädelverletzung zuzog, ohne dass eine innere Ursache (Herzinfarkt, Schlaganfall) für den Sturz feststellbar wäre.
Praxistipp: Wichtige Argumente für einen häufiger auftretenden Fall
Betrachtet man sich das Arbeitsleben sind solche Fälle sicher nicht selten. Nicht immer befinden sich weitere Beschäftigte an einem Unfallort und sicher nicht weniger häufig kann es vorkommen, dass der Verletzte sich - in der Regel aufgrund des vorangegangen Geschehens - nicht mehr oder nicht mehr konkret daran erinnern kann, was vorgefallen ist. In diesen Fällen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu Lasten des Versicherten abzulehnen, weil er eben nicht beweisen könne, was vorgefallen ist, ist hanebüchen.
Der Übertragung der BSG-Rechtsprechung zum Wegeunfall auf solche Unfälle schiebt hier das LSG Hamburg einen Riegel vor und macht es dem Versicherten deutlich einfacher, einen Arbeitsunfall geltend zu machen. Es kommt nach dieser Rechtsprechung vor allem auf die äußeren Umstände an, aus denen sich eine Handlungstendenz zugunsten einer versicherten Tätigkeit erkennen lässt. Mit anderen Worten: Wird ein Unfallverletzter in seinem Arbeitsumfeld aufgefunden und sprechen die Verletzungen dafür, dass ein versicherter Unfall vorlag, so müsste die BG als Versicherungsträger beweisen können, dass kein Unfall vorgefallen ist, was in der Praxis kaum denkbar ist. Diese Verschiebung der Beweislast ist korrekt und letztlich dem Willen des Gesetzgebers, Arbeitnehmer weitgehend schützen zu wollen, entsprechend.