Matching-Algorithmen vereinfachen die Immobilienvermarktung
Er könne den Tinder-Vergleich nicht mehr hören, meint Dominik Schaetz, Gründer und CEO von GlobalRecom, einer Plattform für diskrete Immobilieninvestments. Ohnehin trifft es das Bild nicht ganz: Parship für Immobilien passt besser. Wie im zwischenmenschlichen Bereich helfen Matching-Algorithmen bei der Immobilienvermarktung, Paare zusammenzubringen – also Anbieter und Interessenten. Und da die Zahl der Marktteilnehmer häufig sehr groß ist, lassen sich die digitalen Tools gut zum Vorsortieren einsetzen. Streuverluste etwa durch Massenbesichtigungen, unnötige Korrespondenz und wenig Erfolg versprechende Termine werden vermieden. Je nach Lösung erschließen sich auch ganz neue Kunden- und Anbieterkreise.
Diskrete Vermarktung über Algorithmen
Bereits jetzt kommen Algorithmen in unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz. So erscheint der Off-Market-Bereich wegen seiner hohen Anforderungen an Anonymität und Diskretion ideal für Deals via Algorithmus.
Die Plattform GlobalRecom ermöglicht ihren B2B-Nutzern, Objekte außerhalb des persönlichen Netzwerks in Deutschland, Österreich und Spanien diskret zu vermarkten. Nachdem die Kunden ihre Suchprofile beziehungsweise Objektdaten auf GlobalRecom erfasst haben, verkuppelt der intelligente Matching-Algorithmus die dazu passenden Gegenstücke innerhalb aller Einträge der registrierten Nutzer.
Suchtreffer werden mit dem prozentualen Matching-Grad angezeigt. Erst wenn beide Deal-Partner die Anfrage bestätigen, werden die Kontaktdaten sichtbar. In den Algorithmus kann jeder Nutzer sein eigenes Social Ranking einfließen lassen, also Präferenzen und Animositäten berücksichtigen. Die Anwendung ist rein auf den B2B-Markt ausgelegt, und die Nutzer werden geprüft, bevor ihr Konto freigeschaltet wird.
GlobalRecom nimmt für die Vermittlung keine Provision, sondern finanziert sich über Lizenzgebühren, die von der Größe des Suchgebiets abhängen. Das Potenzial sei enorm, so Schaetz. Immerhin werden rund 40 Prozent aller Immobilientransaktionen und sogar 60 Prozent im Investmentbereich "Off-Market" abgewickelt – seiner Meinung nach ein riesiges Transaktionsvolumen, das bisher völlig ineffizient bedient worden sei.
Matching-Lösungen häufig im Bereich der Wohnungsmiete
Auch der B2C-Bereich bietet reichlich Potenzial für Matching-Algorithmen. Das Kölner Unternehmen Flowfact wartet hier mit dem "Interaktiven Exposé für Wohnungskäufe" auf. Die Software zeichnet das Nutzerverhalten von Interessenten auf, während sie das Exposé betrachten, etwa mit welchen Bereichen sie sich besonders intensiv befassen. Wenn Fragen aufkommen, können Nutzer diese direkt aus dem Exposé heraus stellen. Der Anbieter wiederum kann entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der potenzielle Käufer welche Daten einsehen kann. So kann er zum Beispiel bestimmte Informationen zurückhalten, bis der Kaufinteressent die Schufa-Auskunft akzeptiert hat.
Das Verhalten des Interessenten innerhalb des Exposés wird in einem Profil zusammengefasst, was eine Grundlage für ein weiterführendes Gespräch sein kann. Der Anbieter hat außerdem die Möglichkeit, direkt aus dem Exposé heraus weitere passende Objekte anzubieten. Immobilienvermarktern soll die Software ermöglichen, sich nur mit denjenigen Kunden beschäftigen zu müssen, die ernsthaftes Interesse bekunden.
Die meisten Matching-Lösungen finden sich im Bereich der Wohnungsmiete. Das 2015 gegründete Berliner Startup Housy kehrt den bisher bekannten Prozess der Wohnungsvermittlung um: Über das Portal sucht nicht der Mieter die richtige Wohnung, sondern der Vermieter den passenden Mieter. Wohnungsinteressenten erhalten passende Angebote auf Basis ihrer Wunschkriterien per Matching-Tool direkt vom Vermieter. Der Algorithmus gleicht die Anforderungen des Vermieters und die Kriterien des Wohnungssuchenden miteinander ab. Gibt es ein Match, können beide Parteien miteinander in Kontakt treten. Auf diese Weise erhalten Vermieter eine Vorauswahl geeigneter Bewerber und können Exposés gezielt an potenzielle Wohnungssuchende versenden. Massenbesichtigungen und eine Flut von Bewerbungsunterlagen sollen so vermieden werden.
Der Vorgang sei deutlich effizienter als beim klassischen Anzeigengeschäft. Finanziert wird Housy mithilfe eines Abo-Modells, bei dem der Vermieter die Kosten trägt. Housy reagiert damit auf den Marktwandel durch das Bestellerprinzip bei der Maklercourtage. Durch die Zusammenarbeit mit großen privaten und kommunalen Bestandshaltern hatte Housy Ende letzten Jahres Zugriff auf mehr als 250.000 Wohnungen in Berlin und Brandenburg. Ziel ist es, sich auch in weiteren Großstädten wie Hamburg, München und Köln zu etablieren.
Nächster Schritt: voll integrierte und auf künstlicher Intelligenz basierende Lösungen
Schon sehr früh hat das 2014 gegründete PropTech Immomio eine Vermittlung über Matching-Algorithmen angeboten. Ein Interessentenpool wird mit den Faktoren durchsucht, die für die Immomio-Kunden – Eigentümer, Makler, Verwalter – zentral sind. Laut Mitgründer Nicolas Jacobi geht es dabei um Faktoren, die man nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erfragen darf, also etwa Haushaltsgröße, Haushaltseinkommen, Beschäftigungsart oder ob Haustiere vorhanden sind. Nicht erlaubt sind Fragen nach Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung und Ähnlichem, die zu Diskriminierung führen können.
Immomio will auch mit Datenschutz punkten und hat dafür kürzlich ein Prüfsiegel vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen erhalten. Das PropTech sei die einzige Plattform, bei der die Interessenten die Kontrolle über ihre Daten behalten, indem sie sie einsehen und jederzeit löschen könnten, sagt Jacobi. Er hält den heutigen Datenschutzstandard bei den üblichen Vermietungsprozessen über Plattformen wie Immoscout24 für katastrophal. Hier laufe der Datenaustausch völlig ungeschützt über E-Mail, auch von hochsensiblen Daten wie der Schufa-Auskunft. Sein Unternehmen will den Datenaustausch über E-Mail komplett vermeiden und auf der eigenen geschlossenen Plattform sicher gestalten. Für die Zukunft sei etwa eine Schnittstelle mit der Schufa geplant.
Künstliche Intelligenz bringt das Software-Haus Fio Systems AG ins Spiel. Das Matching-Tool für Makler und Wohnungsunternehmen soll bis Ende 2019 am Markt sein. Vorstand Nicolas Schulmann hält sich in der laufenden Entwicklungsphase noch bedeckt, kündigt aber eine voll integrierte KI-basierte Lösung für Matching-Prozesse an. Für Schulmann ist dies der nächste Entwicklungsschritt nach der Nutzung von Big Data. Eingebunden werden soll dabei eine Bedürfnisanalyse, die auch weiche Faktoren erfasst, etwa durch Kinder entstehende Notwendigkeiten.
Beim Wohnungskonzern Vonovia könnte dies Teil einer längerfristig angelegten Digitalisierungsstrategie sein. Bewusst gegen die Nutzung von Algorithmen entscheidet sich die SAGA Unternehmensgruppe, einer der größten deutschen Wohnungsvermieter. Pressesprecher Gunnar Gläser erklärt: „In die Entscheidung zur Vermietung fließen immer viele verschiedene Aspekte mit ein. Neben wichtigen persönlichen Gründen zählen dazu beispielsweise die sozialen Belange des Kunden, eine Stabilisierung der Nachbarschaftsstrukturen und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit.“
Nachteil: was nicht genau passt, wird aussortiert
Der große Vorteil der Matching-Algorithmen liegt in einer viel zielgerichteteren Kommunikation und damit Zeit- und Kostenersparnis. Es besteht aber die Gefahr einer Zementierung des Status quo. Möglichkeiten, die nicht genau den Suchkriterien entsprechen, aber trotzdem interessant sein könnten, werden nicht wahrgenommen. Bei der Vermittlung von Wohnimmobilien besteht die Gefahr von Diskriminierung, etwa nach ethnischer Herkunft, Geschlecht, gegenwärtiger finanzieller Ausstattung oder ausgeübtem Beruf.
Meike Zehlike, Informatikerin an der Humboldt-Universität Berlin, forscht zum Thema Fairness und Diskriminierung in Suchalgorithmen. Sie fordert gründliche Testläufe mit repräsentativen
Datensätzen oder den Einsatz von Fairness-Tools, damit Algorithmen keine Stereotypen mitlernen und sogar noch verstärken. Werden diese Instrumente eingesetzt, hätten Algorithmen das Potenzial, Diskriminierung sogar zu umgehen. Dem schließt sich der Ökonom Prof. Dr. Gert G. Wagner, Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, an und gibt zu bedenken:
„Algorithmen sind leichter zu überprüfen als private Ansichten.“ Prof. Dr. Gert G. Wagner, Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
Dieser Artikel erschien im Magazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 06/2019.
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