Sondereigentümer kann weiterhin gegen Störungen des Sondereigentums klagen
Hintergrund: Streit über Ersatz für verschandelten Blick
Die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft in Hamburg streiten über Schadensersatz.
Die Teilungserklärung aus dem Jahr 1973 sieht 10 Sondereigentumseinheiten vor: Neun Einheiten (Nr. 1 bis 9) in einem Mehrfamilienhaus und eine Einheit (Nr. 10) als Einzelhaus mit näher festgelegten Eigenschaften. Die rechtliche Gestaltung als Wohnungseigentum wurde seinerzeit gewählt, weil die zuständige Behörde eine Teilung des Grundstücks nicht genehmigt hatte.
Der Bauträger errichtete das Mehrfamilienhaus und veräußerte die Einheiten Nr. 1 bis 9. Die Einheit Nr. 10 wurde zunächst nicht errichtet. Erst im Jahr 2012 baute der nunmehrige Eigentümer der Einheit Nr. 10 ein Einzelhaus.
Eine Wohnungseigentümerin* aus dem Mehrfamilienhaus meint, das Einzelhaus entspreche nicht den Vorgaben der Teilungserklärung und beeinträchtige den Ausblick aus ihrer Wohnung auf die Elbe. Der Verkehrswert der Wohnung sei dadurch um 55.000 Euro vermindert. Sie verlangt diesen Betrag vom Eigentümer der Einheit Nr. 10 als Schadensersatz. Amts- und Landgericht haben die Klage als unbegründet abgewiesen.
Entscheidung: Sondereigentümer kann selbst klagen, aber nicht auf Geld
Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der Maßgabe, dass die Klage bereits unzulässig ist.
Die Wohnungseigentümerin ist im Hinblick auf Zahlungsansprüche, die aus einer planwidrigen Errichtung des Einzelhauses hergeleitet werden, nicht prozessführungsbefugt. Nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könnte solche Rechte ausüben, unabhängig davon, ob diese auf eine Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums oder des Sondereigentums gestützt werden.
Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums
Nach dem mit der WEG-Reform zum 1.12.2020 eingeführten § 9a Abs. 2 WEG übt (allein) die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte aus. Dazu gehören insbesondere Ansprüche wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums und daran anknüpfende Sekundäransprüche, wie sie hier in Rede stehen.
Zwar hat der BGH kürzlich entschieden, dass bei einem schon vor Inkrafttreten der WEG-Reform eingeleiteten Verfahren eine bestehende Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Wohnungseigentümers nach Inkrafttreten der Reform fortbestehen kann. Das kommt hier aber nicht in Betracht, weil die Eigentümerin auch schon vor der WEG-Reform für den geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht prozessführungsbefugt war. Für Schadensersatzansprüche wegen der Beeinträchtigung von Gemeinschaftseigentum bestand eine sogenannte geborene Ausübungsbefugnis des Verbandes gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG alter Fassung, das heißt, von vornherein konnte nur der Verband die Ansprüche geltend machen. Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche hingegen konnte eine Gemeinschaft nur durchsetzen, wenn sie diese durch Mehrheitsbeschluss an sich gezogen hatte (gekorene Ausübungsbefugnis).
Für den Fall, dass Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche und auf Naturalrestitution gerichtete Schadensersatzansprüche gleichermaßen bestehen, hat der BGH ausnahmsweise auch hinsichtlich der Schadensersatzansprüche nur eine gekorene Ausübungsbefugnis angenommen. Da der Schadensersatzanspruch hier aber nicht auf eine Störungsbeseitigung, sondern einen finanziellen Ausgleich gerichtet war, liegt dieser Ausnahmefall nicht vor.
Beeinträchtigung des Sondereigentums
Auch aus einer Beeinträchtigung des Sondereigentums kann die Wohnungseigentümerin keine Prozessführungsbefugnis herleiten.
Allerdings kann ein Wohnungseigentümer insoweit prozessführungsbefugt sein, als er seine Klage auf eine Störung im räumlichen Bereich des Sondereigentums stützt.
Vor der WEG-Reform konnten einzelne Wohnungseigentümer solche Ansprüche selbst geltend machen; die Gemeinschaft konnte sie auch nicht durch Beschluss an sich ziehen.
Seit der WEG-Reform kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche gemäß § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG, die auf die Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums gerichtet sind, weiterhin auch dann selbst geltend machen, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum von den Störungen betroffen ist. Die oben genannte alleinige Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft gemäß § 9a Abs. 2 WEG bezieht sich auf die Abwehr von Störungen des Gemeinschaftseigentums.
Daneben kann ein Wohnungseigentümer Ausgleich in Geld verlangen, wenn eine unzumutbare Einwirkung nicht abgewehrt werden kann, sondern geduldet werden muss (§ 14 Abs. 3 WEG). Um einen solchen Ausgleichsanspruch geht es hier aber nicht, sondern die Eigentümerin nimmt die Störung bewusst hin und verlangt daher Schadensersatz statt der Beseitigung gemäß den §§ 280, 281 BGB.
Im Hinblick auf einen solchen Schadensersatzanspruch ist die Eigentümerin nicht prozessführungsbefugt, denn es bedürfte jedenfalls der Koordinierung durch eine gemeinschaftliche Willensbildung. Anderenfalls bestünde für den Störer die Gefahr, unterschiedlichen Anspruchszielen des Verbands einerseits und einzelner Wohnungseigentümer andererseits ausgesetzt zu sein. Das Recht, von der Störungsbeseitigung abzusehen und stattdessen Schadensersatz zu verlangen, kann nur durch den Verband ausgeübt werden. Somit beschränkt sich das Recht eines Sondereigentümers, Störungen abzuwehren, die sowohl den räumlichen Bereich seines Sondereigentums als auch das Gemeinschaftseigentum beeinträchtigen, auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Nur bei unzumutbaren, aber duldungspflichtigen Einwirkungen kann ein einzelner Wohnungseigentümer Ausgleich in Geld verlangen.
(BGH, Urteil v. 11.6.2021, V ZR 41/19)
*Hinweis: Im Original-Fall hat der Nießbraucher eines Wohnungseigentums in Prozessstandschaft für die Eigentümerin geklagt. Der Übersichtlichkeit halber wurde der Sachverhalt insoweit vereinfacht.
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