BGH: Geborene vs. gekorene Ausübungsbefugnis

Für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des Gemeinschaftseigentums kann in Ausnahmefällen statt einer geborenen nur eine gekorene Ausübungsbefugnis der WEG bestehen. Eine Vergemeinschaftung von Individualansprüchen darf nicht allein dazu dienen, einzelne Wohnungseigentümer an der Durchsetzung ihrer Rechte zu hindern.

Hintergrund: WEG beschließt Vergemeinschaftung, aber klagt nicht selbst

Mehrere Wohnungseigentümer verlangen von einem anderen Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft den Rückbau von Dachfenstern. Der beklagte Eigentümer hatte im Bereich seines Sondereigentums eigenmächtig fünf Dachflächenfenster einbauen lassen. Der Versuch, dies von den übrigen Eigentümern nachträglich genehmigen zu lassen, schlug fehl. Daraufhin erhoben mehrere Wohnungseigentümer im Jahr 2015 Klage auf Beseitigung der Dachflächenfenster und Wiederherstellung des vorherigen Zustands.

Im Juli 2017 wurde in einer Eigentümerversammlung folgender Beschluss gefasst:

"Die Gemeinschaft zieht die Geltendmachung der wegen des Einbaus von fünf Dachflächenfenstern bestehenden Rückbauansprüche der übrigen Eigentümer gegen ... an sich. Unberührt bleibt die Geltendmachung bestehender Schadensersatzansprüche durch die Gemeinschaft wegen des Einbaus der Fenster." 

Eine auf Rückbau gerichtete Klage erhob die Gemeinschaft nach diesem Beschluss allerdings nicht.

Dem BGH stellte sich im Zuge der Entscheidung über die Klage der Eigentümer die Frage, ob die Gemeinschaft oder die einzelnen Wohnungseigentümer zur Durchsetzung der Rückbauansprüche berufen sind.

Entscheidung: Gleichlaufende Ausübung bei Anspruchskonkurrenz

Wer zur Durchsetzung der Rückbauansprüche befugt ist, hängt davon ab, ob der im Juli 2017 gefasste Vergemeinschaftungsbeschluss wirksam ist. Wenn dies der Fall wäre, wäre die Durchsetzung allein Sache der Gemeinschaft. Ansonsten wären nach wie vor die einzelnen Eigentümer prozessführungsbefugt.

Grundsatz: Unterschiedliche Ausübungsbefugnis für Schadensersatz und Beseitigung

§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG unterscheidet zwischen gemeinschaftsbezogenen Ansprüchen der Wohnungseigentümer, die von vornherein nur die Gemeinschaft ausüben kann (geborene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft) und Ansprüchen der Eigentümer, die die Gemeinschaft nur dann ausüben kann, wenn sie dies zuvor per Beschluss an sich gezogen hat (gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft). Diese Vergemeinschaftung eines Anspruchs schließt die individuelle Rechtsverfolgung durch einzelne Wohnungseigentümer aus.

Eine geborene Ausübungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG für Ansprüche aus dem Miteigentum an dem Grundstück besteht dann, wenn diese auf Schadensersatz gerichtet sind. Dies beruht auf der Überlegung, dass es einer Wahl zwischen Naturalrestitution und Geldersatz bedarf und die Verfolgung von Zahlungsansprüchen und die Entgegennahme von Zahlungen sinnvollerweise gebündelt erfolgen. Deshalb können Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur durch die Gemeinschaft geltend gemacht werden. 

Für Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche wegen Störungen des Gemeinschaftseigentums gemäß § 1004 Abs. 1 BGB oder § 15 Abs. 3 WEG besteht hingegen nur eine gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft. Da bauliche Veränderungen oder ein rechtswidriger Gebrauch des Gemeinschaftseigentums häufig nicht alle Wohnungseigentümer gleichermaßen betreffen und einzelnen Eigentümern die Rechtsverfolgung nicht erschwert werden soll, ist es nicht erforderlich und wünschenswert, von vornherein den Verband mit der Durchsetzung solcher Ansprüche und dem damit verbundenen Kostenrisiko zu belasten. Diese Ansprüche kann die Gemeinschaft daher nur durchsetzen, wenn sie sie durch Mehrheitsbeschluss an sich gezogen hat.

Sonderfall Anspruchskonkurrenz

Treffen jedoch - wie hier - Schadensersatzansprüche, die auf die Verletzung des Gemeinschaftseigentums gestützt werden, mit Beseitigungsansprüchen der Wohnungseigentümer aus dem Miteigentum am Grundstück gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zusammen, besteht für die Schadensersatzansprüche ausnahmsweise keine geborene, sondern nur eine gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft. Dann können einzelne Eigentümer auch Schadensersatzansprüche geltend machen, solange die Gemeinschaft diese nicht an sich gezogen hat.

In der Vergangenheit hat der BGH in solchen Fällen der Anspruchskonkurrenz eine geborene Ausübungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft für Schadensersatzansprüche angenommen.

Diese Ansicht gibt er nun ausdrücklich auf. Eine unterschiedliche Behandlung der konkurrierenden Ansprüche hätte zur Folge, dass einzelne Eigentümer wegen der Verletzung des Gemeinschaftseigentums Beseitigung und Wiederherstellung des vorherigen Zustands verlangen könnten und gleichzeitig die Gemeinschaft Ersatz des Substanzschadens verlangen könnte und hierbei die Wahl zwischen Naturalrestitution und Geldersatz hätte. Betroffen ist aber derselbe Streitgegenstand. Deshalb kann die Rechtsverfolgung nur entweder gebündelt durch den Verband oder durch die einzelnen Wohnungseigentümer erfolgen.

Außerdem könnten einzelne Wohnungseigentümer von sich aus keine vollständige Beseitigung einer Beeinträchtigung erreichen, sondern nur eine Beseitigung der Maßnahme, aber keine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Sie wären dann darauf angewiesen, gegebenenfalls mit gerichtlicher Hilfe, einen Mehrheitsbeschluss über die Durchsetzung des Anspruchs auf Wiederherstellung durch die Gemeinschaft herbeizuführen.

In wertender Betrachtung muss die Prozessführungsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers daher den Beseitigungsanspruch insgesamt umfassen, und zwar auch, soweit dieser die anschließende Wiederherstellung des vorherigen Zustands umfasst. Infolgedessen besteht für die konkurrierenden Schadensersatzansprüche ausnahmsweise nur eine gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft. Im vorliegenden Fall kommt es daher darauf an, ob die Gemeinschaft die Rückbauansprüche wirksam an sich gezogen hat.

Vergemeinschaftung darf Rechtsverfolgung nicht gezielt verhindern

Hier hat die Gemeinschaft zwar beschlossen, die Ansprüche auf Rückbau der Dachflächenfenster an sich zu ziehen, sodass eine alleinige Zuständigkeit der Gemeinschaft begründet wäre. Der Vergemeinschaftungsbeschluss könnte allerdings rechtsmissbräuchlich und damit nichtig sein. Das kommt etwa dann in Betracht, wenn ein einzelner Wohnungseigentümer seinen Individualanspruch bereits gerichtlich geltend gemacht hat, eine Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht beabsichtigt ist und die Beschlussfassung allein dazu dienen soll, den laufenden Individualprozess zu beenden. Das widerspräche dem Zweck der Vergemeinschaftung, die die Rechtsverfolgung nicht verhindern, sondern die Möglichkeit zu einer gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung eröffnen soll.

Ob die Wohnungseigentümer die Vergemeinschaftung hier gezielt eingesetzt haben, um der bereits erhobenen Klage der einzelnen Wohnungseigentümer den Boden zu entziehen, muss nun das Landgericht klären, an das der BGH die Sache zurückverwiesen hat.

(BGH, Urteil v. 26.10.2018, V ZR 328/17)

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