"Länder müssen Förderprogramme an die Situation anpassen"


75 Jahre DW Die Wohnungswirtschaft – Interview Axel Tausendpfund

Die Rahmenbedingungen für die Wohnungswirtschaft sind schwierig. Dr. Axel Tausendpfund, Vorstand des Verbands der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft, erklärt im Interview, was die Mitgliedsunternehmen in seinem Gebiet umtreibt. Auch die Politik steht in der Verantwortung.

Der Verband der südwestdeutschen Wohnungswirtschaft e. V. (VdW Südwest) ist in Frankfurt am Main beheimatet und für Hessen und das südliche Rheinland-Pfalz verantwortlich. Zirka 200 Wohnungsunternehmen sind dort organisiert.

Die Herausforderungen für die soziale Wohnungswirtschaft sind derzeit riesig. Welche besonderen Fragestellungen beschäftigt die Unternehmen Ihres Verbands im Speziellen?

Axel Tausendpfund: Die Unternehmen der sozial orientierten Wohnungswirtschaft sehen sich deutschlandweit den schwierigsten Rahmenbedingungen seit Jahrzehnten gegenüber. Nicht ohne Grund sprechen wir von dem "perfekten Sturm", in dem sich unsere Branche befindet. Das heißt: Zeitgleich kommen viele Negativereignisse zusammen, die die Herausforderung für die Unternehmen immer größer werden lässt, bezahlbaren und klimafreundlichen Wohnraum zu schaffen. Und das in einer Zeit, in der der Bedarf nicht zuletzt durch den Zuzug zahlreicher Flüchtender aus der Ukraine größer denn je ist. Lange haben wir betont, dass die Unternehmen einen schwierigen Spagat bewältigen müssen, um gleichzeitig sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortungsvoll zu agieren. Mittlerweile müssen wir es die Quadratur des Kreises nennen. Damit sie auch in Zukunft faire Mieten anbieten können, muss die Politik Verantwortung übernehmen und mehr unterstützen.

Nach Angaben des hessischen Statistischen Landesamts ist die Zahl der genehmigten Wohnungen in den vergangenen Monaten deutlich eingebrochen. Sie haben in Pressemitteilungen mehrfach darauf Bezug genommen und vor den gravierenden Folgen für die künftigen Fertigstellungszahlen gewarnt. Kann mit Förderprogrammen die Kehrtwende gelingen?

Gefördert werden muss zum einen natürlich der Neubau, um mehr Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Wichtig ist aber, dass die energetische Modernisierung ebenfalls gefördert wird. Sonst sind die Klimaschutzziele im Gebäudesektor nicht zu erreichen. Angesichts der umfangreichen Vorgaben seitens der Politik für effiziente Gebäude lässt sich vereinfacht sagen: Was gefordert wird, muss auch gefördert werden. Dabei muss es sich in der Ausgestaltung um Zuschüsse handeln, damit die Unternehmen sich nicht langfristig verschulden. Der Bund ist daher in der Pflicht, seine vor rund einem Jahr abrupt eingestellte BEG-Förderung mit verlässlichen und guten Konditionen neu zu etablieren, und die Länder müssen ihre Förderprogramme ebenfalls an die aktuelle Situation anpassen. In unserem Verbandsgebiet ist das in Rheinland-Pfalz bereits geschehen, in Hessen besteht noch Luft nach oben. Denn um den gesellschaftlichen Frieden zu sichern, muss es ausreichend bezahlbaren Wohnraum geben.

Sie haben 2021 die "Wissenschaftliche Plausibilitätsprüfung und Studie zur Herleitung der öffentlichen Förderungslücke zur Erreichung der Klimaziele auf Landesebene (...)" veröffentlicht, die in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg entstand. Was war das Ziel – und sind die Ergebnisse trotz der gestiegenen Energiekosten weiterhin anwendbar?

Mit der Studie haben wir erstmalig beziffert, welche Fördergelder benötigt werden, um die Klimaschutzziele im Gebäudebestand zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass die präsentierten Dimensionen in dieser Höhe nicht erwartet wurden. Jetzt könnte man sagen: Die Zahlen sind überholt, denn eine energetische Modernisierung rechnet sich künftig schneller, weil ja aufgrund der gestiegenen Energiekosten mit einem besseren Effizienzstandard auch mehr Kosten eingespart werden. Da aber die Bau- und Materialkosten weiter gestiegen sind, muss auch für die Modernisierung mehr bezahlt werden. Insgesamt ist also davon auszugehen, dass die Förderlücke seit der Studienveröffentlichung noch größer geworden ist und eher mehr Geld benötigt wird, um die Ziele zu erreichen.

Das IREBS Institut für Immobilienwirtschaft war bei der Studie Partner, auch mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen pflegen Sie einen engen Kontakt. Wie wichtig ist der wissenschaftliche Austausch? Und gelingt so vielleicht sogar der Zugang zum akademischen Nachwuchs, der so dringend benötigt wird?

Durch den Know-how-Transfer können wir unsere Positionen und Argumente in der politischen Interessenvertretung fundiert mit Zahlen und Fakten hinterlegen. Wir wollen als seriöser Ansprechpartner und als Experten der Wohnungswirtschaft wahrgenommen werden – und das funktioniert nur, wenn wir mit wissenschaftlichen Wahrheiten arbeiten. Neben dem IREBS pflegen wir unter anderem auch einen engen Kontakt zum Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ) und dem Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) in Bochum. Ein Ziel der Kooperationen ist, die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in der Wohnungswirtschaft auszubauen, um den Nachwuchs für unsere Branche zu begeistern und Fachkräfte zu gewinnen. Das gleiche wollen wir auch mit der Azubi- und der Arbeitgeberkampagne unseres Dachverbands GdW erreichen.

Im Jahr 2023 sind Wahlen in Hessen –  welche Themen der sozialen Wohnungswirtschaft wurden von den Parteien in die Kampagnen aufgenommen?

Wir haben bereits im März ein Positionspapier zur Landtagswahl veröffentlicht. Es geht darin um vier Kernpunkte: mehr bezahlbare Wohnungen, mehr schnelles Bauen, mehr geförderten Klimaschutz und mehr Wohnen im ganzen Land. Einige unserer Forderungen haben die Parteien in den Wahlprogrammen aufgegriffen. Klar ist, die Politik wird es sich nicht leisten können, das Thema bezahlbares Wohnen stiefmütterlich zu behandeln. Dafür hat es eine viel zu große gesellschaftliche Relevanz – und leider auch Brisanz. Egal, wer in Hessen nach den Wahlen das Bundesland regieren wird, wir werden auf die Parteien zugehen und unsere Expertise in die politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse einbringen. Als Dialogpartner bieten wir an, gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Die aktuellen Herausforderungen und Ausblicke sind das eine – zu einem Jubiläum, die DW wird dieses Jahr 75, blickt man aber auch gern zurück: Welches waren die aus Verbandssicht wichtigsten historischen, wohnungswirtschaftlichen Ereignisse, die vielleicht bis heute nachklingen?

Die Wurzeln unseres Verbandes reichen zurück bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Bei solch einer langen Historie ist es nicht ganz leicht, die wichtigsten Ereignisse herauszuheben, zumal es immer wieder organisationsrechtliche Veränderungen gab, bedingt durch die jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben. Wir sind jedenfalls sehr froh, dass wir seit 2003, also ziemlich genau seit zwanzig Jahren, den Interessenvertretungs- und den Prüfungsverband unter einem Dach vereint haben und einheitlich als VdW Südwest am Markt agieren. Unabhängig von dieser strukturellen Ausrichtung ist als wichtiges Ereignis der Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit zu nennen. Damit wurde ein starres staatliches System mit Preisfestlegungen abgeschafft, das mit dem tatsächlichen Preisgefüge nichts zu tun hatte. Wir brauchen daher auch keine Wiedereinführung dieser Gemeinnützigkeit, sondern eine bessere Unterstützung der bereits jetzt sozial handelnden Wohnungswirtschaft.

Und zum Schluss dürfen Sie noch verraten, was Sie der DW wünschen und was Sie dort gerne lesen würden!

Wir gratulieren der DW herzlich zum Jubiläum und wünschen weiterhin ein gutes Gespür für spannende Themen und relevante Nachrichten – hoffentlich mehr gute als schlechte. Was der Kicker für Fußballfreunde ist, ist die DW für die Wohnungswirtschaft: eine Pflichtlektüre, die Spaß macht! Und vielleicht dürfen wir ja irgendwann sogar diese Schlagzeile lesen: "Grund zum Jubel: Bezahlbarer und klimagerechter Wohnraum für alle Menschen in Deutschland".

Auszüge aus diesem Interview finden sich auch in der Print-Ausgabe der DW Die Wohnungswirtschaft 02/2023.

Schlagworte zum Thema:  Hessen, Rheinland-Pfalz, Wohnungswirtschaft