DW-Expertengespräch: Weniger Technik, mehr Klimaschutz
"Wenn wir über den Wohnungsbau in der Gegenwart und der Zukunft diskutieren, dann geht es im Kern um drei Themen: den Klimaschutz, das bezahlbare Bauen und Wohnen sowie die Nachhaltigkeit in Bezug auf die Lebenszykluskosten", sagte Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, bei der Eröffnung des Expertengesprächs des Fachmagazins "DW Die Wohnungswirtschaft" in Berlin. Zirka 1,2 Millionen Wohnungen wurden seit 2015 in Deutschland neu gebaut – energieeffizienter als ältere Gebäude – und Milliarden von Euro in Klimaschutzmaßnahmen im Bestand investiert. Und doch hat sich der Energieverbrauch nicht reduziert.
Axel Gedaschko: Haben wir also Geld zum Fenster rausgeworfen? Oder haben wir etwas Wichtiges vergessen?
Timo Leukefeld: Tatsächlich haben die berechneten Energieverbrauchswerte mit dem realen Verbrauch nichts zu tun. Theoretisch rechnet man mit einem Haus, in dem sich alle Mieter DIN-gerecht verhalten und die Technik im besten Wirkungsgrad läuft. Das alles findet in den real gebauten Gebäuden aber nicht statt. Deshalb weichen die realen Werte von den theoretischen ab.
Thomas Auer: Seit mindestens fünf Jahren sehen wir trotz Energieeinsparverordnung keine Reduktion des Energieverbrauchs mehr. Und in allen Geschosswohnungsbauten, in denen ein Monitoring durchgeführt wird, stellen sich die prognostizierten Einsparungen häufig nicht ein. Ein Grund ist auch der sogenannte Rebound-Effekt: Der Nutzer stellt sich eine Temperatur von 24 °C ein oder lässt die Fenster ständig offen. Wenn der Mieter aber die Fenster aufmacht, braucht man keine maschinelle Lüftung einzubauen.
Gerechnet wird ja meistens mit einem Referenzhaus, das mit 20 °C beheizt wird. Viele Menschen wollen es im Wohnzimmer aber wärmer haben. Stört der Nutzer? Oder: Wie kann man Mieter dabei unterstützen, sich so zu verhalten, dass die berechnete Energieeinsparung tatsächlich eintritt?
Leukefeld: Es gab ja schon verschiedene Versuche, das Mieterverhalten zu beeinflussen. Die einen haben Energiekontingente verteilt, die anderen haben Monitore installiert, auf denen die Mieter den Energieverbrauch verfolgen konnten. Das kann aber zu Stress und Sozialneid führen. Außerdem zeigt unsere Erfahrung, dass sich der Energieverbrauch in einem Gebäude mit 20 Wohneinheiten fast immer ausgleicht: Die einen Mietparteien verbrauchen deutlich mehr Energie, die anderen erheblich weniger. Wenn man sich dann noch den ganzen Stress mit Messdiensten und Rechtsstreitigkeiten wegen angeblich falscher Betriebskostenabrechnungen erspart, spricht viel für das Pauschalmietenmodell.
Auer: Es stellt sich die Frage, was komfortabel ist und wie wir Komfort herstellen. Muss das ganze Haus gedämmt sein? Brauchen wir wirklich eine Passivhaushülle? Ich wohne selbst in einem Altbau von 1906 mit dicken Ziegelwänden und 3,50 Meter hohen Räumen. Im Winter haben wir 20 °C, aber nur im Wohnzimmer. Unser Heizenergieverbrauch liegt bei der Hälfte dessen, womit ich für das Haus rechnen würde.
Leukefeld: Ein modernes, nach EnEV gebautes Einfamilienhaus hat spezifisch keinen niedrigeren Energieverbrauch als ein vor 100 Jahren gebautes Bauernhaus. Warum? Weil sich die Bewohner des Bauernhauses in eine beheizte Kernzone zurückgezogen haben. Alle saßen in der Küche um den Kachelofen herum. Im Neubau mit einer guten Hülle können Sie hingegen gar keine großen Temperaturunterschiede erreichen.
Fördermittel sind manchmal kontraproduktiv
Heute ist es so, dass gewisse technische Elemente massiv gefördert werden. Aber wenn sie nach 20 Jahren ersetzt werden müssen, werden sie nicht mehr gefördert. Müsste man da etwas verändern?
Auer: Ich bin nicht der Ansicht, dass von der direkten Förderung sehr viel in Technologie fließt. Es ist zwar extrem schwer, den KfW40-Standard ohne maschinelle Lüftung zu erreichen. Aber technisch ist es kein Problem, lediglich den EnEV-Standard einzuhalten.
Leukefeld: Wir orientieren uns nicht mehr an Fördermitteln. Manchmal ist die Förderung sogar störend, was die Rendite unserer Auftraggeber betrifft.
Oliver Rühr: Wir von der Ziegelindustrie können durch gute Beispiele belegen, wie sich das Ziel eines nachhaltigen, kostengünstigen Wohnungsbaus erreichen lässt. Wir sind deshalb nicht nur als Baustoffproduzent unterwegs, sondern binden auch Wissenschaftler und andere Experten mit ein, um herauszufinden, wie wir unsere Produkte in Einklang bringen können mit einer Entwicklung, die am Ende gute Lösungen bringt.
Clemens Kuhlemann: Ich fände es zum Beispiel gut, wenn der GdW in einem internen Bereich eine Übersicht über Best-Practice-Beispiele zusammenstellen würde. Dann könnten die Verantwortlichen der Wohnungsunternehmen sehen, an welchen Stellen die Kollegen gestolpert sind, und müssten nicht noch einmal dieselben Erfahrungen machen.
Wo Ersatzneubau Sinn macht
Wie schaffen wir es, den Bestand von 42 Millionen Wohnungen klimaneutral zu machen?
Auer: Auf diese Frage gibt es nicht die eine richtige Antwort. Das sollte auch die Politik verstehen. Die Politik liebt das Passivhaus, weil es eine scheinbar einfache Antwort gibt. Aber nicht jede Antwort passt überall. Eines ist klar: Um den Bestand klimaneutral zu machen, braucht es sehr viel Geld.
Leukefeld: Der Bestand wird erst mal ein Sorgenkind bleiben. Das zeigt die Sanierungsquote von nur 0,9 Prozent pro Jahr. Der Grund: die lange Amortisationszeit der Sanierungsmaßnahmen. Dass dann nur die wenigsten Investoren sanieren, ist verständlich. Wir brauchen im Bestand noch dringender als im Neubau neue Geschäftsmodelle, die zu einer höheren Wirtschaftlichkeit führen.
Kuhlemann: Voriges Jahr haben wir ein GdW-Mitgliedsunternehmen in Travemünde besucht, das drei Blöcke aus den 1950er Jahren abgerissen und an ihrer Stelle einen Ersatzneubau realisiert hat. Das ist zum Beispiel ein Mittel, um die ökologische und die Wohnqualität zu erhöhen.
Auer: Aber Ersatzneubau kann nicht die Lösung sein. Wir können doch nicht halb Berlin abreißen!
Kuhlemann: Dem stimme ich natürlich zu, das gilt weder für Berlin noch Travemünde … Aber an bestimmten Stellen ist Ersatzneubau schon die optimale Lösung.
Wenn wir die CO2-Bilanz untersuchen, müssen wir auch die graue Energie berücksichtigen, die insgesamt in Bau, Abriss und Bewirtschaftung des Gebäudes steckt. Unter diesem Aspekt ist es das Schlimmste, ein neues Haus zu bauen.
Auer: Die EnEV bietet die Möglichkeit, die graue Energie zu berücksichtigen. Sie war nie als Werkzeug gedacht, um Energieoptimierung zu betreiben, sondern um Gebäudestandards vergleichbar zu machen. Dabei lässt sie zu, dass man CO2 als Gutschrift mit einpreist. Wir gehen ja normalerweise von einem Lebenszyklus von 50 Jahren aus. Ein Gebäude, das 50 Jahre steht, ist abgeschrieben und wird mit CO2 null gerechnet. Das sollte die EnEV als Gutschrift berücksichtigen.
Rühr: Wir sollten über einen neuen Standard jenseits der KfW-Vorgaben sprechen. Wir stellen immer wieder fest, dass innovative Lösungen nicht in das vorhandene System passen. Ähnlich ist es bei der Sanierung. Ein Gebäude, das um 1900 gebaut worden ist, hat schon alles, was wir heute im Neubau anstreben: Robustheit, Massivität, Speicherfähigkeit. Warum muss ich ein solches Gebäude dämmen, wenn ich seine Energiebilanz auch auf anderen Wegen optimieren kann? Bei diesem neuen Standard für das energieautarke Bauen ist Technologieoffenheit ein wichtiger Punkt.
Hier handelt es sich um einen Auszug aus dem Expertengespräch. Den vollständigen Beitrag finden Sie im Fachmagazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 07/2020.
Teilnehmer des DW-Expertengesprächs:
- Axel Gedaschko, Präsident des GdW (Leitung)
- Professor Timo Leukefeld, Geschäftsführer der Timo Leukefeld GmbH, Freiberg;
- Thomas Auer, Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen, Technische Universität München;
- Clemens Kuhlemann, Geschäftsführer Deutsche Poroton GmbH, Berlin
- Oliver Rühr, Leiter Wienerberger Project-Sales, Wienerberger GmbH, Hannover
- Iris Jachertz, Chefredakteurin der "DW Die Wohnungswirtschaft"
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