Alles neu – auch beim Lernen


Weiterbildung: Alles neu – auch beim Lernen

In der betrieblichen Bildung wird informelles Lernen zunehmend zielgerichtet in Lernkonzeptionen integriert und gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Das verändert die berufliche Weiterbildung und stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen. Es eröffnet aber auch neue Chancen.

Die Pandemie fordert auch die Weiterbildung heraus

Im Moment hat sich, geprägt von Corona, Social Distancing und Homeoffice, für uns das gemeinsame Arbeiten und Leben drastisch verändert. Von null auf hundert ist alles anders, und die nächste Zeit kann zum Beispiel so aussehen: Die kommende Strategiebesprechung findet nun als interaktiver Live-Workshops statt, für die Einführung des neuen Personalmanagementprogramms wurde ein Gruppen-Online-Kurs erstellt, und die Dezernats-Weihnachtsfeier findet als Digital Escape Room von zuhause aus statt.

Die Pandemie hat uns dazu gedrängt, dem Digitalen schnell Platz einzuräumen. Die Veränderung, die normalerweise durch einen gewissen Vorlauf eingeläutet wird, kam schlagartig, und es war wenig Zeit, neue Arbeitsweisen, Prozesse, Tools und den Umgang damit in Ruhe kennenzulernen. Trotzdem sind wir mit ein wenig Geknirsche arbeitsfähig. Anscheinend hat sich das Wissen außerhalb offizieller Anberaumung verbreitet, und wir stellen uns in diesem Artikel die Frage, wie das funktionieren konnte. Hierfür klären wir erst einmal, wie überhaupt Lernen in einer Arbeitsorganisation stattfindet. Denn wissenschaftlich werden zwei Arten von Lernen unterschieden: Formelles und informelles Lernen.

Formelles Lernen vs. informelles Lernen

Formelles Lernen erfolgt auf der Basis von vorgegebenen Lernzielen und Lernzeiten und im Rahmen einer strukturierten Lernprozesssteuerung. Normalerweise gibt es einen Planungsvorlauf, der Vorwissen, Ressourcen und Arbeitskapazitäten berücksichtigt und ein externer Experte wird als Trainer organisiert – dies gilt zum Beispiel für die Ausbildung zum Ersthelfer durch einen Weiterbildungsanbieter sein. Oft gibt es eine Kursreihe mit mehreren Einzelterminen, an deren Ende für die Teilnehmenden die Zertifizierung zum Ersthelfer steht.

Informelles Lernen hingegen ist in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht strukturiert und sieht zumeist auch keine Zertifizierung vor. Es geschieht in den meisten Fällen nicht zielgerichtet und eher beiläufig und basiert auf eigenmotiviertem Lernen: Es kann zum Beispiel sein, dass sich jemand mit der Funktion verschiedener digitaler Videokonferenztools wie Zoom auseinandersetzt, da er mit seinem Cousin in Australien gerne online Schach spielen möchte.

Dieses informell erworbene Wissen kann er als Mitarbeitender nun am Arbeitsplatz weitergeben: Er erklärt vielleicht seinem noch nicht so versierten Kollegen, wie dieses Tool funktioniert und wie man es für berufliche Besprechungen nutzt. In beiden Fällen handelt es sich um informelles Lernen, da weder explizit ein Rahmen zum Lernen noch ein Lernziel oder der Lerninhalt von außen vorgegeben wurden.

Erleben wir eine Trendwende beim beruflichen Lernen?

In der betrieblichen Bildung wird informelles Lernen zunehmend zielgerichtet in Lernkonzeptionen integriert und gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung, da wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass informelles Lernen mit Abstand der bedeutendste Lernbereich ist: So findet in der beruflichen Bildung etwa 80 bis 90 Prozent des Lernens informell statt. Langjährige empirische Analysen haben sogar gezeigt, dass nur etwa fünf bis zwanzig Prozent der Inhalte, die in formellen Lernprozessen wie Schulungen und Seminaren gelernt werden, den Weg bis an den Arbeitsplatz schaffen. Das zeigt, wie schwierig es ist, aus formal anberaumten Lernsettings einen Lerntransfer ins Arbeitshandeln zu erzielen und wie bedeutend das informelle Lernen für die betriebliche Bildung ist.

Die Steuerung informellen Lernens – die Auflösung eines Paradoxons?

Räume öffnen

Am obigen Beispiel des Mitarbeiters, der seinem Kollegen in einem informellen Rahmen hilft, ein Kommunikationstool zu verstehen, zeigt sich ein erstes Prinzip, um das Potenzial des informellen Wissens in der Arbeitsorganisation nutzbar zu machen: Man kann für Mitarbeiter sowohl analog als auch virtuell Räume schaffen, in denen sie sich frei und ohne explizit benanntes Ziel austauschen können. In solchen Räumen ist es möglich, informelles Wissen zu identifizieren und den Mitarbeitern untereinander verfügbar zu machen.

Es spricht vieles dafür, dass in den Arbeitsalltag verschiedene Social-Media-Angebote und andere digitale Kollaborationswerkzeuge integriert werden, um die Vernetzung von Mitarbeitern, Behörden und Organisationen voranzutreiben und den Austausch von formellem und informellem Wissen zu ermöglichen. Besonders in Pandemie-Zeiten ist darauf zu achten, Räume zu eröffnen, die nicht zweckgebunden sind, also zum Beispiel der fachlichen Abstimmung eines Themas dienen. Stattdessen kann ein Event wie eine „Digitale Kaffeepause“ den Raum darstellen, in dem Informationen ausgetauscht werden.

Wissensdatenbanken und Wissenslandkarten

Dokumentation

Auch der Aufbau einer Datenbank mit allerlei Wissensinhalten in Form von unterschiedlichen Medien ist sinnvoll. In Videos, Blogs, Wikis, Foren und mehr ist es dann möglich, nötiges Praxiswissen den individuellen Bedürfnissen entsprechend erarbeiten zu können. So ist es nicht mehr nötig, auf einen mehrtägigen Kurs zur Einführung einer neuen Software zu warten, sondern man kann sich in der akuten Situation dieses Wissen selbst zügig aneignen. Eine kleinere Variante einer Wissensdatenbank sind zum Beispiel Wissenslandkarten, die (digital) aufzeigen, welche Personen in der näheren Arbeitsumgebung welches Wissen haben und wie man auf sie zugehen kann.

Wertschätzung und Anerkennung

Unabhängig von formellen oder informellen Lernformen gilt die Devise, dass Lernen und damit jede Form der Weiterbildung eine Konstante im Alltag der Mitarbeitenden sein sollte. Das Problem im Umgang mit informellem Wissenstransfer ist die Nicht-Steuerbarkeit/Nicht-Kontrollierbarkeit, die es Personen mit Führungsverantwortung schwer macht, Wissen zu bestimmten Personen zu attribuieren. Schließlich sind Fälle denkbar, wo eine Person etwas gelernt hat, dies aber gar nicht als solches gemerkt oder wahrgenommen hat. Sie hat das Wissen einfach „aufgesammelt“ – was am Ende die schönste Variante des Lernens ist, denn sie ist mühelos und leicht.

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