50 Jahre Gleitzeit: Zeiterfassung im Wandel

Schon in den 1960er Jahren befasste sich Wilhelm "Willi" Haller mit der Flexibilisierung von Arbeitszeit, vor 50 Jahren gründete er die Interflex Gleitzeit GmbH. Wie sich seitdem die Haltung zu Zeiterfassung und Flexibilität verändert hat, schildert der heutige Geschäftsführer Bernhard Sommer.

Haufe Online-Redaktion: Vor 50 Jahren waren Gleitzeit und die Erfassung der tatsächlichen Arbeitsstunden etwas ganz Neues. Bis dahin kannte man nur die Stechuhr mit Stempelkarte und festen Arbeitszeiten. Was hat sich seitdem verändert?

Bernhard Sommer: Zeiterfassung hat sich in den Jahren seit der Gründung von Interflex deutlich verändert. Firmengründer "Willi" Haller ist einer der Pioniere der Gleitzeit. Er brachte eine Technologie zum Einsatz, mit der Zeiten erfasst werden konnten. Die einzelnen Mitarbeitenden wussten: Das sind meine tatsächlichen Arbeitsstunden. Ich kann ins Plus oder ins Minus gehen, ich kann auch wieder ausgleichen. Es war damals eine kleine Revolution in der Arbeitswelt, zu sagen: Die Beschäftigten können selbst entscheiden, wann sie morgens kommen und abends gehen. Das hat unglaublich viel Flexibilität gebracht. Dieses Modell lief über viele Jahre nahezu unverändert.

Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort

Haufe Online-Redaktion: Und wann gab es die nächste Veränderung?

Sommer: Die große Veränderung kam erst in den vergangenen Jahren, bedingt durch die Coronapandemie und neue gesetzliche Möglichkeiten zur Flexibilisierung. Auch die technische und gesellschaftliche Entwicklung hat dazu beigetragen. Ein Beispiel: Heute hat jeder ein Smartphone und kann jederzeit seine Arbeitszeitkonten einsehen und an der Gestaltung der Arbeitszeit teilhaben. Ein anderes Beispiel ist der Trend zur Teilzeit und zur Arbeit im Homeoffice und die Möglichkeit, eine Anzahl an Tagen pro Jahr im Ausland zu arbeiten.

Das alles konnte man sich in den 1960er- und 70er-Jahren noch nicht vorstellen, während wir das heute tatsächlich leben und damit auch einen guten Beitrag zur Mitarbeiterzufriedenheit leisten. Dafür brauchen wir aber auch eine geeignete Technologie, die die Fortschritte in der Arbeitswelt abbildet – ähnlich wie damals die Technologie für die Gleitzeit, die für eine saubere Abrechnung sorgte.

"Früher hat die Technologie das Arbeitszeitmodell getrieben. Heute kommen die Treiber aus der Gesellschaft heraus, aus den Vorstellungen von Work-Life-Balance." – Bernhard Sommer, Geschäftsführer Interflex


Haufe Online-Redaktion: Was war der Treiber für diesen neuen Veränderungsschub: Die Wünsche nach mehr Flexibilität oder die neu entstandenen technologischen Möglichkeiten?

Sommer: Zu Gründungszeiten, in den 1960er- und 70er-Jahren, war die Technologie die Grundlage dafür, die Gleitzeit überhaupt zu ermöglichen, wofür ansonsten ein unheimlicher manueller rechnerischer Aufwand nötig gewesen wäre. Die Technologie hat das Modell getrieben. Heute ist das meiner Ansicht nach umgekehrt. Heute kommen die Treiber aus der Gesellschaft heraus, aus den Vorstellungen von Work-Life-Balance. Wir als Anbieter von Lösungen sind dann gefragt, diese sauber und mit einer hohen Usability abzubilden. Die Technologie wird vor neue Aufgaben gestellt, weil sie die komplexer gewordene Arbeitswelt in einer einfachen Art und Weise abbilden muss, damit die Administratoren und Nutzer damit umgehen können.

Dokumentation der Arbeitszeit wird zur Pflicht

Haufe Online-Redaktion: Die Dokumentation der Arbeitszeit wird zur Pflicht. Führte die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung, die vor fast zwei Jahren getroffen wurde, zu einem weiteren Schub in Richtung digitale Zeiterfassung?

Sommer: Es kommt darauf an, über welche Unternehmen wir sprechen. Unsere Beobachtung war, dass das Thema Arbeitszeitdokumentation insbesondere bei kleinen und Kleinstunternehmen hochkochte. Im Moment haben wir ja einen Referentenentwurf, der irgendwann nationales Gesetz wird. Dadurch stieg der Bedarf an elektronischer Arbeitszeiterfassung auch bei kleinen und Kleinstunternehmen. Wer das früher auf Papier machte, sucht nach einer Lösung, das digital durchzuführen. Die Unternehmen, die wir ansprechen, sind mittlere, größere bis hin zu globalen Industriebetrieben. Für die ist das Thema Zeitwirtschaft nicht neu. Diese Unternehmen sind gut aufgestellt und nutzen die Vorteile eines solchen Systems.

"Viele nutzen noch Excel für die Arbeitszeiterfassung. Aber die Handhabung ist sehr komplex." – Bernhard Sommer, Geschäftsführer Interflex

Haufe Online-Redaktion: Aber es muss nicht immer gleich das große Zeitwirtschaftssystem sein?

Sommer: Genau da liegt die Herausforderung für uns als Lösungsanbieter, dass wir einfache Basislösungen anbieten, die erweiterbar und leicht zu skalieren sind. Damit können Unternehmen gut arbeiten. Viele nutzen noch Excel für die Arbeitszeiterfassung. Aber die Handhabung ist sehr komplex. Eine gute Lösung ist einfacher zu bedienen und bietet weitere Vorteile. Ein Beispiel: Eine Regelprüfung zur Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeit und den Mindestruhepausen oder Workflows für Abwesenheitsanträge. All das kann verlässlich durchgeführt und dokumentiert werden. Die Lösungen sind leicht zugänglich und benötigen wenig Aufwand. Insofern bietet eine Zeiterfassung, die häufig als rein technische Funktion gesehen wird, tatsächlich einen großen Mehrwert für die Organisation.

Zeiterfassungsdaten als Basis für das HR-Management

Haufe Online-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?

Sommer: Die Daten, die bei der Arbeitszeiterfassung entstehen, gehen unter anderem in die Zeitwirtschaft und in die Lohnbuchhaltung. Das kann man als wichtiges Management-Instrument sehen. Denn ein Unternehmen muss zum Beispiel Rückstellungen für Überstunden und für Urlaub, der nicht genommen wurde, bilden. Es muss Arbeitszeitzuschläge berechnen. Wichtig ist auch das Kostenmanagement: Das Unternehmen will wissen, für welche Kunden oder Projekte die Zeit investiert wurde. Es muss auch die Arbeitsbelastung in den Teams kennen: Gibt es überhaupt die Ressourcen, den Auftrag auszuführen? Das sind komplexe Fragen, die im Hintergrund laufen. Rein von der Bedien-Seite, für die Administratoren und für die User, muss das System extrem einfach sein, damit sich keine Barrieren oder Hürden aufbauen. 

Haufe Online-Redaktion: Wie sinnvoll ist es, aus der Zeitwirtschaft Verknüpfungen zu weiteren HR-Prozessen und -Systemen herzustellen?

Sommer: Verknüpfungen zu anderen HR-Systemen oder -Prozessen sind sehr wichtig. Wir gehen sogar noch weiter und sagen, dass die Organisation innerhalb der Gebäude angebunden werden sollte. Und natürlich die Zutrittskontrolle. Es sind die gleichen Menschen, die in den Unternehmen sind. Da ist es sinnvoll, die Personal-Stammdaten auszutauschen. Das Einbinden der Zeiterfassung in solche Systeme ist relevant und hängt nicht von der Unternehmensgröße oder der Branche ab. Darüber hinaus gibt es Branchen, die einen speziellen Bedarf haben. Große Organisationen in der Industrie, der Dienstleistung oder im Einzelhandel brauchen eine Personaleinsatzplanung. Eine Schnittstelle zur Zeiterfassung ist hier unabdingbar, damit das Unternehmen weiß, wie der Zeiteinsatz der Mitarbeitenden ist, damit es gesetzliche Regelungen beachten kann und damit es abgleichen kann, wer mit welchen Qualifikationen zur Verfügung steht.

Haufe Online-Redaktion: Ein aktuelles Thema ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Sommer: Auch da hilft eine in die Zeitwirtschaft integrierte Lösung. Das Unternehmen, das eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung erhält, muss überlegen, wie es den Ausfall kompensieren kann. Wen können wir einsetzen, ohne eine Regel zu brechen? Diese Informationen liefert eine verknüpfte Software unglaublich effizient. Und sie liefert Analysen zu Ausfallzeiten und dazu, wann eine betriebliche Wiedereingliederung gemacht werden muss. All diese Fragen, die ein Management sich stellen muss und die einen effizienten Betriebsablauf sicherstellen, beantwortet ein solches System elegant.

Herausforderung Deskless Workforce

Haufe Online-Redaktion: Welche Herausforderung bleibt für die Zukunft?

Sommer: Mehr Flexibilisierung für die Mitarbeitenden in der Fertigung und Produktion ist ein absolut relevantes Thema. In den vergangenen vier bis fünf Jahren haben wir viele Veränderungen erlebt, die fast ausschließlich die Menschen betrafen, die in Offices arbeiten. Bei Mitarbeitenden aus Fertigung und Produktion haben wir wenige Veränderungen erlebt, einfach, weil diese Personen kein Homeoffice machen können. An dieser Stelle besteht noch viel Bedarf: Wie schaffen wir es in der Produktion, in Bereichen mit einer starken Taktung, Möglichkeiten zu Teilzeit und zu flexibleren Arbeitszeiten zu schaffen, ohne dass die Betriebsabläufe unterbrochen werden?

Haufe Online-Redaktion: Das wird sicherlich eine der wichtigsten Fragen für die Zukunft sein. Was wird sich noch in den nächsten fünf Jahren tun?

Sommer: Das wird sich daran orientieren, welches Verständnis die Gesellschaft und die Politik zur Arbeitswelt haben. Die Veränderungen werden stark davon geprägt sein, wie sich die Arbeitswelt entwickelt, wie es mit dem Fachkräftemangel weitergeht und ob die Unternehmen am Standort Deutschland festhalten. Sie werden maßgeblich bestimmen, in welche Richtung die Arbeitsmodelle gehen werden. Die heutigen, flexiblen Modelle sind sehr gut. Aber da gibt es noch einiges zu tun, gerade wenn es um Familien mit Kindern und wenn es um die Deskless Workforce geht. Da kann man noch einiges machen, seitens des Staats, aber auch von Unternehmensseite.


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