Workforce Management: Flexibilität ist das Thema 2024
Workforce Management – der ganzheitliche Prozess von der Personalbedarfsermittlung bis zur Personaleinsatzplanung, von der Gestaltung der Arbeitszeitmodelle bis zum Arbeitszeitmanagement – hilft Unternehmen dabei, zukunftsfähig zu werden. Aber wie ist das in Zeiten von Fachkräftemangel, Fluktuation und Wertewandel möglich? "Das geht nur mit möglichst hoher Flexibilität", lautet die Antwort von Dietmar Knoess, Global Director People & Organization bei Puma. Ein großer Teil der Puma-Beschäftigten ist in den über 1.000 Stores weltweit im Einsatz. Der Handel ist personalpolitisch ein hartes Pflaster. Hier geht es darum, Mitarbeitende zu finden und zu motivieren, täglich zur Arbeit zu kommen. "Es kann passieren, dass Beschäftigte einen Tag später im benachbarten Geschäft arbeiten, weil sie dort 15 Cent mehr pro Stunde verdienen", erläutert Knoess.
Anders sei die Lage im kreativen Bereich oder in Zentralbereichen. "Wir müssen ihnen ein Arbeitsumfeld bieten, in dem sie sich entfalten können und gerne zur Arbeit kommen", sagt er. Für den Personalchef gehört es heute dazu, immer neue Angebote für Mitarbeitende zu entwickeln: "Man muss sich etwas überlegen, wenn man will, dass die Mitarbeitenden bei einem bleiben."
Workforce Management 2024: Flexibilität und Verlässlichkeit als Hauptthemen
"Flexibilität ist sicherlich das wichtigste Thema im Workforce Management im Jahr 2024", sagt Maximilian Thost, Country Manager DACH bei Quinyx. Angesichts der Unsicherheiten müssten die Unternehmen in der Lage sein, sich schnell an Veränderungen anzupassen. Auf der anderen Seite sei es aber auch wichtig, den Mitarbeitenden Verlässlichkeit, Planbarkeit und Sicherheit zu bieten. "Das in Einklang zu bekommen, ist nicht ganz einfach", meint er.
Für Alexander von Fritsch, CRO bei Atoss, steht Flexibilität ebenfalls im Vordergrund. Er plädiert jedoch dafür, nicht nur an flexible Arbeitszeiten für Büroangestellte mit Homeoffice zu denken, sondern neue Ideen zu entwickeln, wie mehr Flexibilität für die gesamte Workforce möglich wird: "Arbeitgeber brauchen flexiblere Regelungen für die Mitarbeitenden an der Kasse, in der Pflege, am Fließband oder im Lager. Auch sie erwarten Regelungen, die es ihnen ermöglichen, private und berufliche Interessen besser miteinander in Einklang zu bringen", sagt er.
Personalplanung: Mehr Gerechtigkeit im Betrieb
Einen solchen Ansatz verfolgt der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Dort zählt zwar nur ein kleiner Teil der Belegschaft zu den gewerblichen Arbeitskräften. Aber es gibt zahlreiche Fachkräfte, die in Projekten vor Ort tätig sind, etwa zum Aufstellen oder Reparieren von Strommasten. Es gibt eine Regelung zum mobilen Arbeiten, die es den Teams ermöglicht, die Einsätze in Eigenorganisation festzulegen. "Wir unterscheiden nicht zwischen Deskless und Desk Workers, sondern handhaben das für alle gleich. Die Teams organisieren sich so, wie sie ihre Arbeiten am besten erledigen können, und sie finden Wege, wie sie das für alle Mitglieder passend gestalten", so Sylvia Borcherding, CHRO bei 50Hertz. Durch diese Selbstorganisation sei Flexibilität für alle möglich, auch für diejenigen, die meist vor Ort arbeiten.
"Solange wir nicht über völlig neue Arbeitsmodelle nachdenken, werden wir die Brücke zwischen Deskless und Desk Workers nicht bauen können." – Sylvia Borcherding, 50Hertz
Sylvia Borcherding geht noch einen Schritt weiter und denkt über Arbeitsmodelle nach, die über die bislang übliche Fünftagewoche hinausgehen. Der Hintergrund: Subunternehmer ihres Unternehmens arbeiten häufig mit ausländischen Fachkräften, die zum Beispiel zehn Tage vor Ort sind und dann eine Woche im Heimatland. "Die Logik, samstags nicht zu arbeiten, passt für uns in Zukunft nicht mehr. Wir brauchen mehr Flexibilität", sagt sie und ergänzt: "Solange wir nicht über völlig neue Arbeitsmodelle nachdenken, werden wir die Brücke zwischen Deskless und Desk Workers nicht bauen können."
Auch Puma hat zukunftsweisende Ansätze. Diese gehen nicht, wie im Zuge der öffentlichen Diskussion zu vermuten wäre, in Richtung Viertagewoche. "Ich bin kein Fan einer strikten Viertagewoche, gerade in Serviceberufen. Denn wer kann dann garantieren, dass in den drei übrigen Tagen Restaurants geöffnet sind, Busse fahren oder Patienten versorgt werden", so Dietmar Knoess. Er glaubt, dass ein Erfolgsfaktor im Einzelhandel mehr Autonomie für die Mitarbeitenden ist. "Diese müssen stärker in die Einsatzplanung einbezogen werden. Das ist meiner Ansicht nach die richtige Antwort auf den Arbeitskräftemangel gerade in den Service- und Dienstleistungsberufen."
"Die Mitarbeitenden müssen stärker in die Einsatzplanung einbezogen werden. Das ist die richtige Antwort auf den Arbeitskräftemangel." – Dietmar Knoess, Puma
Andere Organisationen liefern weitere positive Beispiele, wie Arbeiten neu gedacht werden kann. Alexander von Fritsch nennt das Universitätsklinikum Mainz, das die Arbeitsbelastung innerhalb einer Schicht in die Vergütung des Pflegepersonals einfließen lässt: "Wenn vier Mitarbeitende 20 Patienten pflegen, ist das weniger aufwendig, als wenn zwei Personen diese 20 Patienten pflegen, weil die Schicht unterbesetzt ist. Dafür können diese zwei Mitarbeitenden zumindest finanziell kompensiert werden." Als weiteres Beispiel führt er die Arbeitszeit nach Maß bei Hornbach an: Die Mitarbeitenden können ihre Arbeitsstunden für eine gewisse Zeit hochfahren und zu anderen Zeiten weniger arbeiten. "Es gibt heute schon viele gute und innovative Ideen, mit denen sich Unternehmen von anderen differenzieren und sich im Wettbewerb um die Fachkräfte als attraktive Arbeitgeber positionieren können", fasst er zusammen.
New Work ist Arbeitszeitautonomie
New Work heißt eigentlich Arbeitszeitautonomie, aber die Realität in vielen Schichtbetrieben sieht anders aus, das bestätigen alle Gesprächsteilnehmer. "Bei Autonomie geht es nicht nur um entsprechende Regelungen und Systeme, sie ist auch eine kulturelle Fragestellung", sagt Sylvia Borcherding, die eine klare Verfechterin von Autonomie ist. Im eigenen Unternehmen gab es anfangs einen Aufschrei. "Der kam nicht von den Mitarbeitenden, sondern von den Führungskräften", sagt sie. Viele bezweifelten, dass die Mitarbeitenden sich selbst organisieren können, und stellten die Machbarkeit des Konzepts in Frage. "Wir haben dann klargemacht, dass es zur Führungsaufgabe gehört, die Mitarbeitenden dazu zu befähigen", berichtet sie. Heute, zwei Jahre später, sei die Haltung der Führungskräfte ganz anders. "Für hoch partizipative Ansätze haben wir heute die größte Akzeptanz im Unternehmen", fasst sie zusammen. Allerdings gebe es auch Menschen, die nicht autonom arbeiten möchten, schränkt sie ein: "Aber wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir über starre Regelwerke arbeiten."
Für Dietmar Knoess bringt diese Entwicklung ein neues Führungsverständnis mit sich. "Die größte Herausforderung ist, als Führungskraft loszulassen", sagt er. Die neue Rolle der Führungskräfte sieht er in Coaching und Befähigung und darin, Ankerpunkte in schwierigen Situationen zu geben. Das gelte gerade für seine im Durchschnitt sehr junge Belegschaft. "Wir sind manchmal Mutter- und Vaterersatz. Wir müssen gut zuhören können. Das sind ganz andere Fähigkeiten als früher." In der schnelllebigen und komplexen Welt von heute funktioniere das traditionelle Führungsmodell nicht mehr. "Wir müssen schnelle und kurzfristige Entscheidungen treffen. Das geht nur, wenn wir den Mitarbeitenden Autonomie geben – und auch das Vertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagt er.
Kulturwandel und Digitalisierung
"Um die genannten Formen von Autonomie zu ermöglichen, ist eine gute technische Infrastruktur nötig", gibt Maximilian Thost zu bedenken. Aus seiner Sicht ist Digitalisierung grundlegend, um die Prozesse im Unternehmen abzubilden und überhaupt einen Kulturwandel herbeizuführen, der es den Mitarbeitenden im White- oder Blue-Collar-Bereich ermöglicht, ihre Tätigkeit anhand von Zielen und Ergebnissen auszurichten.
Daten sind zentral für die Planung und Steuerung der personellen Ressourcen und hier kommt immer öfter KI ins Spiel. "Ein wichtiges Argument für den Einsatz von KI ist, die Komplexität der Zukunft beherrschbar zu machen", so Maximilian Thost. Doch hierbei müssten die Softwareanbieter noch viel Basisarbeit leisten, denn das, was KI leisten kann, werde häufig noch als Black Box angesehen. Als ersten wichtigen Schritt empfiehlt er, die relevanten Daten verfügbar zu machen, um dann eine Art Kreislauf zu generieren. "Denn jeder Tag liefert neue Daten und auch diese müssen in die KI einfließen", sagt er.
"Nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch KI drin. Wenn wir aber auf Qualität und Substanz achten, steckt enorm viel Potenzial in den Anwendungen." – Alexander von Fritsch, Atoss
Alexander von Fritsch sieht KI als zielführend an, um notwendige Produktivitätssprünge zu erreichen. Allerdings gelte es, genau hinzusehen. "Nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch KI drin", sagt er. Und nicht immer lieferten KI-Modelle qualitativ hochwertige Ergebnisse, wenn etwa die Datenbasis nicht stimme. "Wenn wir aber auf Qualität und Substanz achten, steckt enorm viel Potenzial in den Anwendungen", sagt er. Er rät dazu, jetzt mit Digitalisierung, Datensammlung und Datenqualitätssicherung anzufangen, um die Basis für Anwendungen zu schaffen. "Und im HR-Bereich sind viele Use Cases denkbar", ergänzt er.
KI im Workforce Management
Häufig wird die Personalbedarfsprognose als Beispiel für einen KI-Einsatz angeführt. Aber gerade da wird KI nicht zwingend benötigt. "Eine verlässliche Prognose von Personalbedarf können wir schon heute mit guten Systemen in einer sehr hohen Genauigkeit leisten, ohne dass da tatsächlich KI dahintersteckt", sagt Alexander von Fritsch. "Man kann natürlich eine KI obendrauf setzen und sie beauftragen, zu lernen und die Algorithmen zu optimieren. Aber der erste wichtige Schritt ist, die Daten, die das Unternehmen hat, überhaupt zu nutzen", ergänzt er.
Ein weiterer Anwendungsfall von KI ist die Wunschdienstplanung. "Dass Mitarbeitende ihre Schicht aussuchen können, zählt auch zum Kulturwandel in vielen Unternehmen: Wir können nicht versprechen, dass jeder die Wunsch-Schicht bekommt, aber wir versuchen das aufgrund der Datenlage zu bewerkstelligen", so Maximilian Thost. Es gebe immer Menschen, die täglich zur gleichen Zeit arbeiten wollten, schränkt er ein. "Aber es gibt immer mehr Menschen, die besondere Flexibilität brauchen. Hierbei kann KI unterstützen", sagt er.
"Es gibt immer mehr Menschen, die besondere Flexibilität brauchen. Hierbei kann KI unterstützen, zum Beispiel bei der Planung von Wunsch-Schichten." – Maximilian Thost, Quinyx
Es gilt auch die Gefahren von KI im Blick zu haben, etwa wenn anhand von Verhaltensmustern vermutliche Kündigungsabsichten vorhergesagt werden. "Deshalb muss man mit solchen Daten sehr vorsichtig umgehen und vor allen Dingen die KI keine Entscheidungen treffen lassen", so Dietmar Knoess. "Wichtig ist, dass man Gespräche mit den Mitarbeitenden führt und nichts einfach dem System überlässt. KI kann die Personalarbeit nicht ersetzen. Aber sie hilft uns vielleicht ein bisschen, die Dinge genauer anzuschauen, wo es Auffälligkeiten gibt", sagt er.
Und was ist mit der Zeiterfassung?
Das Bundesarbeitsgericht hat die Unternehmen an die Pflicht zur Zeiterfassung erinnert, doch der Gesetzentwurf steht noch aus. Dietmar Knoess ist von den bisherigen Entwürfen enttäuscht. "Ich hatte ja gehofft, dass man das ganze Thema Arbeitszeit anpackt und die Arbeitszeiterfassung in diesem Kontext versteht", sagt er. "Wenn Mitarbeitende die Zeit noch am gleichen Tag erfassen müssen und ich sie abmahnen muss, wenn sie erst am Folgetag die Arbeitszeiten mitteilen, ist das realitätsfremd", meint er. Sylvia Borcherding hat mit der Pflicht zur Zeiterfassung kein grundsätzliches Problem. Ein fairer und transparenter Umgang mit der Arbeitszeit der Mitarbeitenden ist für sie ein Compliance-Aspekt. Allerdings hofft sie, dass die Umsetzung so niederschwellig wie möglich und mit so wenig Aufwand wie nötig funktioniert. "Für uns würde das Gesetz nichts verändern – außer dass einige Regelungen zur Zeiterfassung im Detail angepasst werden", meint sie.
"Von technischer Seite wird uns das Thema keine Schweißperlen auf die Stirn treiben", sagt Maximilian Thost. "Es muss gelöst werden, aufgrund des Regulierungsbedarfs in unserem Land, aber mit Cloud Services ist es leicht umsetzbar." Alexander von Fritsch rät den Arbeitgebern, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung als Gelegenheit zu nutzen, noch mehr für die Employee Experience zu tun. "Indem sie ihren Mitarbeitenden die Gelegenheit geben, über das System auch ihre Schichten zu tauschen oder von zuhause Urlaub zu beantragen", nennt er zwei Beispiele. Wann und wie die Zeiterfassung kommt, ist ungewiss. Der Branchentalk zeigte aber: Alle Beteiligten sind darauf vorbereitet.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 1/2024. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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